Mehrsprachigkeit im Aufwind

Sprachbarometer 2025 zeigt Wandel in Südtirol

Freitag, 21. November 2025 | 10:46 Uhr

Von: Ivd

Bozen – Südtirol bleibt mehrsprachig – und wird zugleich deutlich vielfältiger. Das neue „Südtiroler Sprachbarometer 2025“ des Landesstatistikamts ASTAT zeigt, dass Deutsch und Italienisch weiterhin den Alltag prägen, Mischidentitäten jedoch stark zunehmen. Rund sechs Prozent der Bevölkerung geben inzwischen mindestens zwei Muttersprachen an – ein Wert, der vor allem bei jüngeren Menschen sichtbar steigt. Acht Prozent der 16- bis 34-Jährigen nennen sowohl Deutsch als auch Italienisch als Muttersprache, bei den über 65-Jährigen sind es drei Prozent.

Auch unter den ausländischen Staatsbürgern wächst diese Mehrsprachigkeit. Gleichzeitig bleibt Ladin stabil: Etwa 8.600 Menschen sprechen Grödnerisch und 9.200 Badia-Ladin als Muttersprache – nahezu identisch mit den Zahlen von 2014. Albanisch rückt weiter auf und wird von knapp zwei Prozent der Bevölkerung als Muttersprache angegeben, damit fast gleichauf mit Grödnerisch.

Die sprachliche Integration verläuft differenziert: Vier von zehn Personen mit ausländischer Staatsbürgerschaft verstehen beide Landessprachen, sechs von zehn beherrschen Deutsch, acht von zehn Italienisch. Der Stellenwert von Mehrsprachigkeit bleibt ungebrochen hoch – über 80 Prozent der Befragten halten gute Kenntnisse beider Hauptsprachen für grundlegend. Dagegen wird die Bedeutung des deutschen Dialekts für das Zusammenleben geringer eingeschätzt.

Proporzsystem weiter stark verankert

Parallel zur Sprachentwicklung beleuchtet das Sprachbarometer, wie sensibel das Verhältnis der Sprachgruppen bleibt. Die Zustimmung zum Proporz als Ordnungsprinzip ist hoch:

  • 72 Prozent der deutschsprachigen,
  • 73 Prozent der ladinischen und
  • 53 Prozent der italienischsprachigen Bevölkerung

sehen im Proporz einen wichtigen Beitrag zum friedlichen Zusammenleben.

Gleichzeitig sind die Vorbehalte nicht zu übersehen: 56 Prozent der Befragten glauben, dass der Proporz negative Auswirkungen auf die Qualität öffentlicher Dienstleistungen haben könne. Zudem fühlt sich insbesondere ein Teil der italienischsprachigen Bevölkerung in Bereichen wie Arbeit, Bildung und Kultur weiterhin benachteiligt.

Kompatscher: „Kein Relikt, sondern Fundament“

Für Landeshauptmann Arno Kompatscher bleibt das System dennoch unverzichtbar. Der Proporz sei ein stabilisierender Gerechtigkeitsmechanismus, der Ausgleich und Fairness garantiere. „In einer Zeit, in der Migration, Mehrsprachigkeit und neue Identitätsfragen an Bedeutung gewinnen, sind Instrumente wie das Proporzsystem keine Relikte der Vergangenheit, sondern ein lebendiges Fundament für ein chancengerechtes Miteinander“, betont er.

Lebensqualität bleibt hoch – mit Unterschieden

Sehr positiv fällt die Bewertung der Lebensqualität aus. Landschaft, wirtschaftlicher Wohlstand und Autonomie werden besonders geschätzt. Die Mehrheit beurteilt das Leben in Südtirol deutlich besser als in anderen Regionen Italiens. Auffallend: Vor allem jüngere Menschen und Personen mit ausländischer Staatsbürgerschaft teilen diese Einschätzung.

Mehrsprachige Realität, komplexe Zukunft

Insgesamt zeichnet das Sprachbarometer ein Bild eines Landes, in dem Mehrsprachigkeit Alltag bleibt – aber komplexer wird. Klassische Sprachgrenzen verschwimmen, neue biografische Mischformen entstehen. Für Schule, Verwaltung und Politik bedeutet das: Die Sprachlandschaft verändert sich schneller, als viele Strukturen bislang reagiert haben. Gleichzeitig bleibt der Proporz – trotz Kritik – ein zentraler Stabilitätsfaktor.

Bezirk: Bozen

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