Von: bba
Bozen – Bei der Podiumsdiskussion am gestrigen internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen wurden gemeinsame Nenner gesucht, wie Politik, Wirtschaft, Bildung und die gesamte Gesellschaft zum Thema häusliche Gewalt sensibilisiert werden können – damit künftig hingeschaut, hingehört und schnell und unbürokratisch gehandelt wird.
Es diskutierten Barbara Ebetsberger (Psychologin), Esther Ausserhofer (HR-Unternehmensberaterin), Matthias Oberbacher (Bildungsreferent der Cusanus Akademie), Carmen Plaseller (Bürgermeisterin von Lüsen), Walter Baumgartner (Präsident der Bezirksgemeinschaft Eisacktal) und Barbara Wielander (Leiterin des Frauenhausdienstes Brixen). Die Veranstaltung moderierte Gudrun Esser von RAI Südtirol.
Einen passenderen Einstieg in das Thema häusliche Gewalt konnten die Organisatorinnen nicht wählen: Ein zehnminütiger Ausschnitt aus dem Film „8 Frauen, 8 Geschichten, 8 Realitäten“ von der Organisation „Es geat di a un – tocca a te“ wurde im Veranstaltungssaal der Stadtbibliothek Brixen gezeigt. Acht Frauen erzählten dabei von ihren Erfahrungen mit häuslicher Gewalt und den harten Weg hinaus. Der Kurzfilm kann auf Youtube angesehen werden. (https://youtu.be/OTJqCM4wW50)
Über Tabuthema und Zivilcourage.
Als Tabuthema, als Lappalie wird das Thema häusliche Gewalt oftmals bezeichnet. Es wird weggesehen und ignoriert. Betroffene aber leiden – und auch ihre Kinder. Barbara Ebetsberger sagt dazu: „Frauen trauen sich oftmals nicht das Thema in der Öffentlichkeit anzusprechen, sich Hilfe zu holen. Das Thema wird nach wie vor tabuisiert, obwohl in den vergangenen Jahren viel Sensibilisierungsarbeit geleistet wurde. Den Frauen muss Mut gemacht werden, sie sind nicht selbst schuld. Deshalb müssen wir auch die Männer miteinbeziehen, nicht nur die Frauen. Auch wenn sich die Frauen trennen, können Männer als Wiederholungstäter auftreten. Eine ganzheitliche Beratung muss stattfinden.“
Walter Baumgartner: Genau solche Kampagnen und Aktionen, wie diese des Frauenhausdienstes, tragen dazu bei, dass das Thema in der Gesellschaft ankommt und wahrgenommen wird. Die Gemeinden können dazu beitragen, aber auch die Vereine. Es braucht Zivilcourage, um auf die Frauen zuzugehen. Wenn man über das Thema informiert, auch bereits Jugendliche in den Vereinen, dann setzt man Schritte in die richtige Richtung.
Carmen Plaseller: Das Thema ist sehr vielschichtig, es gehört aber entstaubt. Ich glaube, man muss hierfür einige Generationen zurückgehen. Gewalt gehörte früher, auch aufgrund des Krieges, zum Alltag. Diese Traumata sind noch nie aufgearbeitet worden und stecken den Menschen, die das miterlebt haben, noch in den Knochen. Informieren und vernetzen – das ist die Botschaft. Wir sind in Südtirol sehr stark im präventiven Bereich tätig, das Frauenhaus aber erlebt das Ende der Kette – es muss beides funktionieren. Wir Politikerinnen brauchen einen Handzettel, damit wir wissen, was zu tun ist, wenn Frauen in diesen Situationen in der Gemeindestube vorsprechen, wenn man mitbekommt, dass jemand im Ort in dieser Situation ist.
Man weiß dann gleich, wie man helfen kann. Esther Ausserhofer: Die Unternehmerinnen erreichen sehr viele Menschen. Auch sie müssen informieren und hinsehen. Frauen, die häusliche Gewalt erleben, sollten keine Scheu davor haben, sich beim Arbeitgeber zu melden. Dieser muss handeln – und wissen wie. Häusliche Gewalt soll bei internen Schulungen, bei Vorträgen angesprochen werden – jeder Mensch muss wissen, auf was er achten und wie er reagieren soll. Denn das ist schlichtweg unsere Pflicht.
Matthias Oberbacher: Wie erreichen wir Menschen, die noch nicht auf dieses Thema sensibel reagieren? Vernetzen ist der erste Schritt. Die Männer erreichen, der Zweite. Das Thema muss an Orten, an denen sich Männer treffen, wie etwa die Feuerwehr, der Fußballverein oder der Stammtisch, aktiv platziert werden. Männer müssen Männern sagen, dass frauenfeindliche Sprüche fehl am Platz sind – auch das ist Zivilcourage.
Barbara Wielander: Auch die Familie, die Bekannten, die Verwandten, die Nachbarn müssen hinsehen und handeln. Frauen isolieren sich, brechen den Kontakt mit der Familie ab. Auch muss man hartnäckig bleiben und zeigen, dass es einen Ausweg aus dieser Situation gibt. Es braucht Kraft, es braucht Mut, es braucht Durchhaltevermögen und es braucht Menschen, die an einen glauben und da sind – dann ist ein Neuanfang möglich.
Auch Brixens Bürgermeister Peter Brunner meldet sich aus dem Publikum zu Wort: „Es muss unbürokratisch geholfen werden: Wir bemühen uns, Wohnungen zu finden, in denen die Frauen unterkommen können. Aber auch regelmäßige Treffen mit der Politik fände ich sinnvoll, um eine Bestandsaufnahme zu machen und zu monitorieren. Wir sind hier alle gefordert.
Was ist zu tun?
Gemeinsam wurden im Rahmen der Podiumsdiskussion Ideenvorschläge gesammelt, die in Zukunft umgesetzt werden müssen, um häuslicher Gewalt entgegenzuwirken. Der Frauenhausdienst Brixen wird diese Ideen nun nutzen, um sie Punkt für Punkt, gemeinsam mit Vertretern aus den verschiedensten Branchen, umzusetzen. Denn nur durch Sensibilisierung und Information können wir weitere Opfer häuslicher Gewalt vermeiden.
Frauenhausdienst Brixen
Romstraße 7
39042 Brixen
Kostenlose Notruflinie 0-24 h: 800 601 330