Von: apa
In Sachen musikalischer Brutalität mit gesellschaftspolitischem Anspruch macht ihnen so schnell niemand etwas vor: Heaven Shall Burn stellen das mit dem am Freitag erscheinenden Album “Heimat” erneut unter Beweis. Die deutsche Gruppe macht darauf kurzen Prozess, setzt auf bewährte Trademarks und legt den Finger in offene Wunden – auch nach 30 Bandjahren. “Wir haben noch so viel zu erzählen und so viel vor uns”, richtete Gitarrist Maik Weichert den Blick nach vorn.
Jubiläen abzufeiern, sei nicht unbedingt das Ding des Quintetts, stattdessen werde quasi ständig an neuer Musik gefeilt. “Das ist bei uns relativ unspektakulär, weil wir nicht in den Zyklen von professionellen Bands funktionieren”, so Weichert im APA-Interview. Denn statt des ständigen Wechsels von Studioaufenthalt, Tourleben und Promotionaktivitäten haben die fünf Musiker fixe Jobs, ist Weichert etwa als Rechtswissenschafter tätig, Sänger Marcus Bischoff als Krankenpfleger oder Bassist Eric Bischoff als Ergotherapeut. “Wir sind wie ein Kegelverein, der sich jede Woche trifft”, lachte Kreativkopf Weichert. “Und im Prinzip hat jetzt schon die Arbeit am Nachfolger angefangen.”
Klassischer Metalcore und ukrainische Stimmen
Davor gilt es aber, “Heimat” genau unter die Lupe zu nehmen: Die Einflüsse der Göteborger-Schule in Sachen Melodic Death Metal sind nach wie vor vorhanden, ebenso wie klassische Metalcore-Ausprägungen. Aber immer wieder kreuzen Heaven Shall Burn ihre Brecher mit orchestralen Klängen. Hierfür hat man erneut mit Komponist Sven Helbig und Dirigent Wilhelm Keitel zusammengearbeitet. Ein aus ukrainischen Sängerinnen und Sänger zusammengesetzter Chor für das mächtige “War Is The Father Of All” wurde gar in Wien eingespielt. “Das Grundsätzliche bleibt erhalten, unsere Trademarks, das sind wir unseren Fans schuldig”, nickte Weichert. “Aber dann hast du einen Song über Krieg, der von einem ukrainischen Chor gesungen wird. Das sind ganz andere Eindrücke und Zugänge, die du dazu hast. Das flasht uns dann schon.”
Womit man auch schon beim Inhaltlichen wäre: Denn “Heimat” ist als Titel für eine linke Metalband natürlich besonders – noch dazu, weil die Texte ja nach wie vor auf Englisch sind. “Ein Albumtitel muss die Leute berühren. Jeder muss eine Haltung dazu haben, eine Idee, es ist ihm nicht egal”, so Weichert. “Das passiert bei dem Begriff auf jeden Fall. In unserer linken Blase kriegen die Leute so ein Halskratzen, in der rechten Blase denken sie: Was will die Zecken-Band mit so einem Begriff? Der gehört uns mittlerweile!” In jedem Fall schaffe man, “dass alle mal darüber nachdenken, was Heimat für ihn oder sie bedeutet. Das ist eine schöne gedankliche Fingerübung. Dass irgendwelche rechtspopulistischen Kreise den Begriff auf einen Thron heben und mit irgendeinem identitären Schwachsinn ausfüllen, ist ein unhaltbarer Zustand. Genauso wie es kein guter Zustand ist, dass andere politische Kreis nicht mal mehr das Wort benutzen.”
