Heute für euch: Grüne Nummer für von Gewalt betroffene Frauen

Berichterstattung über Frauenmorde: Wenn Wörter zustechen

Mittwoch, 11. September 2019 | 08:39 Uhr

Die Berichterstattung über Gewalt an Frauen hinterlässt Spuren und ist nur allzu oft eine Ohrfeige ins Gesicht der Betroffenen. Es ist sehr wichtig, eine diskriminierungssensible Sprache zu verwenden und Vorurteile als auch Klischees aufzuweichen. Das gilt auch für die Berichterstattung über Frauenmorde.

Zentral ist es, Gewalt gegen Frauen und Mädchen als Gewalt zu benennen. Viel zu häufig sind in der Berichterstattung über Gewalt an Frauen, Klischees oder auch verharmlosende Begrifflichkeiten zu finden: So werden bei sexualisierter Gewalt häufig Begriffe wie „Sex-Skandal“, “Sexgangster”, “Sexmörder”, „Triebtäter“ oder “Sextäter” verwendet. Damit wird fälschlicherweise ein sexuelles Tatmotiv in den Vordergrund gestellt. Eine solche Wortwahl vermittelt den Eindruck, dass sexuelle Bedürfnisse die Ursache von sexualisierter Gewalt sind.

Bei sexualisierter Gewalt geht es jedoch um Macht und Unterdrückung. Keinesfalls darf sexualisierte Gewalt mit Sexualität gleichgesetzt werden! Vielmehr wird Sexualität als Instrument genutzt, um Macht auszuüben! Dasselbe gilt für sexualisierte Gewalt gegen Kinder: auch hier geht es um Machtmissbrauch mittels Sexualität!

Die Medien kreieren oft das Bild der “abnormen”, “kranken”  oder “perversen” Einzeltäter. Die Täter sind jedoch in der überwiegenden Mehrzahl nach außen hin unauffällige, als „normal“ geltende Männer. Das ist, wenn man genauer darüber nachdenkt, natürlich beängstigend.

In Berichten über sexualisierte Gewalt kommen oft Bilder zum Einsatz, die den Eindruck erwecken, sexualisierte Gewalt finde nachts an dunklen, einsamen Orten durch vermeintlich fremde, unbekannte Täter statt. Die Realität lehrt uns jedoch, dass ein sehr großer Anteil aller Übergriffe im sozialen Umfeld der betroffenen Mädchen und Frauen stattfindet. Das heißt konkret dort, wo sie sich am sichersten fühlen sollten – nämlich in der Familie, im Freundeskreis, am Arbeitsplatz oder in der eigenen Wohnung. Sehr oft handelt es sich bei den Tätern um enge Bezugspersonen, wie beispielsweise den eigenen Partner, den Ex, einen engen Freund, den Vater, Onkel oder den Großvater.

Weiters gilt es, den Begriff „Kinderschänder“ zu vermeiden. Dieser wird nämlich von der extremen Rechten und Neonazis benutzt – für  politische Hetze und autoritären Positionen. Einer derartigen Instrumentalisierung muss aktiv entgegengewirkt werden. Zudem verstärkt der Begriff die Stigmatisierung Betroffener sexualisierter Gewalt in Kindheit und Jugend, indem er andeutet, dass sie dauerhaft ‚geschändet‘ sind.

Bestehende Ängste und Unsicherheiten bei Kindern und Jugendlichen, aber auch Erwachsenen, sollten durch die Berichterstattung nicht verstärkt werden. Wichtig ist es, aufzuklären und Tabus aufzubrechen.

Die Wörter „Missbrauchte“ und „Vergewaltigte“ verharmlosen die Tat. Geeigneter sind Begriffe wie zum Beispiel “Betroffene sexualisierter/sexueller Gewalt”.

