32. Toblacher Gespräche

Wie grün ist der europäische Green Deal?

Dienstag, 05. Oktober 2021 | 20:56 Uhr

Von: bba

Bozen – Mit dieser zentralen Frage setzten sich die TeilnehmerInnen der Toblacher Gespräche im Grand Hotel Toblach auseinander. Alle Beteiligten waren sich einig: Europa ist auf dem richtigen Weg, aber es bedarf einer raschen und radikaleren Transformation der gesamten Gesellschaft.

„Die Bevölkerung ist inzwischen überzeugt, dass es den Klimawandel gibt, aber wir tendieren, ihn erst als Gefahr zu sehen, wenn der Alltag durch Umweltprobleme beeinträchtigt wird“, gab Ralf Pellegrini, Präsident der Toblacher Gespräche, in seiner Begrüßung zu Bedenken.

Zum Auftakt fand im Grand Hotel Toblach eine Podiumsdiskussion statt, bei der verschiedene Umwelt-Initiativen in Südtirol vorgestellt wurden. Sie vereint ein gemeinsames Ziel: mehr Menschen aktiv zum Umwelt- und Klimaschutz zu bewegen.

Georg Kaser, einer der weltweit renommiertesten Gletscherforscher und ehem. Professor an der Universität Innsbruck, drängte darauf, den Energiekonsum in den kommenden Jahren drastisch herunterzufahren, das bedeute, aber auch dass, gesellschaftliche Umwälzung kommen werden, die der Bevölkerung klar vermittelt werden müssen.

Kaser meinte, die Gefahr sei real, dass das Klima sich verselbständige, was das Ende unserer Zivilisation bedeuten würde. „Das Eis ist nicht nur dünn, es ist sehr dünn!“ Gleichzeitig aber zeigte er sich hoffnungsvoll, bei den vielen Klimainitiativen, die von Jugendlichen bei den Toblacher Gesprächen vorgestellt wurden.

Mehr Aktivismus

Michael Steinwandter, Bodenbiologe und Umweltaktivist, meinte etwa, der gesamte westliche Lebensstil sei zu überdenken, Energie einzusparen wie auch der Verzehr von Fleischprodukten zu vermeiden. David Hoffmann, Klimaaktivist und Mitbegründer der Bürgerinitiative „Schenke Zukunft/Regala Futuro“ in Sterzing betrachtet das kapitalistische Wirtschaftssystem selbst als Teil des Problems. Der einzige Ausweg aus der Krise sei Aktivismus. Es brauche mehr motivierte Menschen, um einen politischen Wandel herbeizuführen.

Südtiroler Strategieplan mit Lücken

Die beiden KlimaaktivistInnen Alexander Schönafinger und Janin Höllrigl, Mitbegründer von Mava Seggo, wiesen darauf hin, dass der Klimaplan der Südtiroler Landesregierung nicht umfassend sei, da die Emissionen der Landwirtschaft, die bei zwanzig Prozent liegen, nicht berücksichtigt wurden. Katharina Tschigg, Doktorandin an der EURAC, vermisste einen detaillierten Strategieplan bei der Ökologisierung der Gesellschaft. Noch völlig unberücksichtigt werde der Bereich des Tourismus.

Tagungsleiter Karl-Ludwig Schibel räumte mit dem Glauben auf, dass allein technische Lösungen das Klima retten würden. „Die Erde ist ein endliches System und in einem endlichen System kann es kein unendliches Wachstum geben“, mahnte Schibel, der auch den 1995 verstorbenen Umweltaktivist Alexander Langer zitierte, der an eine „sozial wünschbare Zukunft“ glaubte.

„Wir brauchen grünes Schrumpfen!“

Ulrike Herrmann, Wirtschaftsredakteurin der taz in Berlin und erfolgreiche Buchautorin, stimmte Schibel bei. Wachstum gehöre zum Kern des Kapitalismus, und Konsum brauche es, um den Markt zu stabilisieren. „Wir brauchen nicht grünes Wachstum, sondern grünes Schrumpfen. Dabei werden ganze Branchen verschwinden wie die Flugindustrie. Auch das Privatauto wird keine Zukunft haben, weil die umweltfreundliche Energie nicht ausreicht. Herrmann zweifelte auch an, dass es Banken und Versicherungen in dieser Form noch geben werde. Das bedeute aber kein Zurück in die Steinzeit, sondern eine bessere Welt.

„Das Ziel ist die nachhaltige Kreislaufwirtschaft. Der Weg dorthin kann nur über eine Kriegswirtschaft gehen, wie sie Großbritannien im Zweiten Weltkrieg erfolgreich gemeistert hat.“ Das bedeute staatliche Interventionen, die den
Transformationsprozess begleiten, um ein chaotisches Schrumpfen zu verhindern.

