Von: ka
Bozen – “Nach dem Lockdown, der Italien wohl weltweit bisher am härtesten betroffen hat, und aus dem beliebtesten Ferienland (wer will nicht Rom, Venedig und Florenz gesehen und in der Adria gebadet haben?) die roteste Zone Europas gemacht hat, rappelt man sich jetzt in die neue Normalität hoch. Dabei ist nichts, wie es vorher war. Psychologisch ist es das Eintauchen in eine andere Welt. Sie sieht gleich aus, folgt aber, und voraussichtlich noch für Monate, neuen Gesetzen. Ihr Grundgefühl ist die globale Unsicherheit. Ihre Grundhaltung ist entweder zügelloses Eintauchen in wieder erlangte Freiheiten oder größte Vorsicht. Ihre Perspektive ist vollständige Überwindung der Bedrohung, bei angewandter Geduld”, so Roger Pycha und Sabine Cagol im Namen des Hilfsnetzwerks Psyhelp Covid 19.
“Einerseits sitzen wir alle im selben Boot, mehr im Zentrum, oder mehr am Rand und den Spritzern ausgesetzt. Anderseits muss jeder allein mit den neuen Schwierigkeiten zurechtkommen. Was sich da einstellt, ist ein Höhlenphänomen: Wenn wir lange Zeit in Abgeschiedenheit und mit unterbrochener Routine verbringen, müssen wir Vieles neu erfinden. Obwohl der Schritt hinaus ersehnt ist, hält die Covid 19 Höhle uns emotional und verhaltensmäßig noch gefangen. Zwei Monate lang haben wir uns angepasst, an komplettes oder relatives Alleinsein, an Untätigkeit oder eigentlich mehr psychische und ganz wenig körperliche Aktivität (das Denken und Fühlen kann man ja nicht einfrieren), an elektronisch vermittelte Bilder, Stimmen und soziale Kontakte, an körperlichen Abstand und vermummte Gesichter”, fahren Roger Pycha und Sabine Cagol fort.
“Einen Monat darf es dauern, bis dieser erzwungene neue Rhythmus abgelegt ist. Bis die Angst vor dem allgegenwärtigen Virus aufhört, unsere sozialen Kontakte einzuschränken. Bis wir gelernt haben, auf Menschen zuzugehen, selbst wenn wir nur ihre Augen und ihre Haltung, ihr Bewegungsmuster und ihre Kleidung beurteilen können, und uns der Mund-Nasenraum samt bekannter Stimme bei der Einordnung fehlt. Bis wir akzeptieren, uns selbst mit Masken oder korrekt hochgezogenen Tüchern zu verunstalten, und sie nur jenseits des Sicherheitsabstandes abzunehmen, selbst wenn wir schwitzen. Bis wir üben, bei unserer Arbeit möglichst wenig Gegenstände, Tiere und Pflanzen und nach Möglichkeit schon gar keine Menschen zu berühren und uns immer wieder die Hände desinfizieren. Und umgekehrt: Bis wir verstehen, dass jedes kurze nahe Vorübergehen an anderen noch keine Infektion wahrscheinlich macht”, weiter Roger Pycha und Sabine Cagol.
“Danach wäre gut, wenn die Neue Normalität einkehren könnte. Wer danach noch an dauernder Angst vor dem Virus leidet, und sich deshalb zu Hause verkriecht, wer sich zwanghaft bei jeder Gelegenheit zu waschen beginnt, auch alleine eine Maske trägt, wer hypochondrisch Begegnungen meidet und sich sogar elektronisch abkapselt, wer mehr isst, an Gewicht deutlich zunimmt und an Tatkraft ab, wer dann noch in den angekündigten Sommer hinein zunehmende Müdigkeit und Lustlosigkeit spürt, der beginnt am Höhlensyndrom zu leiden”, meinen Roger Pycha und Sabine Cagol.
“Die Fachleute nennen das Anpassungsstörung. Man kann sie gezielt und erfolgreich behandeln. Bei sich selbst, durch kluge Beurteilung, Arbeit und Bewegung. Mit Hilfe von Familie und Freunden, durch Ablenkung, Spiele, Hobbies, und Freizeitplanung. Man nennt das selbst entwickelte Widerstandsfähigkeit, aus der Krise lernen Können, oder Resilienz. Wenn das nicht leicht gelingt: Es gibt auch den Gang zu psychologischen Experten. Er ist Hilfe, nicht Schande. In Phase Covid 19 2 muss das gar kein Gang mehr sein: Ein Anruf genügt. Doch wahrscheinlich ist das persönliche Treffen, das daraus folgen sollte, gerade ein Hilfsmittel, das die Störung bekämpft. Die Sehnsucht nach Kontakt kann durch Video und Telefon zeitlich verschoben, aber nicht gestillt werden. Virtuell und real sind zwei verschiedene, unterschiedlich wertvolle, Dinge”, abschließend Roger Pycha und Sabine Cagol.