In der Berichterstattung über häusliche Gewalt einschließlich schwerer Formen von Gewalt, die für Frauen tödlich enden, ist immer wieder von ‚Familiendramen‘, ‚Familientragödien‘, ‚Streitigkeiten‘ oder ‚Eifersuchtsdramen‘ die Rede. Diese Begrifflichkeiten verstärken ein weit verbreitetes Bild, dass es sich bei häuslicher Gewalt um „Konflikte“ in Paarbeziehungen handelt. Doch das relativiert und verharmlost häusliche Gewalt gegen Frauen – es geht nicht um „Beziehungsstreitigkeiten“, sondern um Gewalt gegen Frauen durch aktuelle oder frühere Beziehungspartner.

Jedes Jahr werden in Italien unzählige Frauen vom eigenen Partner oder Expartner, Stalker getötet. In vielen dieser Fälle tötet der (Ex-)Partner die Frau, wenn sie Trennungsabsichten äußert, in Ruhe gelassen werden will, oder nach der Trennung. Oft hatten Frauen zuvor verzweifelt versucht, sich in Sicherheit zu bringen oder Hilfe zu bekommen. Es wird der Tatsache, dass sie getötet wurden, nicht gerecht, die Situation als „Drama“ zu beschreiben.

Es gibt nicht wenige Fälle, wo der Täter die Frau tötet als auch die gemeinsamen Kinder. Tötet er im Anschluss auch noch sich selbst, wird gehäuft von „erweitertem Suizid“ gesprochen, ungeachtet der Frage, ob die anderen Familienmitglieder der Tötung zugestimmt haben. Daher ist auch dieser Begriff zu vermeiden.

Bei der Beschreibung von häuslicher Gewalt sollten die Taten und Täter klar benannt werden, denn es geht um Gewalt. Angemessene Begriffe im Falle der Tötung von Frauen sind Frauenmord oder Tötung von Frauen. Auf internationaler Ebene wird auch häufig der Begriff Femizid verwendet.

Fälle, in denen die Gewalt gegen Frauen von geflüchteten oder nicht-italienischen Männern ausgeht, sind deutlich präsenter in der öffentlichen Diskussion und in den Medien. Studien haben belegt, dass unbekannte Täter häufiger angezeigt werden, verstärkt auch dann, wenn sie nicht die Landessprache sprechen. Bei der Berichterstattung über Gewalt gegen Frauen und Mädchen ist die mutmaßliche „Herkunft“ des Täters in den allermeisten Fällen keine relevante Information – denn es geht um geschlechtsspezifische Gewalt.

In der Berichterstattung über Gewalt an Frauen wird oft das Wort „Opfer“ verwendet. Es handelt sich um einen Begriff aus dem Strafrecht und hat dort eine Bedeutung, weil sich daraus etwa bestimmte Rechte ableiten. In der Alltagssprache wird der Begriff jedoch oft mit Schwäche, Inkompetenz, Ohnmacht und Hilflosigkeit in Verbindung gebracht. Viele Betroffene von Gewalt empfinden den Begriff deswegen als stigmatisierend. Es ist sehr zu empfehlen, anstelle des Begriffs „Opfer“, Betroffene oder Verletzte zu schreiben.

Zu guter Letzt sollten die Begriffe “Kurzschlussreaktion” und “Raptus” vermieden werden, denn in den allermeisten Fällen ging dem Frauenmord schon lange vorher Gewalt voraus. Irgendwann wird die “Dosis” an Gewalt bis ins Extrem erhöht. Gelitten wird oft im Stillen, der Schein wird aus Angst, Scham und Abhängigkeit gewahrt. Die Betroffenen halten das Unaushaltbare aus und wissen nicht, wie sie aus der Misere herauskommen könnten.

An alle von Gewalt betroffenen Frauen in Südtirol: Holt euch Hilfe. Es gibt sie. Ihr werdet nicht alleine gelassen!

Aufnahme und Begleitung von Frauen und Kindern in Gewaltsituationen

Haus der geschützten Wohnungen in Bozen: grüne Nummer 800 892 828

GEA Kontaktstelle gegen Gewalt und Frauenhaus in Bozen: grüne Nummer 800 276 433

Beratungsstelle und Frauenhaus in Meran: grüne Nummer 800 014 008

Beratungsstelle und Frauenhaus in Brixen: grüne Nummer 800 601 330

Beratungsstelle und Frauenhausdienst Bruneck: grüne Nummer 800310303

Von: bba