Der Recovery Plan enttäuscht

Paolo Pileri, Professor am Polytechnikum Mailand, kritisierte die Politik der italienischen Umweltpolitik, die keinen klaren Investitionsplan bei der Umsetzung des Recovery Plan erkennen ließe. Eine große Aufsplitterung der Kompetenzen und Verwaltung sei auszumachen. Die italienische Regierung plane die Hochgeschwindigkeitsverbindungen im Süden Italien mit 27 Milliarden Euro auszubauen. „Doch es gibt keine seriösen Studien, die die Sinnhaftigkeit der Investitionen untermauert.“ Italien habe einen großen Aufholbedarf, bei der Umwelt-Bildung. Aus diesen Gründen sei die Befürchtung des Greenwashing durchaus begründet, resümierte Pileri.

Der European Green Deal ist der einzige Weg

Wir haben mit dem European Green Deal die einzige Chance diesen radikalen Wechsel zu leisten, betonte Martin Stuchtey, Professor für Ressourcenstrategie an der Universität Innsbruck, in seinen Ausführungen. In den letzten 200 Jahren wurden Rohstoffe aus der Natur entnommen, transformiert, benutzt und entsorgt. Ein zentraler Baustein des European Green Deal ist, aus dieser Logik auszusteigen und die Kreislaufwirtschaft systematisch aufzubauen. Am Ende leben wir in einer Welt, in der alles recycelt wird und kein Müll entsteht. Die globale Umgestaltung der Landwirtschaft wird das Schwierigste werden, gab Stuchtey zu Bedenken.

Positives Beispiel: Kreislaufwirtschaft in Indien

Ein gutes Beispiel dafür präsentierte Christiane Grefe, Redakteurin der deutschen Wochenzeitung „Die Zeit“ und Buchautorin, in ihrem Referat. Im indischen Bundesstaat Andhra Pradesh mit 50 Millionen Einwohnern werden derzeit
16 Millionen Bauern auf nachhaltige Landwirtschaft umgeschult. Mangobäumen, Papayas und Bananenstauden werden gepflanzt, darunter gedeihen Mais und Bohnen, am Boden Zwiebeln und Kurkuma – eine natürliche Methode der landwirtschaftlichen Produktion ohne Pflanzenschutzmittel mit wechselnder Fruchtfolge. Im Mittelpunkt steht durch diesen Mischanbau der Versuch das natürliche Gleichgewicht und die Biodiversität zu erhalten. Auch in Europa finden wegweisende Experimente statt, die in diese Richtung gehen, erinnerte Grefe. Die Buchautorin meinte, es fände derzeit ein Verteilungskampf statt zwischen den konventionellen High-Tech-Ansatz und dem agrarökologischen Ansatz, der auch beim Welternährungsgipfel der UN ausgetragen wird.

EU: Paradigmenwechsel findet statt

Auf der abschließenden Podiumsdiskussion lobte die Tiroler Landehauptmann-Stellvertreterin, Ingrid Felipe, Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die die Richtung vorgegeben habe. Dennoch sei das Ziel ihrer Strategie immer noch das Paradigma des Wachstums. „Aus dieser Logik muss man wegkommen.“

EU-Abgeordneter Herbert Dorfmann brach eine Lanze für die Umweltpolitik der Europäischen Union, die sich seit Jahren darum bemühe. Die EU werde das Problem allein aber nicht lösen, da die Europäer nur zehn Prozent des klimaschädlichen Treibhausgase weltweit produzieren. Dorfmann erinnerte daran, dass die Reduktion der Treibhausgase ein europäisches Gesetz sei. Jetzt gehe es um dessen Umsetzung.

Jacopo Massaro, Bürgermeister von Belluno, schilderte die Arbeit seiner Stadtverwaltung, die sich darum bemühe, Schülerinnen und Schüler für den aktiven Umweltschutz zu sensibilisieren. Zudem gelte in der Gemeinde Belluno ein Baustopp und damit werde auch kein Grund mehr versiegelt. Klimaforscher Georg Kaser erneuerte seine Befürchtung, dass zu wenig gegen den Klimawandel getan werde: „Wir rasen auf eine Wand zu, bremsen nun langsam und lernen gleichzeitig in einem Crash-Kurs, wie man das Auto nach dem Aufprall wieder händelt.“

Ingrid Felipe forderte eine Euro-Vignette für den europäischen Straßennetz, die sämtliche Nebenkosten beinhaltet und bekräftigte die Verkehrspolitik des Bundeslandes Tirol, welche restriktive Maßnahmen im Transitverkehr noch
verschärfen werde. EU-Parlamentarier Herbert Dorfmann verkündete, dass in dieser Woche der EU-Agrarhaushalt verabschiedet werde. Ab 2023 sind im Landwirtschaftsbereich zehn Milliarden Euro zur Förderung neuer umweltgerechter Modelle vorgesehen. Die Mitgliedstaaten müssen nun Strategiepläne erarbeiten, wie sie das umsetzen, da besteht die Gefahr des Green-washing, warnte Dorfmann, dem die Europäische Kommission einen Riegel vorschieben müsse.

 

Bezirk: Bozen