Von: apa
Sally Rooney hat angeblich besonders bei Millennials Starstatus erlangt. Ihre in über 40 Sprachen übersetzten Bücher “Gespräche mit Freunden”, “Normale Menschen” und “Schöne Welt, wo bist du” sind Bestseller. Im neuen Roman setzt die Irin auf ihr bewährtes Thema komplizierte Beziehungen und gewährt Einblicke in problembeladene Gedanken: “Intermezzo” bietet Sex, Zweifel, Sehnsüchte und Bruderzwist. Die Komplexität ist erdrückend, die sprachliche Qualität weniger beeindruckend.
Es ist alles sehr kompliziert: Die Brüder Ivan und Peter haben sich auseinandergelebt und wenig gemeinsam. Peter ist Menschenrechtsanwalt, erfolgreich, aber desillusioniert. Seine Schwächen kompensiert er mit Wut und Drogen, seinen jüngeren Bruder hält er für einen Loser. Ivan wiederum, ein begnadeter Schachspieler, hadert mit der, wie er meint, Irrationalität der Regeln und Prozesse des Lebens, seinen Bruder nennt er ein Arschloch. Seit dem Tod des Vaters hat sich der Graben zwischen den Männern vertieft.
Ivan war mit seinem Vater eng verbunden. Und mit dessen Hund, der nun bei der Mutter lebt, die einst die Familie wegen eines neuen Partners verlassen hat – eine weitere kaputte Beziehung in einem Buch mit vielen problematischen Beziehungen. Paul (klar, dass seine Beziehung zum Vater auch nicht ganz reibungslos war) liebt eigentlich seine Ex-Freundin, mit der er weiter freundschaftlichen Umgang pflegt, aber auch eine wesentlich jüngere Frau, die in einem besetzten Haus lebt und ihr Geld damit verdient, verschreibungspflichtige Medikamente zu verkaufen und Nacktfotos von sich online zu stellen. Ivan wiederum verliebt sich in eine ältere Frau, die in Scheidung von ihrem alkoholkranken Mann lebt und nicht nur Ivans sexuelles Verlangen befriedigt, sondern ihn auch versteht und ihm Rückhalt gibt.
Rooney erforscht mit “Intermezzo” menschliche Dynamiken, die Charaktere sind lebendig und man glaubt nach dem Lesen, sie gut zu kennen. Als Anhäufung atemloser Gedankengänge über 500 Seiten ist der Roman aufgebaut. Lose Gedanken prallen auf innere Monologe. Um mit Dialogen nicht auszuscheren, verzichtete Rooney auf Anführungszeichen bei Gesprächen. Das Konstrukt ist beachtenswert: Die Autorin schafft es, zwischen expliziten Beschreibungen von Sex (New Adult lässt grüßen), Auseinandersetzung mit existenziellen Lebensfragen und ungelösten Familien- und Beziehungsproblemen sich mit der Frage, ob es einen Gott gibt, Schuldgefühlen, dem Leiden an chronischen Schmerzen und der Immobilienkrise auseinanderzusetzen, um nur einige Themen zu nennen. Und für den Hund des Vaters, den die Mutter nicht will, muss auch eine Lösung gefunden werden.
Allerdings versteht es Rooney, in dem Konvolut nicht den Faden zu verlieren und dann doch alles schlüssig auf den Punkt zu bringen, auch wenn die Gedanken immer wieder in alle Richtungen mäandern. Ein wenig erinnert das ausufernde Erzählen an Werke von Bret Easton Ellis (wobei sich die physische Gewalt bei Rooney sehr in Grenzen hält). Die literarische Qualität hinkt dieser inhaltlichen Fülle hinterher. An der deutschen Version kann es nicht liegen, dass Sätze mitunter sehr plump erscheinen. Denn Zoë Beck ist eine geschätzte Übersetzerin und mehrfach ausgezeichnete Autorin.
(Von Wolfgang Hauptmann/APA)
(S E R V I C E – Sally Rooney: “Intermezzo”, aus dem Englischen von Zoë Beck, Ullstein Verlag, 512 Seiten, 24,70 Euro)
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