Von: luk
Bozen – Das Gastgewerbe ist einer der wichtigsten Arbeitgeber Südtirols – und gleichzeitig ein Sektor mit ausgeprägtem Saisonrhythmus, zeitbefristeten Arbeitsverhältnissen und hoher Personalfluktuation. Um den Beschäftigten mehr vertragliche Stabilität zu bieten und den Fachkräftemangel abzumildern, hat das AFI | Arbeitsförderungsinstitut im Rahmen seiner Webinarreihe „AFI im Dialog…“ angeregt, über neue Vertragsmodelle nachzudenken. Der HGV findet die Initiative hingegen “wenig hilfreich.”
In seinem sechsten Webinar der Reihe „AFI im Dialog…“ hat das AFI | Arbeitsförderungsinstitut die Vertragsbedingungen im Südtiroler Gastgewerbe unter die Lupe genommen und smarte Lösungen skizziert, welche gleichzeitig die Saisonalität berücksichtigen und den Arbeitnehmenden eine höhere vertragliche Stabilität bieten.
Das „klassische“ Saisonsmodell und seine Tücken
Bislang prägt im Gastgewerbe vielfach das „klassische“ Saisonmodell den Arbeitsalltag, welches für einen wiederkehrenden Rhythmus steht, wie zum Beispiel vier Monate Beschäftigung, gefolgt von zwei Monaten Arbeitslosigkeit, anschließend erneut vier Monate Arbeit und wiederum zwei Monate ohne Anstellung. Im aufgezeigten Fall bedeutet dies für die Arbeitnehmenden, dass lediglich an acht Monaten im Jahr Sozialversicherungsbeiträge eingezahlt werden und sie die verbleibenden vier Monate auf Arbeitslosengeld angewiesen sind. Dazu kommt ein signifikanter bürokratischer Aufwand – insgesamt mindestens sechs Behördengänge sind nötig, um zwischen Beschäftigung und Arbeitslosigkeit hin- und herzuwechseln. Dieses fragmentierte Erwerbsmuster erschwert nicht nur die finanzielle und persönliche Planung, sondern hinterlässt auch Lücken in der Rentenbiografie und sorgt für Mehraufwand und Unsicherheit auf allen Seiten.
Der Weg zum Ausbau der Festanstellung
In Alternative dazu steht ein Modell, welches das AFI im Webinar in seinen Grundzügen erläutert hat und welches auf eine durchgängige Festanstellung übers Jahr fußt. Das abgeleistete Jahres-Arbeitsstundenkontingent bliebe gleich wie im „klassischen“ Saisonsmodell, würde jedoch gleichmäßig auf alle zwölf Monate verteilt. „In der Praxis würde dies bedeuten, dass in den Monaten der Hochsaison Mehrarbeit geleistet wird, welche in ein Arbeitszeitkonto einfließt. Dieses Zeitkontingent würde in den arbeitsfreien Wochen außerhalb der Saison wieder abgebaut“, erläutert AFI-Direktor Stefan Perini das Grundprinzip. „Damit entfällt der ständige Wechsel zwischen Anstellung und Arbeitslosigkeit.“
Kurzum: Die Beschäftigten erhalten lückenlose zwölf Monate an Rentenbeiträgen, müssen keinen einzigen Monat in der Arbeitslosigkeit überbrücken und sparen sich den ständigen Behördengang – statt sechs Mal im Jahr ist nur noch der Verwaltungsschritt der Anmeldung zu Beginn des Arbeitsverhältnisses notwendig. Dieses Beschäftigungsmodell, das auf Kontinuität setzt, schafft nicht nur Planungssicherheit für Arbeitnehmende, sondern reduziert auch den administrativen Aufwand für Unternehmen und öffentliche Stellen erheblich.
Eine Win-Win-Win-Situation
Für die im Gastgewerbe Beschäftigten wäre der Schritt zur ganzjährigen Festanstellung ein echter Gewinn. Statt saisonal bedingter Einkommensschwankungen erhalten sie das ganze Jahr über ein stabiles Gehalt, was auch die private Lebensplanung und beispielsweise den Zugang zu Krediten vereinfachen würde. Hinzu kommt, dass die Rentenbiografie lückenlos bleibt – jeder Monat ist mit Beitragszahlungen abgedeckt, was sich später auch positiv in der Höhe der Altersbezüge niederschlägt.
Auch Betriebe profitieren von dem „Festanstellungs-Modell“. Der Aufwand für die wiederkehrende Personalrekrutierung sinkt erheblich, da Mitarbeitende nicht mehr nach jeder Saison neu angeworben werden müssen, und die Belegschaft kann sich stärker mit dem Unternehmen identifizieren. Wertvolles Fachwissen, das sonst oft mit dem Ende der Saison verloren geht, bleibt im Unternehmen und kann gezielt weiterentwickelt werden. Zudem steigt die Attraktivität der Jobs im Gastgewerbe – insbesondere für einheimische Fachkräfte, die bisher oft vor der Unsicherheit saisonaler Verträge zurückschrecken.
