Es gibt auch Schattenseiten

Organspende – ein kontroverses Thema

Dienstag, 25. September 2018 | 07:05 Uhr

Auf einem Schlag kann alles vorbei sein. Ärzte versuchen dann ihr Bestes, um zu retten, was sie können. Wenn der Tod nicht mehr aufzuhalten ist, werden Patienten jedoch zu potentiellen Organspendern. Anna Bergmann, Kulturhistorikerin mit dem Schwerpunkt Medizingeschichte, kritisiert die Organtransplantation scharf.

Bergmann kritisiert eine Medizin, die den Menschen unter dem Aspekt seiner Verwertbarkeit betrachtet. Die Transplantationsmedizin mache ein Konkurrenzverhältnis zwischen zwei Patienten auf: Der eine Patient werde instrumentalisiert für das Leben des anderen.

„Organspende rettet Leben“ heißt es in der Werbung. Wenn der eigene Körper aufgibt, ist es dann nicht eine moralische Pflicht, die eigenen Organe bereitzustellen, um das Weiterleben eines anderen Menschen zu ermöglichen?

Anna Bergmann argumentiert: „Wir hören immer Zahlen, dass es so und so viel Menschen gibt, die sterben müssen, weil es zu wenig Organspender gibt. Diese Menschen sterben jedoch nicht, weil es keine Organspender gibt, sondern weil sie todkrank sind.“

Heute arbeiten wir daran, dass der Tod heilbar ist. Für eine Organentnahme ist der “Hirntod” Voraussetzung. Hirntod bedeutet, dass Groß-, Klein- und Stammhirn unwiderruflich ausgefallen sind. Der übrige Körper lebt. Wesentliche neurologische Funktionen bleiben erhalten: Reflexe funktionieren. Diese Patienten werden weiter ernährt und gepflegt. Tote, die lebende Organe spenden: Ein Widerspruch in sich?

Seit der Harvard Definition 1968 gilt ein Mensch schon als tot, wenn das Gehirn versagt, obwohl alle anderen Körperfunktionen noch erhalten sind. Transplantable Organe des „Hirntoten“ müssen jedoch lebensfrisch sein, das heißt von einem Menschen stammen, der noch maschinell beatmet wird. Er ist warm, sein Herz schlägt, er kann Fieber haben und wird gepflegt. Er bewegt sich spontan und reagiert auf Berührung. Beim Einschnitt des Chirurgen in den Körper des Organspenders steigt in zahlreichen Fällen der Blutdruck rasant an. Aus diesem Grund bekommen Spender bei der Organentnahme immer muskelentspannende Mittel und Opiate. In vielen Fällen sogar eine Vollnarkose. Angesichts dieser Tatsachen stellt sich die Frage danach, wie tot Hirntote sind, denen Organe entnommen werden. Ganztot, halbtot, scheintot, sterbend oder noch lebend?

Das Menschenbild der Transplantationsmedizin geht laut Bergmann von einem Körper aus, der wie eine Maschine reparabel ist, der menschliche Leib werde unterteilt in verschiedene autonome Organe, die beliebig ein- und auspflanzbar sind. Die Grenze zwischen Leben und Tod scheint dehnbar geworden zu sein. Das Interesse der Wissenschaft und Forschung hat nur ein Ziel: Leben zu verlängern. Die Mittel dazu liefert der Mensch selbst.

Laut Bergmann wird mit Begriffen hantiert wie „Herz-Lungen-Paket“, „Human Vegetable“ (menschliches Gemüse). Es findet eine entmenschlichte Perspektive auf den Menschen statt, der zum Lieferanten von Rohstoffen beziehungsweise Organen wird.

Das alles spielt sich zwischen Leben und Tod ab. Während der potentielle Organ-Empfänger auf die Operation vorbereitet wird, tickt die Uhr für den Spender und seine Angehörigen. Die Körperwohnung wird aufgelöst, die Möbel werden ausgeräumt. Das ändert auch unsere Sterberituale: Bergmann sagt dazu, dass der Trauerprozess auf eine extreme Weise gestört und nicht respektiert werde. Sterbebegleitung sei aber sehr wichtig für den Trauerprozess. Es sei wichtig, den Menschen unversehrt zu lassen und ihn nicht in seinen letzten Stunden dieser großen chirurgischen Operation auszuliefern.

Das kulturelle Umdenken im Umgang mit Sterben hat erst seit einigen Jahren begonnen. Ein Beispiel: die Hospizbewegung. Die Organtransplantation steht dazu im krassen Widerspruch.

Laut Bergmann sind auch die Nebenwirkungen, die Organempfänger haben, nicht zu vertuschen. Sie müssen lebenslang Immunsuppressiva einnehmen, damit das Organ nicht wieder abgestoßen wird. Sie bleiben ein Leben lang Patienten. Jeder Organempfänger muss mit Krebs rechnen, weil das Immunsystem heruntergedrosselt wird. Außerdem sind Fälle von Organempfängern, die versehentlich Organe von Krebspatienten erhalten haben, ans Tageslicht gekommen. Folge: Der Krebs bahnte sich im neuen Körper seinen Weg.

