Von: apa
Ihr wollt ein wenig Theatralik? Ihr wollt eine gute Show? Dann seid ihr bei St. Vincent genau richtig: Die US-amerikanische Musikerin war Dienstagabend nach langen Jahren der Absenz endlich wieder in Österreich zu erleben und wurde den Vorschusslorbeeren vollends gerecht. Als exaltierte Popgöttin, die mit dem Publikum gerne auf Tuchfühlung geht, schuf sie im Globe Wien besondere Momente und untermauerte ihre Ausnahmestellung im modernen Musikzirkus auf eindrucksvolle Weise.
Keine Berührungsängste
Annie Clark, wie die Musikerin eigentlich heißt, ist ja nicht erst seit gestern auf allen Kanälen angesagt: Gut 20 Jahre ist sie mit ihrem Projekt mittlerweile unterwegs, das erste Studioalbum “Marry Me” datiert aus 2007. Seitdem hat St. Vincent nicht nur die verschiedenen Stufen popkultureller Aufmerksamkeit durchgespielt – einige Beziehungen zu Stars aus Mode und Kino inklusive -, sondern sich vor allem beständig neu erfunden. Ob exaltierter Rock, minimalistischer Elektrosound oder Big-Band-Klänge mit Größen wie David Byrne, Berührungsängste kannte Clark nie.
Aktuell ist St. Vincent mit Album Nummer sieben, dem im Vorjahr erschienenen “All Born Screaming” unterwegs. Und es ist beileibe keine schlechte Zeit, um sie live zu bewundern. Nicht nur wird die Sängerin und Gitarristin, die sich zwischen lasziver Diva und augenzwinkerndem Schelm inszenierte, von einer hervorragenden, vierköpfigen Band begleitet (hervorzuheben ist besonders Keyboarderin Rachel Eckroth, die auch die wunderbaren Gesangsharmonien lieferte), ganz generell scheint sie gerade am Höhepunkt ihres Schaffens.
Aufstehen, jetzt!
Der Opener “Reckless”, der auch die jüngste Platte einleitet, spielte eindrucksvoll mit einer Leise-Laut-Dynamik, bevor “Fear The Future” und “Los Ageless” in die Indie-Disco baten. Ihre Verwunderung, warum das Publikum im bestuhlten Globe immer noch nicht aufgestanden war, dauerte zum Glück nicht lange – wobei das Venue trotz des performativen Aspekts dieses Konzerts wie ein kleiner Fehlgriff wirkte. Diese Show verlangte nach Bewegung, Energie und Ekstase, keinen strengen Sitzreihen, die die Hardcore-Fans erst mühsam überwinden mussten.
Aber Annie Clark schafft bei so etwas schnell Abhilfe: Von Beginn an suchte die Musikerin den Kontakt zu den Menschen, schnappte sich hier ein Kapperl und dort eine Brille, während Köpfe und Hälse liebkost wurden. In Wien gebe es schließlich nicht nur hervorragenden Kaffee, wie Clark zum Gaudium der Menge augenzwinkernd erklärte. Dies sei eine Stadt der Träume und sie und ihre Band “verdammte Piraten”. Also wann, wenn nicht jetzt Segel setzen, um neue Ufer zu erkunden?
Reduktion traf Ausbruch
Wie präzise ihr Songwriting mittlerweile geworden ist, bewies das spät gesetzte “Hell is Near”, das mit einer unwiderstehlichen Melodie aufwartete, während der zarte Groove sich in die Gehirnwindungen bohrte. Aber auch das pulsierende “Flea” oder “Cheerleader”, zwischen Reduktion und Ausbruch changierend, wussten auf ganzer Linie zu überzeugen. Zum melancholischen “New York” wurde eifrig mitgeklatscht, “genauso wie es Mozart erfunden hat”, schmunzelte die Sängerin. Das fällt auch nur einer St. Vincent ein, die währenddessen von der Bühne stieg und bis in die letzten Ränge des Globe wanderte, ganz nah an den Leuten.
Nach eineinhalb Stunden war dann Schluss, markierte “Candy Darling” den intimen Rausschmeißer für einen Auftritt, der alle Erwartungen und noch mehr erfüllte. Und doch blieben Fragen: Warum war nicht jeder einzelne Sitz besetzt? Warum gehört diese großartige, mit so viel Witz, Charme und Qualität ausgestattete Musikerin nicht zu den auch kommerziell größten Popstars des Planeten? Und wann kann man die mehrfache Grammy-Gewinnerin das nächste Mal hier erleben, nicht erst wieder nach über zehn Jahren Pause? Die Antworten sind aber egal, denn vorerst kann man schwelgen in Erinnerungen an eine Show, die ihresgleichen sucht.
(Von Christoph Griessner/APA)
(S E R V I C E – https://ilovestvincent.com)
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