Vortrag in Bozen

Überleben in Stadt und Land: Österreich 1918

Montag, 14. Mai 2018 | 18:51 Uhr

Bozen – Der Erste Weltkrieg brachte als erster „totaler Krieg“ auch für die Zivilgesellschaft im Hinterland große Einschnitte mit sich: Lebensmittel waren rationiert und mit Geld konnte man sich speziell im letzten Kriegsjahr kaum mehr etwas kaufen. Der Linzer Historiker und Universitätsprofessor Ernst Langthaler beschäftigt sich in seinem Vortrag mit den sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen des Ersten Weltkrieges auf die österreichische Gesellschaft. Der Vortrag findet im Rahmen der vom Kompetenzzentrum für Regionalgeschichte organisierten Vortragsreihe „Zeitenwende 1918“ statt.

Der Vortrag behandelt die österreichische Mangelgesellschaft in den letzten Kriegs- und ersten Nachkriegsjahren anhand eines zentralen Problems, das sowohl die politischen und wirtschaftlichen Eliten, als auch die Bevölkerung tagtäglich beschäftigte und den Übergang von der Habsburgermonarchie zur Republik Österreich nachhaltig prägte: die „Volksernährung“. Einem gängigen Geschichtsbild zufolge waren Landbewohner in den Kriegs- und Nachkriegszeiten in Europa im 20. Jahrhundert hinsichtlich der Ernährung besser gestellt als Stadtbewohner. Kurz, ‚das Land‘ war satt, ‚die Stadt‘ hungerte. Dieses Bild speist sich aus der zunächst einleuchtenden Annahme, dass in einer Mangelgesellschaft dort, wo mehr Nahrung produziert wird, auch mehr davon für den Konsum zur Verfügung steht – und vice versa. Bei genauerer Betrachtung erweist sich dieses Bild als zu vereinfachend: Weder vermochten sich die Landbewohner durchgängig satt zu essen, noch plagte die Stadtbewohner ständig der Hunger.

Der Vortrag zeichnet ein differenzierteres Bild der „Volksernährung“ in der Mangelgesellschaft in Wien und den österreichischen Bundesländern im und nach dem Ersten Weltkrieg. Er stützt sich neben zeitgenössischen Expertenaussagen und autobiographischen Erzählungen von Angehörigen unterschiedlicher Milieus vor allem auf amtliche Untersuchungen zum Ernährungszustand der Bevölkerung. Dabei erweist sich die gängige Annahme, dass die Ernährungssituation in Land und Stadt allein von der insgesamt vorhandenen Nahrungsmenge abhinge, als trügerisch. Vielmehr war sie vor allem vom normativen und praktischen Zugang der Einzelnen und Gruppen zu Nahrungsmitteln abhängig. Die Möglichkeiten und Grenzen des Zugangs zu Nahrungsmitteln waren nicht nur zwischen Land und Stadt, sondern auch innerhalb der Land- und Stadtbevölkerung nach Klassen, Generationen und Geschlechtern ungleich verteilt – und dementsprechend umkämpft.

Der Referent Ernst Langthaler ist seit 2016 Universitätsprofessor für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Johannes Kepler Universität Linz. Zuvor war er ab 2002 am Institut für Geschichte des ländlichen Raumes (IGLR) in St. Pölten tätig, dem er seit 2009 auch als Leiter vorstand. Im Jahr 2010 erfolgte die Habilitation und die Verleihung der Privatdozentur. Anschließend absolvierte er Gastprofessuren an den Universitäten Innsbruck und Wien und war Fellow am Rachel Carson Center for Environment and Society in München. Die Forschungsinteressen Ernst Langthalers umfassen Agrar- und Ernährungsgeschichte, Global- und Regionalgeschichte sowie historische Theorien und Methoden.

Vortrag von Prof. Ernst Langthaler (Universität Linz) „Überleben in Stadt und Land: Konturen der österreichischen Mangelgesellschaft um 1918“

Ort: Freie Universität Bozen, Universitätsplatz 1, Campus Bozen
Hörsaal: D1.02
Zeit: 17. Mai um 17.30 Uhr
Anbei: ein Porträtfoto von Prof. Ernst Langthaler und das Programm der Vortragsreihe „Zeitenwende“

Von: mk

Bezirk: Bozen