Von: Ivd
Bozen – Schluss mit Idylle, Schluss mit Geheimnissen und Schluss mit dem Patriarchat? Wenn Michael Kofler an seine Jugend in Südtirol in den 1990er Jahren denkt, erinnert er sich vor allem an eines: das Schweigen. „Das Thema schien mit einem Tabu belegt zu sein und man konnte die Narben beziehungsweise das kollektive Trauma noch spüren“, erzählt der Regisseur und Drehbuchautor. Sein Film „Zweitland“ ist kein klassisches Historiendrama sondern eine packende fiktionale Familiengeschichte, die die stillen Spannungen in der südtiroler Bevölkerung, die zum Teil bis heute anhalten, deutlich macht.
Schluss mit Geheimnissen
„Zweitland“ erzählt die zerrissene Geschichte einer südtiroler Familie und ihrer eigenen Widerstände während der „Bombenjahre“ in den 1960er Jahren. Während der Hauptcharakter des Films, Paul, versucht, seiner Leidenschaft als Künstler nachzugehen, ist sein Bruder Anton politisch aktiv und Teil des deutschsprachigen Widerstandes gegen den Anschluss an Italien. Als Anton rasch untertauchen muss, übernimmt Paul dessen Verantwortungen und steht plötzlich selbst im Mittelpunkt des Konflikts zwischen deutsch- und italienischsprachigen Volksgruppen.

Auf die Frage, ob der Separatist Anton nun für ihn ein Freiheitskämpfer oder ein Verbrecher sei, antwortet Kofler differenziert: „Auf die komplexe Frage nach politischer Gewalt gibt es manchmal keine einfache Antwort und deshalb war mir eine differenzierte Herangehensweise an den Stoff, aber auch besonders an die Figuren wichtig. Wut, Unzufriedenheit und ein verletzter Sinn für Gerechtigkeit seien in den meisten Fällen menschlich nachvollziehbar, hätten allerdings in diesem tragischen Fall, wie so oft zu einer „unkontrollierbaren Spirale der Gewalt geführt, an deren Ende es nur Opfer gibt“.
Schluss mit dem Patriarchat
Während Anton im Namen der Freiheit Straftaten verübt und Paul seinen Platz in der Kunst sucht, geht es vor allem auch um den persönlichen Kampf von Antons Frau Anna: den Kampf gegen patriarchale Strukturen zu dieser Zeit. Sie stellt einen Gegenpol zu der maskulinen Gewalt und den erbitterten Machtkämpfen dar und erweitert den Begriff des Kampfes für die Unabhängigkeit um einen oft vernachlässigten Bereich.

„Sie fordert mit all ihren Bedürfnissen und Ansichten diese Männlichkeit heraus und hält ihr auch den Spiegel vor“, so Kofler. „Annas subtile Wege, manchmal alltägliche Gesten, zeugen von den Zwängen und Rollenbildern, denen Frauen damals ausgesetzt waren. Es war mir sehr wichtig, diese kleinen mutigen Akte des ‘Überlebens’ und der Selbstbestimmung von Anna den radikalen und gewalttätigen Aktionen ihres Mannes im harschen Kontrast gegenüberzustellen.“
Schluss mit Idylle
Dass Kofler mit „Zweitland“ keinen klassischen Heimatfilm drehen wollte, war für ihn früh klar. „Ich wollte mit ‘Zweitland’ diese Ästhetik durchbrechen und auch herausfordern“, sagt er. Statt idyllischer Landschaften und sanfter Kamerafahrten dominiert im Film ein visueller Stil, der Unruhe und Zerrissenheit vermittelt – eine bewusste Abkehr vom traditionellen Heimatbild. „Der Film ist eine Art, zu sagen: Wir können einen Ort lieben und trotzdem seine Strukturen hinterfragen, und wir können eine Geschichte über Heimat erzählen, ohne sie zu vereinfachen oder zu romantisieren.“

Kofler begreift Südtirols Geschichte dabei nicht nur als regionale, sondern als universelle. „Die Eskalation, die in ‘Zweitland’ dargestellt wird, ist ein Beispiel dafür, wie der Ruf nach Gerechtigkeit, Angst, Ideologie und sozialer Druck Menschen zu extremen Handlungen treiben können“, erklärt er. „Der Kontext ist zwar spezifisch für das Südtirol der 1960er Jahre, aber die Muster sind heute dieselben: Polarisierung, Radikalisierung und die Art und Weise, wie Gemeinschaften unter diesem Druck zerbrechen können.“ Der Film will dabei weniger bewerten als verstehen und ein Bewusstsein dafür schaffen, „wie Gesellschaften konstruktiv mit Missständen umgehen können, anstatt sie in Gewalt eskalieren zu lassen.“
Aus Spannung wuchs Einigkeit
Auf die Frage, ob sich sein Blick auf das „Südtiroler-Sein“ während der Arbeiten zu „Zweitland“ verändert habe, antwortet Kofler versöhnlich, dass er sich nicht verändert, aber vertieft habe. „Dieses Land war vor nicht so langer Zeit noch ein ethnischer Krisenherd. Heute ist Südtirol dauerhaft befriedet und von wirtschaftlichem Erfolg und kultureller Vielfalt geprägt.“ Er lobt die Zusammenarbeit beider Sprachgruppen und hebt hervor, dass dieses Projekt noch vor wenigen Jahrzehnten in dieser Form nicht möglich gewesen wäre.

Genau darin liegt für ihn der Sinn von „Zweitland“: ein Film, der die schmerzhaften Fragen der Vergangenheit nicht scheut und zugleich zeigt, was möglich wird, wenn Menschen, wie im Entstehungsprozess des Films, „an einem Strang ziehen“. Ein Gegenwartsbeweis dafür, dass aus alten Spannungen neues Verständnis wachsen kann.
Ab heute deutschlandweit im Kino
„Zweitland“ feierte seine Weltpremiere beim Filmfest München in der Reihe CineCoPro vor ausverkauftem Haus und gehört zur offiziellen Auswahl des Palm Springs International Film Festivals 2026. Seit rund zwei Wochen läuft das Drama bereits in den Kinos Südtirols. Ab heute startet es nun auch in Kinos deutschlandweit. Ein Besuch lohnt sich nicht nur für Ortskundige, sondern für alle, die sich für Politik, Gesellschaft und Geschichte interessieren.




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