Von: mk
Die Werbung suggeriert: Vor allem wenn Kinder in der Nähe sind, muss alles blitzblank sauber sein, überall lauern Mikroben. Doch wäre das so schlimm? Wissenschaftler aus aller Welt sagen Nein. „Dreck“ könne unter bestimmten ein Schutz vor Allergien sein.
„Holt Bakterien und Pilze in eure Wohnungen“, lautet der seltsame Appell der Wissenschaftler. Sie regen sogar an, Gebäude künftig so zu konstruieren, dass manche Mikroorganismen sich besonders gern darin ansiedeln – im Sinne der Gesundheit. Menschen könnten sich ihrer Meinung vielleicht sogar eines Tages einen ganzen Bakterien-Zoo halten.
„Es ist ein verbreitetes Missverständnis, dass alle Mikroben in unserem Zuhause gesundheitsschädlich sind. Viele Mikroorganismen haben gar keinen Effekt auf die Gesundheit, manche fördern sie sogar“, erklärt Jordan Peccia, der an der Yale University erforscht, mit welchen Bakterien und Pilzen Menschen zusammenleben und welchen Einfluss das auf ihre Gesundheit hat.
Das Immunsystem von Babys und Kleinkindern muss erst lernen, was gefährlich ist. Doch dazu muss es mit den jeweiligen Stoffen erst einmal in Kontakt kommen. Speichert es eigentlich harmlose Substanzen als problematisch ab, entstehen Allergien mit all ihren lästigen Folgen: Die Haut juckt, die Augen tränen und im Extremfall kommt es sogar zu einem Kreislaufzusammenbruch. Ein allergischer Schock kann lebensgefährlich werden.
Dreck ist nicht gleich Dreck
Dreck ist jedoch nicht gleich Dreck: Eine mehrjährige Studie mit mehr als 400 Kindern in armen Stadtvierteln von Baltimore, Boston, New York oder St. Louis zeigte, dass der Kontakt mit allergieauslösenden Stoffen von Mäusen, Kakerlaken und Katzen im ersten Lebensjahr zwar das Allergierisiko senken kann. Wer in den ersten drei Lebensjahren allerdings in einer insgesamt dreckigen Umgebung mit reichlich Mäusekot, Hausstaub und Kakerlakendreck gelebt hat, muss mit einem erhöhten Allergierisiko rechnen. Negativ wirken sich auch Zigarettenrauch und Luftschadstoffen aus.
Auch Jörg Kleine-Tebbe von der Deutschen Gesellschaft für Allergologie und Klinische Immunologie (DGAKI) mahnt zur Vorsicht. Was genau im Detail das Allergierisiko verringere, wisse man in vielen Fällen nicht so genau. Er rät Eltern, ihre Kinder möglichst viel im Freien spielen zu lassen und mit ihnen in den Wald oder auf den Spielplatz zu gehen.
Wenn Kinder insgesamt viel Kontakt mit der Umwelt haben, bringt das Nuckeln an ungewaschenen Händen wohl kaum einen zusätzlichen Vorteil. Stattdessen wächst das Risiko einer Infektionskrankheit. Vor dem Essen dürfen die Hände also ruhig gewaschen werden.
Der Tipp, schon kleine Kinder einer großen Bakterienvielfalt auszusetzen, fußt auf einer Erkenntnis: Kinder, die auf einem Bauernhof aufwachsen, leiden seltener unter Allergien oder Asthma.
Auch Daumenlutschen und Nägelkauen gesund?
Eine weitere aktuelle Studie, die im Fachmagazin Pediatrics erschienen ist, räumt mit einem weiteren Klischee auf. Demnach sollen Kinder, die an ihrem Daumen nuckeln oder Nägel kauen, weniger anfällig für Allergien sein. Untersucht wurden die Nuckelgewohnheiten von über 1.000 Kindern aus Neuseeland im Alter von fünf, sieben, neun und elf Jahren.
Im Alter von 13 und 32 Jahren litten im Schnitt 38 von hundert Daumenlutschern oder Nägelkauern unter einer Allergie. In der Vergleichsgruppe waren es immerhin 49. Auch als die Forscher andere Einflussfaktoren auf das Allergierisiko herausfilterten, blieb der Zusammenhang bestehen. Die Ergebnisse beziehen sich allerdings auf Allergietests und nicht auf Allergien, die nach dem Auftreten von Symptomen entdeckt wurden.
Auch hier geben sich die Forscher zurückhaltend und warnen Eltern davor, ihren Nachwuchs zum Daumenlutschen oder Nägelkauen zu animieren. „Obwohl Daumenlutscher und Nagelbeißer bei Allergietests seltener reagierten, konnten wir keinen direkten Zusammenhang mit Asthma oder Heuschnupfen herstellen“, erklärt Stephanie Lynch von der University of Otago. Außerdem: Der konkrete Nutzen sei im Verhältnis zu möglichen Risiken noch unklar.
Das Immunsystem bereits vor der Geburt stärken
Auch Eltern, die ihre Kinder fern von Viehhaltung aufziehen, können das Immunsystem ihrer Sprösslinge stärken. Das beginnt schon vor der Geburt. Der Tenor lautet auch hier: Vielfalt statt Vorsicht.
Die DGAKI empfiehlt Schwangeren daher, sich möglichst ausgewogen zu ernähren. Ausdrücklich sollte die Frauen auch Nahrungsmittel essen, gegen die Allergien entstehen können. Nahrungsmittel, auf die die Mutter selbst allergisch ist, kommen natürlich nicht infrage.
Vielfältig wird es auch bei der Geburt. Im Geburtskanal kommt der Säugling mit einer großen Menge unterschiedlicher Mikroorganismen in Kontakt. „Es gibt Hinweise darauf, dass Kinder, die durch Kaiserschnitt auf die Welt kommen, ein erhöhtes Allergierisiko haben“, erklärt die DGAKI.
Nach der Geburt trägt vor allem das Stillen dazu bei, das Immunsystem auf eine Vielzahl von Stoffen aus der Umwelt vorzubereiten. Nach vier Monaten sollten Babys laut den Forschern dann bereits normale Nahrung kennenlernen.