Von: mk
Bozen – Neue Untersuchungen des Genoms der Gletschermumie “Ötzi” haben u.a. Aussehen und Stammbaum ins Visier genommen und neue Erkenntnisse hervorgebracht: Wie das Max-Planck-Institut am Mittwoch informierte, soll “Ötzi” anatolische Vorfahren, eine dunkle Haut und eine fortgeschrittene Glatze gehabt haben. Außerdem hatte der “Mann aus dem Eis” eine Veranlagung zu Diabetes und Übergewicht.
Das Genom war zwar bereits 2012 entschlüsselt worden, allerdings wurden seither Fortschritte in der Sequenzierungstechnologie erzielt. Ein Forschungsteam des Max-Planck-Institutes und von Eurac Research erreichte nun eine wesentlich exaktere Rekonstruktion des Genoms. Dabei wurde gezeigt, dass im Vergleich zu anderen Europäern bei “Ötzi” der genetische Anteil aus Anatolien eingewanderter Frühbauern ungewöhnlich hoch sei. Daraus lasse sich schließen, dass er aus einer “relativ isolierten Alpenbevölkerung mit wenig Kontakt zu anderen europäischen Gruppen stammte”, hieß es.
Zuerst hatten Forscher genetische Spuren einer Steppenbevölkerung gefunden. Nun stellte sich aber heraus, dass die damalige Probe mit moderner DNA kontaminiert gewesen sei. Zudem wurden seither viele Genome prähistorischer Europäer, häufig aus Skelettfunden, vollständig entschlüsselt, dadurch wurde ein Vergleich möglich. “Unter den hunderten frühen europäischen Menschen die zur selben Zeit wie ‘Ötzi’ lebten und deren Genome zur Verfügung stehen, hat ‘Ötzi’ die meisten bäuerliche Ahnenanteile”, teilte das Forschungsteam mit.
“Wir waren sehr überrascht, im neuen ‘Ötzi’-Genom keine Spuren der osteuropäischen Steppenhirten zur finden, auch der Anteil der Jäger und Sammler Gene ist bei ‘Ötzi’ sehr gering. Genetisch sieht er so aus, als seien seine Vorfahren direkt aus Anatolien gekommen”, berichtete Johannes Krause, Leiter der Abteilung Archäogenetik am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig und Mitautor der Studie, die in “Cell Genomics” publiziert wurde.
Neben den Vorfahren interessierten sich die Wissenschafterinnen und Wissenschafter auch für das Aussehen der rund 5.300 Jahre alten Gletschermumie. Sein Hauttyp, schon in der ersten Genom-Analyse als mediterran-europäisch bestimmt, war noch dunkler als bisher angenommen. “Es ist der dunkelste Hautton, den man in europäischen Funden aus derselben Zeit nachgewiesen hat”, sagte der Anthropologe und Mitautor der Studie, Albert Zink, Leiter des Instituts für Mumienforschung bei Eurac Research in Bozen. “Man dachte bisher, die Haut der Mumie sei während der Lagerung im Eis nachgedunkelt, aber vermutlich ist, was wir jetzt sehen, tatsächlich weitgehend ‘Ötzis’ originale Hautfarbe. Dies zu wissen, ist natürlich auch wichtig für die Konservierung”, hielt er fest.
Auch soll er mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr langes, dichtes Haupthaar, sondern höchstens noch einen schütteren Kranz gehabt haben. Seine Gene zeigten eine Veranlagung zur Glatzenbildung: “Das ist ein relativ eindeutiges Ergebnis und könnte auch erklären, warum bei der Mumie fast keine Haare gefunden wurden”, sagte Zink. Ein erhöhtes Risiko für Übergewicht und Diabetes Typ 2 lag ebenfalls in ‘Ötzis’ Erbanlagen, kam jedoch dank seines gesunden Lebensstils wahrscheinlich nicht zum Tragen.
Das Südtiroler Archäologiemuseum, in dem die Gletschermumie gezeigt wird, merkte jedoch an, dass sich nicht bestimmen lasse, wie weit Ötzis Glatzenbildung fortgeschritten gewesen sei. “Immerhin fanden sich in der Nähe der Mumie neun Zentimeter lange, dunkle Haupthaarlocken”, hieß es. Deshalb ist Museumsdirektorin Elisabeth Vallazza vorsichtig mit der Interpretation der Ergebnisse. Die Rekonstruktion Ötzis im Museum sei ein “Interpretationsversuch, ein Vorschlag, wie wir uns den Mann aus dem Eis zu Lebzeiten vorstellen. Die Figur wurde 2011 von den Paläokünstlern Adrie und Alfons Kennis geschaffen, auf Basis des damaligen Forschungsstandes. Es ging dabei vor allem darum zu zeigen, dass Ötzi ein moderner Mensch war: mittleren Alters, tätowiert, drahtig, wettergegerbt, ein Mensch wie du und ich. Eine Überarbeitung der Rekonstruktion ist derzeit nicht vorgesehen”, hielt Vallazza fest.