Das Ganze erinnert Anna Bergmann an die “Schafottmedizin”: In der Vormoderne, in der Zeit zwischen dem 16. und dem 19. Jahrhundert, wurden Körperteile von Hingerichteten als Therapeutikum verwendet. Das Blut der Hingerichteten wurde gegen Epilepsie getrunken, Menschenfett wurde gewonnen und in Salben gegen Rheuma und Gicht verarbeitet. Diese Medizin wird in der Kulturwissenschaft als “kannibalistische Medizin” bezeichnet. Paracelsus hat im 16. Jahrhundert diese Medizin mit dem Begriff der “Transplantation” gekennzeichnet. In der Transplantationsmedizin geht es letzten Endes auch um die therapeutische Einverleibung von menschlichen Organen beziehungsweise Fleisch.

Anna Bergmann in einem Interview zum Thema “Organspende”:

Operationsschwestern, die Organtransplantationen beigewohnt haben, brechen ihr Schweigen. Sie finden, dass das, was hinter den Kulissen geschieht, ethisch nicht zu vertreten ist. Warum bewegen sich Hirntote trotz Vollnarkose und Schmerzmittel bei der Organentnahme? Warum werden sie festgeschnallt? Die “Hirntot”-Diagnose sollte ja bedeuten, dass der Patient nichts mehr spürt? “Hirntot” sei ein fragwürdiges Kriterium für Organ-Transplantationen, erklären die Schwestern.

Hier ein Interview mit einer OP-Schwester, die jahrelang erlebt hat, was bei Organtransplantationen passiert und folglich zur Gegnerin der Transplantationsmedizin geworden ist:

 

https://www.youtube.com/watch?v=oWrvmDaKhl4

Womit Bergmann recht hat, ist sicher der fragwürdige Umgang mit dem Tod in unserer Gesellschaft. In unserem Jugendwahn wird er beiseitegeschoben und an den Rand gedrängt und wir warten nur darauf, dass die Medizin ihn endlich besiegt.

Doch noch ist der Tod endgültig, er gehört somit zum Leben dazu und es ist auch nicht absehbar, dass sich das so schnell ändern wird.

Aber man darf auch nicht vergessen: Dass Organspenden Leben retten, ist mehr als nur ein Slogan, sondern es geschieht tatsächlich. Organspenden können das Leben der Empfänger verlängern und deren Lebensqualität unter Umständen verbessern.

Angehörige haben durch eine Spende die Möglichkeit, mehr Zeit mit den Patienten zu verbringen – eine Chance, die nicht zu unterschätzen ist.

Beim Thema Organspende scheiden sich die Geister. In den letzten Jahren wurde viel darüber diskutiert, ob der Hirntod wirklich das Leben beendet. Hinzu kamen einige Skandale, die das Vertrauen in die Transplantationsmedizin nachhaltig erschüttert haben. Ob man sich nun für oder gegen eine Organspende entscheidet, bleibt wohl eine sehr persönliche Entscheidung, die einem niemand abnehmen kann.

Wichtig ist es deshalb, sich vorher zu informieren. In Italien sollte eigentlich die “Legge n. 91” aus dem Jahre 1999 die Organspende regeln. Wer zu Lebzeiten keine Erklärung abgegeben hat, würde demnach automatisch zum Organspender werden. Dieses Gesetz ist bisher nie in Kraft getreten. Der vorübergehend geltende Artikel 23 besagt, dass man zu Lebzeiten mittels einer Willenserklärung (Bereitschaft zur Organspende oder Ablehnung) mitteilen kann, ob man seine Organe spenden möchte, oder nicht. Geschieht dies nicht, treffen die nahen Angehörigen die Entscheidung, wenn es heißt: “Hirntod eingetroffen”.

Weil sich kaum jemand vor seinem Tod mit dem Thema “Organspende” auseinandersetzt, müssen diese Wahl in sehr vielen Fällen die Angehörigen übernehmen – und das in einer emotionalen Ausnahmesituation, in der ihnen ganz gewiss nicht den Kopf danach steht, rational das Für und Wider abzuwägen.

Will man den Hinterbliebenen das emotionale Bauchweh durch Mutmaßungen ersparen, was wohl der Wille ihres geliebten Menschen gewesen sein könnte, bleibt ein „Ja” oder „Nein” auf dem Organspende-Ausweis doch alternativlos.

Deshalb empfiehlt es sich, bereits zu Lebzeiten sich über das Thema Organspende genau zu erkundigen und die eigene Entscheidung vorab den nahen Angehörigen mitzuteilen, damit sie im Ernstfall nicht mit dieser Bürde belastet werden.

Im besten Fall gebt ihr eure Willenserklärung nach reiflicher Überlegung selbst ab. In Südtirol kann man hier das Formular herunterladen.

Von: bba