Geschichtsbetrachtung statt Tagesanalyse
Auch die Kriege unserer Zeit blitzen in den Nummern immer wieder auf. “Als Band versuchen wir in unserer Kunst aber, uns von Tagespolitik und Tagesnachrichten fernzuhalten. Weil das in einer Entwicklung befindliche und total volatile Prozesse sind, die auch wieder drehen können”, unterstrich der Gitarrist. “Deshalb betrachten wir eher abgeschlossene geschichtliche Prozesse und Ereignisse und versuchen damit, den Leuten Schlüsse und Lehren für aktuelle Sachen mit an die Hand zu geben.” Wenn US-Präsident Donald Trump nach Protesten gegen seinen Migrationskurs also die Nationalgarde mobilisiert, schreiben Heaven Shall Burn einen Song “über einen Studentenaufstand in Südkorea, wo die Militärjunta damals Leute auf der Straße einfach abgeschlachtet hat. So versuchen wir die Gültigkeit des Statements, diese Grundmechanismen und Strukturen rauszuarbeiten, die hinter ganz vielen Konflikten die gleichen sind.”
Wie sieht Weichert aber die Verrohung der Sprache, die auch in offiziellen Kreisen immer stärker zu Tage tritt? “Die Offensichtlichkeit ist eine andere, aber ich habe keinen Zweifel daran, dass auch frühere US-Präsidenten hinter verschlossenen Türen mit unterlegenen Nationen genauso geredet haben”, verwies er auf Trump, “mit genau der gleichen Attitüde. Nun ist die Verdeckung weggeflogen.” Soziale Medien würden mit ihrer Dynamik dem noch zuarbeiten, “die sind ja von Aufmerksamkeit getrieben. Und solche Kommunikation erzeugt davon eben mehr als Metaebenen oder Subtext. Das funktioniert ja gar nicht mehr. Die Diskursmechanismen, die zu einer Meinungsbildung in einer Demokratie wichtig sind, sind ja völlig erodiert.” Stattdessen sei eine “völlige Isolierung” zu beobachten: “Das ‘divide et impera’-Prinzip: Jede Blase existiert für sich und ist dadurch besser beeinflussbar, weil diese kommunikative Erosion darüber liegt.” Letztlich zeige sich jetzt der Kapitalismus in all seiner negativen Pracht. “Es ist das absolut demaskierte Endstadium des Kapitalismus”, nickte Weichert. “Der Kapitalismus hat sich schon immer so wenig um die Menschen geschert wie jetzt, aber jetzt kann der Kapitalismus das den Menschen ins Gesicht sagen und es stört sie nicht mehr.”
Herausforderungen auf allen Ebenen
Als Band wie Einzelpersonen sprechen Heaven Shall Burn all das immer wieder an und engagieren sich aktiv. Dass die Gruppe aber auch mit anderen Herausforderungen klarkommen muss, zeigte sich erst vor wenigen Wochen: Sänger Bischoff musste aufgrund einer Halsinfektion den Auftritt bei Rock am Ring abbrechen, doch weitere Festivalshows standen an. Kurzerhand sprang Britta Görtz von Hiraes ein. Wie herausfordernd das war? “Das machst du nur, wenn du über die Frage erst hinterher genau nachdenkst”, schmunzelte Weichert. “Was da alles für Hürden zu überwinden sind! Es ist im Prinzip ja völliger Wahnsinn, das zu machen. Britta hatte eineinhalb Tage Zeit, hat sich von Udo Dirkschneider noch einen Teleprompter ausgeliehen, da waren noch alte U.D.O.- und Accept-Lyrics drauf”, lachte er. “Das war schon ein krasser Ritt.”
Aber jedem in der Band sei klar gewesen: Wenn es funktioniert, dann nur mit ihr, ist Görtz doch auch Vocalcoach und daher für vieles gerüstet. “Sie war eine ideale Besetzung für so einen Feuerwehrjob.” Das hat die Sängerin dann auch vor kurzem beim Nova Rock im Burgenland bewiesen. Nicht nur dort sei das Feedback überaus positiv gewesen. “Wir sind in ein Luftkissen aus Liebe unserer Fans reingefallen. Es war ein so überschwänglicher und positiver Empfang, der uns grinsend und glücklich zurückgelassen hat”, nickte Weichert. Als kleines Geschenk retour darf sich die Anhängerschar nur “Heimat” zu Gemüte führen.
(Das Gespräch führte Christoph Griessner/APA)
(S E R V I C E – www.heavenshallburn.com)
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