Von: mk
Bozen – Sie bringen Arbeitsplätze, innovative Anbaumethoden und vor allem Hoffnung für einen Teil Italiens, der von Abwanderung und organisierter Kriminalität gekennzeichnet ist: landwirtschaftliche Sozialgenossenschaften, die in Süditalien anfangs im Rahmen der Konfiszierung von Mafia-Gründen entstanden sind und sich mittlerweile zu einer breiteren Bewegung weiterentwickelt haben. Mit Prof. Susanne Elsen und Prof. Luca Fazzi hat ein Soziologen-Team der unibz und der Universität Trient in einer qualitativen Studie untersucht, wer hinter diesen innovativen Betrieben steht, was ihren Erfolg ausmacht und warum sie dennoch mehr Unterstützung bräuchten.
Knapp 40.000 junge und vielfach gut ausgebildete Menschen pro Jahr laut Daten des Entwicklungsprogramms SUD 2030 zwischen 2002 und 2017 Süditalien verlassen, weil sie in ihrer Heimat keine Perspektiven für das eigene Leben sehen. Wirtschaftliche Unterentwicklung, Armut und hohe Arbeitslosigkeit und vor allem Gewalt und Ausbeutung durch die organisierte Kriminalität: die Probleme des Südens sind altbekannt und werden in Folge der Pandemie keineswegs besser. Doch es gibt auch hoffnungsvolle Entwicklungen – wie etwa eine steigende Zahl an innovativen landwirtschaftlichen Sozialgenossenschaften zeigt, mit denen immer mehr Menschen konkrete Zukunftsperspektiven für die Provinzen des Südens schaffen. Ein spannendes Laboratorium für Soziologinnen wie Prof. Susanne Elsen von der Freien Universität Bozen, die nun in drei Publikationen – hier eine der bereits veröffentlichten – die Ergebnisse einer qualitativen Studie aufgearbeitet hat, für die sie gemeinsam mit Prof. Luca Fazzi von der Universität Trient in Süditalien geforscht hatte.
Zwischen September 2019 und März 2020 führten die beiden Soziologen 20 Tiefeninterviews mit Verantwortlichen von Sozialgenossenschaften, Konsortien oder Netzwerken für soziale Landwirtschaft in insgesamt vier süditalienischen Provinzen durch. Ausgangspunkt für diese wachsende Bewegung, deren Produkte unter Dachmarken wie „Libera Terra“ oder GOEL vertrieben werden, war die Konfiszierung von Mafia-Grundstücken, die der Allgemeinheit für soziale Initiativen zur Verfügung gestellt wurden. Die Genossenschaften, die begannen das Land zu bewirtschaften, schufen neue Arbeitsplätze, in denen gesetzliche Standards respektiert werden, arbeiten vielfach nach ökologischen Maßstäben oder finden innovative Wege, alte Traditionen wieder zu beleben, „Das Wichtigste, das wir mit unserer Arbeit erreichen wollen, ist eine kulturelle Transformation unserer Region, eine Art Immunisierung gegen die jahrzehntelange Gewalt. Die Camorra hat eine wichtige Basis unserer Gesellschaft zerstört, wie das Vertrauen und die Beziehungen zu unseren Mitmenschen. Diese wieder aufzubauen gilt, neben den wirtschaftlichen Zielen, unser Hauptaugenmerk“, beschreibt einer der Interviewpartner die Philosophie hinter der wachsenden Bewegung.
Getragen wird sie vor allem von engagierten Akteur*innen der Zivilgesellschaft, die stark von gemeinsamen Werten und der Liebe zu ihrer Heimat getragen werden, erzählt Prof. Susanne Elsen. „Viele dieser sozialen Genossenschaften starteten als informelle Gruppen, Vereine oder Projekte. Mittlerweile praktizieren sie eine Mischung aus bezahlter Arbeit und sozialem und freiwilligem Engagement und decken ein breites Feld an Aktivitäten ab: von landwirtschaftlicher Produktion und Verarbeitung bis hin zu Marketing, Kommunikation und kulturellen Events, von Sozialarbeit und innovativer Sozialpolitik bis hin zu politischer Aktion und Networking.“
Dass es dabei vielfach zu einer Selbstausbeutung dieser „change agents“, also Erneuerer, kommt, erstaunt wenig. Weit verbreitet sind laut dem Soziologen-Duo auch Repressalien und Einschüchterungsversuche durch die organisierte Kriminalität; dazu kommen weitere Bremser wie die italienische Bürokratie, mangelnde finanzielle Ressourcen und zu wenig politische Unterstützung. „Es ist dennoch erstaunlich und stimmt positiv, welche Veränderungen diese Genossenschaften in vielen Gegenden des Südens herbeiführen und welchen wirtschaftlichen Erfolg viele von ihnen haben“, unterstreicht Susanne Elsen.
Nichtsdestotrotz zeigt die Arbeit von Elsen und Fazzi einen klaren Unterstützungsbedarf dieser Initiativen auf: „Damit es wirklich zu einem dauerhaften Wandel kommen kann und diese Unternehmen auf eine solide Basis gestellt werden, die nicht nur vom teils übermenschlichem Engagement einzelner Player abhängen, muss die öffentliche Hand finanzielle Ressourcen und Know-how zur Verfügung stellen – auch im Rahmen des Entwicklungsplans SUD 2030“, sagt Prof. Susanne Elsen. Doch auch jede und jeder einzelne kann zu ihrer Stärkung beitragen, indem man Produkte dieser Genossenschaften kauft. „Eine der wichtigen Stützen dieser Initiativen sind solidarische Einkaufsgenossenschaften und Netzwerke außerhalb der Region, die den Absatz sichern und so auch den Druck aus der unmittelbaren Umgebung lindern können“, so Elsen.