Von: red
Ein Neurobiologe erklärt, warum ihr eurem Geschmack nicht trauen könnt. Sehen wir wirklich, was wir schmecken? Bevor ihr auch nur einen Tropfen Wein gekostet habt, hat euer Gehirn bereits ein Urteil gefällt – und zwar auf Basis der Farbe. Das behauptet Gabriel Lepousez, 42 Jahre alt, Neurobiologe und Spezialist für sensorische Wahrnehmung. Seine Forschung zeigt: Unser Geschmackssinn ist stark beeinflussbar – durch das, was wir sehen.
Der dominante Sinn: Warum das Auge beim Wein entscheidet
Während eine Weinverkostung auf den ersten Blick wie ein Zusammenspiel von Geruch, Geschmack und Textur erscheint, spielt in Wahrheit ein Sinn die Hauptrolle: das Sehen. „Etwa 15 Prozent unseres Gehirns verarbeiten visuelle Informationen“, erklärt Lepousez. Im Vergleich dazu aktivieren Gerüche oder Geschmäcker nur rund ein Prozent unseres Cortex. Unsere visuelle Dominanz ist also evolutionär tief verankert – und beeinflusst jeden Schluck.
Farbpsychologie im Glas
Ein dunkler Rotton suggeriert Tiefe, Tannine, Stärke. Ein blassgoldener Wein wirkt leicht, frisch, fruchtig – selbst wenn die chemischen Eigenschaften identisch sind. Unsere Erwartungen verändern unsere Wahrnehmung. Die Farbe setzt den Rahmen, in dem Geschmack interpretiert wird.
Ein Experiment, das alles entlarvt
Lepousez verweist auf ein verblüffendes Experiment: Erfahrene Sommeliers verkosten Weißwein – allerdings mit rotem Farbstoff versetzt. Die Folge: Die Experten erkennen Aromen, die typischerweise mit Rotwein assoziiert werden – etwa dunkle Beeren oder Leder. Das zeigt, wie sehr visuelle Reize den Geschmack beeinflussen können. Unser Gehirn interpretiert das, was wir schmecken, abhängig davon, was wir sehen.
Wenn das Auge den Gaumen täuscht
Was lernen wir daraus? Dass die Farbe eines Weins keine rein dekorative Eigenschaft ist, sondern aktiv unser sensorisches Urteil formt. „Wer wirklich den Geschmack eines Weins erfassen will, sollte seine Augen kritisch hinterfragen“, sagt Lepousez. Nur so kann man lernen, den Wein mit allen Sinnen – und ohne Illusion – zu genießen.
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