Von: mk
Welschnofen/Deutschnofen/Tenna – Das Haydn Orchester erinnert im Eggental und in Tenna an die Naturkatastrophe, die im Herbst 2018 in den Wäldern der Region eine Spur der Verwüstung hinterlassen hat
Eine Naturkatastrophe zog über das Land, erbarmungslos und ohne Vorwarnung. Fünf Tage lang regnete es ununterbrochen, dazu der warme Scirocco, der mit Spitzengeschwindigkeiten bis 200 km/h Millionen von Bäumen einfach umwarf. Zehntausende Hektar Bergwald und Nadelholzforste wurden zerstört, um exakt zu sein, 42 Millionen Bäume auf einer Fläche von 41.000 Hektar. Der Sturm Vaia riss tiefe Wunden in die Landschaft unserer Region. In diesem Sommer kehrt die Stiftung Haydn von Bozen und Trient am 9. und 10. August an die Schauplätze der Katastrophe zurück und erfüllt die Wälder, Wiesen und Gipfel mit Orchesterklängen. Die Leitung des Haydn Orchesters, das mit der Sinfonie Nr. 6 „Pastorale“ eines der beliebtesten Werke Ludwig van Beethovens spielen wird, übernimmt Beatrice Venezi, ehemals erste Gastdirigentin beim Orchestra della Toscana und Chefdirigentin des Orchestra Milano Classica.
Die erste Veranstaltung der Reihe wird am Mittwoch, den 9. August auf dem Colle di Tenna im Ortsteil Alberè stattfinden. Am darauffolgenden Tag, am Donnerstag, den 10. August geht es weiter nach Südtirol, wo zwischen den Gemeinden Welschnofen und Deutschnofen eine geführte Wanderung mit musikalischen Intermezzi stattfindet. Am Abend steht dann im Holzbaubetrieb LignoAlp in Deutschnofen ein Konzert auf dem Programm.
Ziel des Projektes ist es, die Orte und das Material, aus dem die Wälder sind, die damals im Zuge des Sturms solchen Schaden genommen haben – das Holz – miteinander in Verbindung zu setzen und zu Protagonisten ihres gemeinsamen Schicksals zu machen. Holz ist das Material, aus dem auch die meisten Musikinstrumente hergestellt werden, so lässt sich durch die damit erzeugten Klänge auch der Schmerz ausdrücken, den das Ereignis hinterlassen hat. „Das Haydn Orchester möchte einen Anstoß geben, das Verhältnis zwischen Musik und Natur zu überdenken. Hintergrund der Aufführung der Pastorale von Beethoven auf dem Colle di Tenna und in Deutschnofen (wo das Holz von kunstfertiger Hand weiterverarbeitet wird) ist der Wunsch des Orchesters, den Menschen die Erinnerung an den fürchterlichen Sturm Vaia, der an diesen Orten im Jahr 2018 wütete, in Erinnerung zu rufen und im kollektiven Gedächtnis der Menschen zu verankern“, unterstreicht Giorgio Battistelli, künstlerischer Leiter des Haydn Orchesters.
Entstanden sind die beiden Veranstaltungen aus einer Zusammenarbeit zwischen der Stiftung Haydn, der Gemeinde Tenna und Eggental Tourismus. „Mit diesem Projekt möchten wir all jenen Menschen unseren Dank aussprechen, die sich um die Pflege unserer Wälder kümmern, denn wir sind überzeugt, dass Schutz und Erhalt unserer intakten Natur zu den wichtigsten Themen unserer Zeit gehört“, sagt Stephanie Völser, die Projektleiterin bei Eggental Tourismus.
„Vaia war ein dramatischer Einschnitt für unsere Gegend, ein Warnsignal, das uns mit der Realität des Klimawandels konfrontiert und uns die Notwendigkeit eines Umdenkens vor Augen geführt hat“, fügt der Bürgermeister von Tenna, Marco Nicolò Perinelli hinzu. „Wir wollen uns gemeinsam mit dem Haydn Orchester an die Geschehnisse erinnern, und zwar im Rahmen eines außergewöhnlichen Konzertevents, bei dem die zerstörerische Kraft des Sturms sich in Musik verwandelt und damit die Zäsur verdeutlicht, die zwischen dem liegt, was vorher war, und der großen Erneuerung, die aus der Katastrophe erwuchs.“
Am Mittwoch, den 9. August um 19.30 Uhr findet das Konzert in der Trentiner Gemeinde Tenna in der Valsugana im Ortsteil Alberè statt. Hier hat man sich für ein Gratiskonzert unter freiem Himmel entschieden: Dem Konzert geht eine Einführung voran, die sich mit den gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und umweltrelevanten Auswirkungen der Katastrophe beschäftigt. Bei Schlechtwetter findet die Veranstaltung im PalaLevico in Levico Terme statt.
