Nie im Wasser stehend in eine Steckdose greifen! Gallen-Kallelas "Ad Astra"

“Gothic Modern”: Die Albertina verbindet die Epochen

Donnerstag, 18. September 2025 | 11:20 Uhr

Von: apa

Wenn der Herbst ins Land zieht und die Tage dunkler werden, packt auch die Albertina ihre düstere Seite aus. “Gothic Modern” heißt die neue Ausstellung, in der man sich der Gotik im Sinne der mittelalterlichen Kunst als Vorbild für den Aufbruch der Moderne nähert. Da tanzen die Skelette, darben die nackten Körper und liegt allerorten der tote Christus. Nicht die Gute-Laune-Schau zum Saisonstart, aber der lohnende Blick auf einen Abschnitt der Kunstgeschichte im Schatten.

Die Anbindung an die Vergangenheit

Im Kern werden die letzten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts und die ersten des 20. kontrastiert mit Werken des Mittelalters, wobei Kontrast letztlich der falsche Begriff ist. Mit der enormen Zahl von 200 Arbeiten von über 50 Künstlern zeigt man eindrücklich, wie sehr vor allem der deutsche und skandinavische Symbolismus oder Expressionismus zwar einen Bruch mit der akademischen Tradition der Zeit suchte, nicht aber mit der Kunstgeschichte im Allgemeinen. “Die Künstler haben sich nicht neu erfunden ohne jegliche Anbindung an die Vergangenheit”, unterstrich Albertina-Generaldirektor Ralph Gleis bei der Präsentation am Donnerstag als Kurator der Schau.

So griffen Malende wie Paula Modersohn-Becker, Max Beckmann, Otto Dix, Vincent van Gogh oder Egon Schiele auf Haltungen zurück, die im Mittelalter dominant waren – sowohl im Hinblick auf die grundlegende Themenvielfalt aus dem Spektrum Sexualität, Tod oder Glaube, vor allem aber auch in puncto der Ästhetik. Eine gewisse Rohheit, Expressivität und Unmittelbarkeit im Umgang mit der Körperdarstellung, der Widerspiegelung des Seelenlebens lockte vielfach die Modernisten. Auch wurden alte Techniken wie der Holzschnitt oder Tapisserien wieder entdeckt.

“Gefühlte Parallelität”

“Es geht um eine gefühlte Parallelität”, skizzierte Gleis den damaligen Blick, für dessen Ausgestaltung manch Nationalschatz aus den jeweiligen Ländern nach Wien gebracht werden konnte, wozu etwa zentrale Arbeiten des Norwegers Edvard Munch oder Hauptwerke des Finnen Akseli Gallen-Kallela zählen. Die Schau folgt dabei dem breit ausgelegten Rückblick des 19. Jahrhunderts auf die Vergangenheit, weshalb nach heutigem Verständnis auch Renaissancemeister wie Dürer im Mittelalter subsumiert werden.

Zugleich ging es den jungen Kunstschaffenden im Aufbruch selbstredend nicht um eine Imitation, sondern eher eine Inspiration, die zum Fortdenken anregte, wenn etwa bei Van Gogh der Tod rauchend dargestellt wird oder sich bei Max Klinger in suizidaler Absicht auf die Eisenbahngleise legt. “Man hat das Gefühl einer allgegenwärtigen Sterblichkeit im 20. Jahrhundert oft mit einem Augenzwinkern versehen”, umriss Gleis einen der Unterschiede zwischen den Epochen.

Perzeption keine Einbahnstraße

Bekanntlich ist die Welt ja aber keine Einbahnstraße, sondern besteht aus Rückspiegelungen und Umwegen. So verdeutlicht “Gothic Modern” nicht nur die Anbindung der Moderne an die Vergangenheit, sondern auch die Modernität manch alter Meister wie Hans Holbein, Lukas Cranach oder Hans Baldung Grien. Oftmals mischen sich deren Bilder nahtlos in den Reigen der 500 Jahre später entstandenen Arbeiten. Modern Gothic eben.

(S E R V I C E – “Gothic Modern” in der Albertina, Wien 1, Albertinaplatz 1, 19. September 2025 bis 11. Jänner 2026, Täglich 10 bis 18 Uhr, Mittwoch und Freitag 10 bis 21 Uhr, www.albertina.at/ausstellungen/gothic-modern/)

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