Machen wir uns zum gläsernen Menschen?

Bit Data: Kongress im Waltherhaus zeigt Chancen und Gefahren

Samstag, 03. Dezember 2016 | 16:19 Uhr

Bozen – Die Chancen, Folgen und Gefahren von Bit Data und der rasanten Digitalisierung beleuchteten international anerkannte Experten am Freitag im Bozner Waltherhaus bei einem Kongress des Raiffeisenverbandes zum Thema „Big Data – machen wir uns zum gläsernen Menschen?“. Rund 200 Vertreter der Mitgliedsgenossenschaften, Raiffeisenkassen sowie Vertreter zahlreicher Südtiroler Unternehmer informierten sich über die rasante Entwicklung aus den verschiedensten Blickwinkeln.

Thomas Frank Dapp von der Deutsche Bank Research beleuchtete die Trends des digitalen Strukturwandels, der „alle bisherigen Geschäftsmodelle durcheinanderwirbelt und in Frage stellt“. Dabei diktierten große Web-Plattformen wie Google oder Facebook die Entwicklung und beeinflussen fast alle Lebensbereiche. Dapp sprach vom teilweisen Verlust der eigenen Datenhoheit und Entscheidungsfreiheit. Im Finanzbereich machten immer mehr neue Fintech-Startups den traditionellen Banken durch neue Geschäftsmodelle die Kundschaft streitig. Insgesamt stecke die Digitalisierung aber erst noch in den Kinderschuhen, die Entwicklung lasse sich kaum erahnen.
Christian Baudis, ehemaliger Google-Deutschlandchef und heute Digital-Unternehmer, der internationale Investoren in ihrer Digitalstrategie berät, warnte davor, die Digitalisierung zu ignorieren. Baudis plädierte für die Schaffung eines digitalen Bewusstseins und für ein eigenes Schulfach “Digitalisierung”. In den nächsten Jahren werde es eine Datenexplosion ungeahnten Ausmaßes geben. Vor allem der äußerst profitable Gesundheitsbereich werde revolutionäre Veränderungen erleben. In zehn Jahren würden über fünf Mrd. Menschen über schnelles Internet verfügen. Zum Thema Datenschutz meinte Baudis, dass die Politik gefordert sei, den entsprechenden Gegenpol zu den großen und schnell wachsenden Internetplattformen zu schaffen.

Schleichenden Verlust der Privatsphäre 

Der Theologe Wolfgang Achtner von der Justus Liebig Universität Gießen beleuchtete Big Data von der ethischen Seite und sprach von einem „schleichenden Verlust der Privatsphäre und der Selbstbestimmung im Informationsbereich“.  Achtner stellte die Frage, in wie weit Big Data & Co. zu einer Identitätsveränderung des Menschen führen und warnte  vor der Gefahr des Missbrauchs von Daten im Gesundheitsbereich.

Paolo Balboni, Präsident der Europaen Privacy Association, der Unternehmen darin berät, wie sie Datenschutzgesetze richtig anwenden können, erläuterte u. a. die neue, heuer in Kraft getretene EU-Datenschutz- Grundverordnung. Diese besagt u. a. dass Daten nur zweckgebunden erhoben und nur für die Dauer des damit verbundenen Zwecks gespeichert werden dürfen. Balboni unterstrich die Bedeutung des korrekten Umgangs mit personenbezogenen Daten, zu denen übrigens auch die IP-Adresse jedes Computernutzers zähle. Für Unternehmen bedeuten die Einhaltung der Datenschutznormen letztlich ein Gewinn und ein Konkurrenzvorsprung, weil damit auf das Engste das Vertrauen der eigenen Kunden verbunden sei.

Menschen werden zur reinen Manövriermasse 

Rena Tangens – Datenschutzaktivistin, Internet-Pionierin und Mitbegründerin von Digitalcourage, bezeichnete Big Data mit drei UUUs als unüberschaubar, unkontrollierbar und auch undemokratisch, weil Entscheidungen zunehmend über Algorithmen beeinflusst und herbeigeführt würden. “Das Prinzip von Big Data ist die fortschreitende Entmündigung der Gesellschaft, Gewinner sind nur die großen Internetplattformen”.  BIG DATA sei wie eine „Blackbox“, die Daten neu zusammenmische und falsche Schlussfolgerungen ziehe, die als Fakten dargestellt würden. Dies bedeute eine Kontaminierung der Demokratie und ließe die Menschen zu einer reinen Manövriermasse werden, meinte Tangens. “Der Datenschutz ist der neue Umweltschutz”, meinte Tangens, die Gesellschaft müsse sich stärker zur Wehr setzen. Tangens hat erst kürzlich zum zweiten Mal eine Verfassungsbeschwerde gegen die Vorratsdatenspeicherung beim deutschen Bundesverfassungsgericht eingebracht.

Bankbranche: Kein Stein auf den anderen

Thorsten Hahn, Profinetzwerker in der Finanzbranche und Gründer der BANKINGCLUB GmbH, sprach unter dem Motto “Das Märchen von der Zukunft der Bank” über den durch die Digitalisierung ausgelösten rasanten Kulturwandel im Bank- und Finanzbereich. „In der Bankbranche wird kein Stein auf den anderen bleiben, hunderte von Fintechs machen den traditionellen Banken den Markt streitig“. Der Finanzsektor im Euroraum wächst und verändert sich, nur der Anteil der traditionellen Banken daran sinkt. Die traditionellen Banken bleiben zu stark in ihren Geschäftsmodellen verhaftet und schaffen keinen ausreichenden Wandel.

Wolfgang Frick, Geschäftsleiter Marketing und Sortimentsmanagement der Spar-Gruppe Schweiz plädierte in seinem Vortrag „Big Data – Big Confusion“ dafür, weniger in Online- als viel mehr in reale Kundenbeziehungen zu investieren. Frick ist als sogenannte Entdigitalisierer bekannt und verwendet kein Twitter und Facebook.  “Die Sehnsucht der Menschen von Menschen und nicht von Maschinen und Online-Bildschirmen bedient zu werden steigt und es wird eine Renaissance der Tante-Emma-Läden geben”

Beim Big-Data-Kongress, der von der Bildungsabteilung des Raiffeisenverbandes veranstaltet und von der Kommunikationsexpertin Gerlinde Manz-Christ moderiert wurde, begeisterte der Media-Magier Andreas Axmann mit seinen digitalen Zauberkünsten.

Von: mk

Bezirk: Bozen