Nicht zuletzt entlastet das Modell auch die öffentliche Hand. Weniger Verwaltungsakte bedeuten weniger Arbeitsaufwand in den Behörden, die bisher mehrfach im Jahr Vertragsbeendigungen, Anträge auf Arbeitslosengeld und Wiedereinstellungen abwickeln mussten. Die Arbeitsvermittlungszentren werden von kurzfristigen Arbeitslosmeldungen spürbar entlastet und gleichzeitig sinken die Ausgaben für Arbeitslosengeld.
Das Potential: 30 Prozent weniger Kurzzeitarbeitslose
Nach Hochrechnungen des AFI könnte eine vollständige Ablösung des „klassischen“ Saisonsmodells die sogenannte „Registerarbeitslosigkeit“ in Südtirol auf einen Schlag um 30 Prozent senken. „Derzeit haben wir sehr viele Kurzzeitarbeitslose, die eindeutig dem Gastgewerbe zugeordnet werden können. Im Jahr 2024 waren es beispielsweise knapp 5.000 Personen. Zumindest ein Teil davon könnte, vor allem dort, wo die saisonalen Unterbrechungen relativ kurz sind, über smarte Vertragslösungen stabilisiert werden“, erklärt Perini.
HGV: “AFI-Webinar wenig hilfreich”
Der Hoteliers- und Gastwirteverband (HGV) weist darauf hin, dass die Stellungnahme des Arbeitsförderungsinstitutes AFI zu den saisonalen Arbeitsverträgen im Gastgewebe den strukturellen Gegebenheiten in Südtirol nicht gerecht wird. Die Saisonalität ist keine frei gewählte Strategie der Gastbetriebe, sondern ergibt sich aus Rahmenbedingungen, insbesondere aus touristischen Nachfragezyklen, saisonalen Betriebszeiten sowie geografischen und klimatischen Faktoren. Dass all diese Faktoren das AFI im Webinar und der anschließenden Pressemitteilung nicht berücksichtigt hat, bedauert der HGV.
Weiters bedauert der HGV, dass in der zitierten Presseaussendung die Positionen der anwesenden Fachgewerkschaften nicht wiedergegeben worden sind. Alle vier Gewerkschaftsvertreter haben im Webinar betont, dass es weiterhin Betriebsphasen mit Schließzeiten geben wird und dass sich diese Realität nicht durch theoretische Vertragsmodelle auflösen lässt. Zudem bieten viele Betriebe ihren Mitarbeitenden bereits über die Saison hinausgehende Arbeitsverträge an, etwa für Rezeption, Verwaltung, Marketing oder auch für Küchenchefs.
„Viele Arbeitnehmende schätzen zudem bewusst die Flexibilität, die das saisonale Arbeitsmodell mit sich bringt“, weiß HGV-Direktor Raffael Mooswalder. Auch gilt es, eine differenzierte Betrachtungsweise anzunehmen, wenn man von Saisonalität in Südtirol spricht und nicht nach pauschalen Lösungen für unterschiedliche Situationen zu suchen. „Ein Betrieb im Meraner Raum hat andere Öffnungszeiten und dementsprechend andere Bedürfnisse als dies bei einem Betrieb im Gadertal der Fall ist. Wir sprechen hier von verschiedenen Realitäten“, so Mooswalder.
Ebenso weist der HGV die von AFI-Direktor Perini in den Medien erhobene Behauptung zurück, wonach in den Monaten, in denen Mitarbeitende Arbeitslosengeld beziehen, keine Sozialversicherungsbeträge eingezahlt werden. Diese ist irreführend, da auch dieser Zeitraum für die Berechnung der Rentenabsicherung berücksichtigt wird, was so auch im Webinar präzisiert wurde. Der HGV betont, erst im Rahmen des vor einem Jahr abgeschlossenen Landesabkommens gemeinsam mit den Gewerkschaften ein klares Regelwerk für die Saisonarbeit in Südtirol ausgehandelt zu haben, das sowohl den Bedürfnissen der Arbeitgebenden als auch jenen der Arbeitnehmenden Rechnung trägt. Darüber hinaus setzt sich eine eigens eingerichtete Arbeitsgruppe, bestehend aus Vertretenden der Gewerkschaften und des HGV, mit der Frage der Stabilisierung von Arbeitsverhältnissen im Tourismussektor auseinander und arbeitet an konkreten Lösungsmodellen, die auf betrieblicher Realität basieren und nicht auf theoretischen Modellrechnungen. Insofern erachtet der HGV den Vorstoß des AFI als wenig hilfreich, schreibt der HGV abschließend in der Presseaussendung.
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