Von: mk
Bozen/Turbigo – In Turbigo bei Mailand ist eine Straße nach Ezio Maria Gray benannt. Der Mann ist verantwortlich für einen Gewaltakt in Südtirol zur Zeit des Faschismus. Dies sorgt beim Südtiroler Heimatbund für Bedenken.
Am 7. August hat das Tagblatt „Dolomiten“ einen sehr aufschlussreichen Geschichtsbericht des Buchautors Günther Rauch über die genau vor 100 Jahren, am 16. August 1923 in Bozen erfolgte Beschlagnahme des ersten Tiroler Gewerkschaftshauses durch faschistische Schlägertrupps veröffentlicht. Dabei wurde neben den Trienter „Fascio-Syndikalisten“ zum ersten Mal auch der Vor- und Nachname des nach Bozen entsandten Anführers des faschistischen Gewaltaktes enthüllt. Es handelt sich um den von piemontesischen Großargariern besoldeten faschistischen Konsul der faschistischen Milizen Ezio Maria Gray aus Novara.
Aufgrund dieses Berichtes kam durch eine aufmerksame Geschichtsforscherin ans Tageslicht, dass in der lombardischen Stadt Turbigo bei Mailand ein Straßenschild den Namen von Ezio Maria Gray trägt.
Der Obmann des Südtiroler Heimatbundes, Roland Lang, nahm diese Nachricht zum Anlass, um in einem Schreiben an den Bürgermeister von Turbigo, Dr. Fabrizio Allevi, an die gewaltsamen Machenschaften von Ezio Maria Gray in Bozen zu erinnern.
Im italienischen Parlament habe der Abgeordnete mehrmals nach strengeren Maßnahmen zur Assimilierung der Südtiroler aufgerufen, erklärt Roland Lang. Um die deutsche und ladinische Volksgruppe schlecht zu reden, habe er dem Südtiroler Abgeordneten Friedrich Graf Toggenburg im Sommer 1921 vorgeworfen, von russischen kommunistischen Emissären Goldmillionen zur Revolutionsanstiftung erhalten zu haben. „Solche und andere Märchen und Erfindungen gehörten zum Lügenarsenal von Gray“, erklärt Lang.
Im Propagandaorgan der Faschisten „Il Popolo d’Italia“ hat er nach dem Verbot des Begriffs „Tirol“ und aller Wortderivate der römischen Regierung sogar eine Verordnung zur Abschaffung der „deutschen Küche“ in Südtirol vorgeschlagen, „um den deutschen Gästefluss in der Provinz einzuschränken“.
Gray war ein Anhänger des Nationalistenführers Enrico Corradini, des spiritus rectos des frühen italienischen Rassismus und der italo-imperialistischen Kriegslegitimation. Beide gehörten mit Ettore Tolomei und Adriano Colucci-Vespucci und anderen Hasardeuren zur Gruppe der sogenannten „grandi fratelli“ („großen Brüder“) welche die „ethnische Säuberung“, also die Vertreibung der Südtiroler aus ihrer angestammten Heimat früh geplant hatten. In einem Aufruf hatten die Faschisten bereits Anfangs 1922 in einem rassistischen Ton von einer „Verunreinigung Italiens durch das Volk Andreas Hofers“ gesprochen.
Im Schreiben an den Bürgermeister Allevi weist der Heimatbund-Obman Roland Lang weiters darauf hin, dass Gray ein eingefleischter Anti-Slavist war und antisemitische Klischees verbreitete. „Als Vizepräsident der faschistischen Korporationen hat er mit Nachdruck die italienischen Rassengesetze und andere Gräueltaten gefördert“, so Lang. Er habe die Machtübernahme Hitlers voll begrüßt. Nach dem Zusammenbruch des Faschismus und Nationalsozialismus hatte er offen erklärt: „Wenn Deutschland drei Monate vor dem Krieg in der Lage gewesen wäre, die Atombombe fertig zu bauen, wie im Bulletin der Operationen gegen Japan berichtet wurde, glaube ich, dass wir alle auf der ‚Piazza Venezia‘ stehen und [Mussolini] zujubeln würden.”
Am 24. Mai 1945 wurde Gray verhaftet und vor den Obersten Gerichtshof in Rom gestellt, der ihn wegen seiner Verbrechen zu 20 Jahren Zuchthaus auf der Insel Procida verurteilte. „Nach seiner Freilassung nach einigen Monaten nahm er seine subversiven Tätigkeiten als Senator des Movimento Sociale Italiani (MSI) wieder auf. Er starb 1969“, so Lang.
Angesichts dieser „unrühmlichen Lebensgeschichte“ von Ezio Maria Gray ersucht Roland Lang den Bürgermeister Dr. Francesco Allevi die Straße umzubenennen – auch im Sinne der vom Europäischen Parlament am 19. September 2019 mit Zustimmung beinahe aller italienischen Abgeordneten erlassenen Entschließung zur Bedeutung des europäischen Geschichtsbewusstseins für die Zukunft Europas.