Am Donnerstag, den 10. August zieht das Haydn Orchester weiter nach Südtirol, wo es einen ganzen Tag in den Gemeinden Welschnofen und Deutschnofen unterwegs sein wird. Treffpunkt ist um 10.00 Uhr (Karersee Siedlung / Paolina): Hier beginnt eine von ortskundigen Förstern geführte Wanderung, bei der die Teilnehmer mehr über die Natur und die Auswirkungen des Sturms erfahren, bis um etwa 14.00 Uhr das Wanderziel, das Sägewerk Latemar, erreicht ist. Die Führung, die in zwei Gruppen mit je max. 20 Teilnehmerinnen und Teilnehmern stattfindet, wird unterwegs mit musikalischen Intermezzi durch Musiker:innen des Haydn Orchesters untermalt. Um 20.00 Uhr findet die Eröffnung der öffentlich zugänglichen Ausstellung „Verwüstete Schönheit“ mit Fotos von Valentin Pardeller, Günther Pichler, Arnold Hofer und Gabriel Eisath statt. Um 21.00 Uhr, nach einer Einführung durch den Journalisten Florian Mahlknecht, der das Publikum retrospektiv durch die entscheidenden Momente des Sturms Vaia begleitet, folgt am Firmensitz des Holzbaubetriebs LignoAlp in Deutschnofen das Sinfoniekonzert mit Beatrice Venezi und dem Haydn Orchester.
Die 6. Sinfonie von Ludwig van Beethoven, „Pastorale“
Ludwig van Beethovens 6. Sinfonie, an der er zwischen Sommer 1807 und Mai 1808 arbeitete, wurde am 22. Dezember 1808 im Theater an der Wien uraufgeführt, unter der Leitung des Komponisten höchstpersönlich. Beethoven wollte ein Werk komponieren, das zugleich klassisch und modern war, eine Idee, die den deutschen Komponisten auf völlig neue Wege führte.
Als programmatische Wegweiser wird jeder der fünf Sätze der „Pastorale“ von einer kurzen Überschrift begleitet: Angenehme, heitere Empfindungen, welche bei der Ankunft auf dem Lande im Menschen erwachen – Szene am Bach – Lustiges Zusammensein der Landsleute – Donner, Sturm – Wohltätige, mit Dank an die Gottheit verbundene Gefühle nach dem Sturm. Allein die Verwendung von Text und der Rückgriff auf die reiche Symbolsprache, die sich in der Musik über die Jahrhunderte herausgebildet hat, zeigen die Absicht des Komponisten, mit der „Pastorale“ eine Gattung, die damals bereits als antiquiert galt, mitten in die sich ständig wandelnde Wiener Musik jener Zeit zu setzen. Beethoven verlieh seiner neuen Sinfonie durch ihren breit gefächerten Aufbau eine stilistische Dualität, die sich in einem schnellen Schlagabtausch zwischen Gegenwärtigem und Vergangenem manifestiert, zwischen dem „Realismus“ der Sonatensatzform und der „Fiktion“ des Pastoralen. Für den achtunddreißigjährigen Beethoven, dessen Leben zu diesem Zeitpunkt von der Taubheit bereits massiv eingeschränkt war, war dieses Werk ein Akt der Befreiung, ein Bad in der freien Natur. Das Werk eignet sich ganz Besonders für den Anlass des Konzertes, das die Erinnerung an den Sturm Vaia wachrufen soll: Obwohl die Komposition insgesamt von Freude geprägt ist, gibt es darin auch dramatische Momente (etwa das Gewitter im vierten Satz), die sich jedoch stets in einer Stimmung der Versöhnlichkeit und des Strebens nach Erneuerung auflösen. Dies ist die Botschaft, die das Haydn Orchester seinem Publikum mit der Auswahl dieses Stückes mit nach Hause geben will.