Zwei Wege zur Energiegewinnung

Alpiner Bakterienstamm passt sich an den Jahreszeitenwechsel an

Montag, 12. Dezember 2022 | 08:00 Uhr

Innsbruck – Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben im Tiroler Gossenköllesee zum ersten Mal ein Bakterium entdeckt, das mit zwei verschiedenen Mechanismen Energie aus Licht gewinnt. Dies könnte eine Anpassung an den sehr ausgeprägten Jahreszeitenwechsel in den Alpen sein.

Der Jahreszeitenwechsel ist in den Alpen deutlich zu spüren. Moderate Temperaturen mit einer hohen Lichteinwirkung im Sommer weichen Monaten mit großer Kälte und nur wenig Sonnenlicht im Winter. Vor allem in Seen ist dieser Wechsel sehr deutlich zu spüren, weil die Eisdecke noch weniger Licht durchlässt.

Der Bakterienstamm Sphingomonas glacialis AAP5 wurde zum ersten Mal 2013 im Gossenköllesee entdeckt. Nun haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler herausgefunden, dass er sich auf besonderem Weg an den Jahreszeitenwechsel angepasst hat: Der Bakterienstamm benutzt zwei verschiedene Methoden, um Energie aus Licht zu gewinnen. Darüber berichtet eine wissenschaftliche Publikation, die soeben im renommierten Journal „Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS)“ veröffentlicht wurde. An der Studie, geleitet von Michal Koblížek von der Czech Academy of Sciences, waren auch Christopher Bellas und Ruben Sommaruga vom Institut für Ökologie der Universität Innsbruck maßgeblich beteiligt. Sommaruga, der Professor am Institut und Leiter der Forschungsgruppe „Lake and Glacier Ecology“ ist, erklärt, wie die Lichtsammlung des Bakteriums funktioniert.

Zwei Wege zur Energiegewinnung

„Lichtsammelnde Bakterien nutzen in der Regel nur einen der möglichen Mechanismen zur Energiegewinnung aus Sonnenlicht“, sagt Sommaruga. „Zwar wurden in einigen Bakterienstämmen bereits Gene identifiziert, die zwei Lichtsammelmechanismen enthalten, doch es gab bisher keine Beweise, dass eine Art auch tatsächlich beide nutzt. Bei Sphingomonas glacialis AAP5 konnten wir diesen Beweis jedoch erbringen.“

Bei dem ersten Mechanismus handelt es sich um protonenpumpende Rhodopsine. Diese Moleküle funktionieren wie eine von Lichtenergie getriebene Maschine, die einen Konzentrationsunterschied von Protonen zwischen dem Inneren und dem Äußeren der Bakterie aufbaut. Dieser Konzentrationsunterschied wirkt dann als Energiequelle für die Bakterie.

Der zweite Mechanismus ist die Photosynthese anhand von Bakteriochlorophyll-a. Dieses funktioniert ähnlich wie bei Pflanzen, die durch das grüne Chlorophyll-a in ihren Blättern Energie aus Sonnenlicht gewinnen. Die Photosynthese mit Bakteriochlorophyll-a kann aber auch Licht im langwelligen Bereich absorbieren und produziert keinen Sauerstoff (sogenannte anoxygene Photosynthese).

Wechselhafte Hochgebirgsseen

Um die Nutzung von beiden Lichtsammelmechanismen bei Sphingomonas glacialis AAP5 nachzuweisen, züchteten die Forscherinnen und Forscher Bakterienkulturen unter verschiedenen Licht- und Dunkelheitsverhältnissen und unter Temperaturen zwischen vier bis 25 Grad Celsius heran. Mittels RNA-Analyse untersuchten sie die Aktivität von Genen, die für die Lichtsammlung durch Rhodopsin oder Bakteriochlorophyll-a notwendig sind. Dabei zeigten die Experimente, dass bei dem neuen Bakterium die Energiegewinnung durch Bakteriochlorophyll-a bei niedrigen Temperaturen und niedriger Lichtintensität stattfindet, während die protonenpumpenden Rhodopsine nur bei Temperaturen unter 16°C und bei hoher Lichtintensität aktiv werden.

„Das Bakterium wendet die zwei Lichtsammlungs-Mechanismen unter sehr unterschiedlichen Licht – und Temperaturverhältnissen an“, sagt Sommaruga. „Deswegen gehen wir davon aus, dass es sich um eine Anpassung an den Jahreszeitenwechsel handelt und das Bakterium stets den optimale Mechanismus nutzen kann, z.B. wenn es sich gerade unter Eis befindet.“

Die Limnologische Forschungsstation Gossenköllesee

Der Gossenköllesee ist ein 1,6 ha großer Hochgebirgssee auf 2.416 Metern Seehöhe über dem Kühtaisattel in den Stubaier Alpen. An diesem See werden seit 1975 Daten erhoben, nachdem die ursprüngliche Forschungsstation am Finstertaler See einem Stauseeprojekt weichen musste. Von 1975 bis 2014 war der See als UNESCO Biosphärenreservat ausgewiesen.

Direkt am See befindet sich eine Forschungsstation der Universität Innsbruck, die 1994 grundlegend saniert wurde. Diese ist mit Strom und Wasser versorgt, sie enthält Laborplätze, Schlafmöglichkeit für sechs Personen, Küche, Sanitäranlagen, Sauna und einen Lagerraum. Am Dach befindet sich eine Wetterstation mit Online-Datenübertragung. Im See befindet sich eine Messboje, welche während der eisfreien Monate u.a. Temperatur, pH-Wert, Sauerstoffgehalt und Leitfähigkeit des Wassers misst. Zur weiteren Ausstattung gehören ein Boot und Taucherausrüstung für zwei Personen.

Aktuelle wissenschaftliche Untersuchungen am Gossenköllesee beschäftigen sich mit diversen wasserlebenden Organismengruppen wie Bakterien, Flagellaten und Copepoden und deren UV-Schutzmechanismen. Auch atmosphärischer Eintrag in und dessen Einfluss auf das Gewässer werden untersucht. Jüngste Studien widmen sich dem Fund und der Ökologie von neuen Viren im See.

Neben spezifischer Forschung werden an der Forschungsstation auch Monitoringprogramme betrieben. So ist sie ein LTSER (Long-Term Socio Ecological Research) Standort der LTSER Plattform Tyrolean Alps und LTSER Austria und seit 2015 ein Standort von GLEON (Global Lake Ecological Observatory Network). Er ist außerdem ein Ausbildungsort für Schüler und Studierende.

Von: mk