Dževad Karahasan wurde 70 Jahre alt

Schriftsteller Dževad Karahasan mit 70 Jahren gestorben

Samstag, 20. Mai 2023 | 11:07 Uhr

Am gestrigen Freitag ist der bosnische Schriftsteller Dževad Karahasan im Alter von 70 Jahren verstorben. Der Wandler zwischen den Welten hatte im Wechsel zwischen seiner Wahlheimatstadt Graz und Sarajevo gelebt. Karahasan galt als einer der renommiertesten Autoren des Balkans und als Chronist der im 20. Jahrhundert starken Umbrüchen unterworfenen bosnischen Hauptstadt. Die Karahasan eng verbundene Gesellschaft für Musik und Theater ARBOS ehrt den Verstorbenen nun am Abend.

So würdigt man Karahasan, der seit 1993 als Dramaturg und Dramatiker für ARBOS tätig war, am Samstag im Rahmen des Festivals Visual im Wiener Theater Spielraum mit der Aufführung seines Minidramas “Die Einen und die Andern”, bevor man mit dem ursprünglich angesetzten “Kain” von Anton Wildgans fortfährt. (www.arbos.at/visual_festival_23/) Karahasan und ARBOS waren im Hinblick auf die Bühnenwerke des Autors engste Kooperationspartner. So war Karahasan in diesem Rahmen als Dramaturg unter anderem auch an der Österreichischen Erstaufführung der Originalfassung von Viktor Ullmanns Antikriegsoper “Der Kaiser von Atlantis oder Die Tod-Verweigerung” beteiligt.

Produziert und uraufgeführt von ARBOS, waren die Stücke Karahasans an verschiedenen Häusern in zahlreichen Ländern zu sehen. “Al-Mukaffa” erlebte beispielsweise 1994 am Wiener Theater Akzent seine Uraufführung, “Der Gesang der Narren von Europa” im selben Jahr im Künstlerhaus Salzburg. “Povuceni Andjeo” war 1995 beim Donaufestival in Krems zu erleben, “Die Fremden” 2001 im Wiener Theater des Augenblicks. Und 2014 wurde im Schauspielhaus Wien sein “Prinzip Gabriel” zur Uraufführung gebracht.

Nebst der Theaterarbeiten umfasst das Œuvre des Literaten aber auch Romane, Essays und theoretische Schriften. Zu Karahasans wichtigsten Werken zählen hier “Sara und Serafina” (2000), “Der Trost des Nachthimmels. Roman in drei Teilen” (2016) und 2019 der Erzählungsband “Ein Haus für die Müden”. Erst heuer erschien bei Suhrkamp “Einübung ins Schweben: Eine ethische und existentielle Grenzerfahrung vom literarischen Chronist Sarajevos”. Allen Genres gemeinsam war stets ein gewisser Impetus der Aufklärung, ein Ansinnen, als Vermittler zwischen Ost und West oder Islam und Christentum zu fungieren.

Geboren wurde Dževad Karahasan am 29. Jänner 1953 in eine muslimische Familie, der Bub wurde allerdings von Franziskanern frühgebildet. Nach dem Studium der Literatur- und der Theaterwissenschaft in Sarajevo wurde Karahasan schließlich Dozent an der dortigen Akademie für szenische Künste. Er musste die belagerte Stadt jedoch in den Jugoslawienkriegen 1993 verlassen.

Es begann ein Leben auf der ideellen Wanderschaft, auch wenn Sarajevo bis zum Schluss einer der Hauptspielorte seiner Werke blieb. Der Exilant Karahasan wurde Gastdozent an verschiedenen europäischen Universitäten und lehrte dabei unter anderem in Salzburg. Zugleich wurde er zunehmend als Literat ernst genommen und erfolgreich.

Nach dem Krieg näherte sich der Autor dabei auch wieder seiner alten Heimatstadt an, deren Chronist er wurde und etwa auch den Posten eines Dramaturgen am Nationaltheater von Sarajevo annahm. Zugleich fand er in Graz eine zweite dauerhafte Bleibe, fungierte er doch nicht zuletzt von 1996 bis 2003 als Stadtschreiber der steirischen Metropole. Dabei empfing ihn die neue Heimat auch mit entsprechenden Auszeichnungen. So erhielt Dževad Karahasan etwa 1995 für “Tagebuch der Aussiedlung” den Bruno-Kreisky-Preis, 1999 den Wiener Herder-Preis, 2017 den Grazer Franz-Nabl-Preis. Und 2020 wurde Dževad Karahasan mit dem mit 50.000 Euro dotierten Goethepreis der Stadt Frankfurt geehrt.

Kunst- und Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer (Grüne) würdigte Karahasan in einer Aussendung: “Er zählte zweifelsfrei zu den großen europäischen Autoren der Gegenwart.” In einer Zeit der Spaltung habe er in seinem Schreiben den Dialog und die Vermittlung beschworen. “Seine Stimme der Verständigung und Toleranz wird sehr fehlen”, so Mayer, die seiner Familie und Freundinnen und Freunden sowie seinen Weggefährtinnen und -gefährten ihre Anteilnahme ausdrückte.

Von: apa