Lohnabhängige Beschäftigung steigt wieder

Der befristete Arbeitsvertrag erschwert das Leben

Freitag, 20. Januar 2023 | 11:09 Uhr

Bozen – Wie die amtlichen Daten belegen, hat die lohnabhängige Beschäftigung auch in Südtirol nach dem Corona-Notstand wieder zugenommen. Zurückzuführen ist dies in erster Linie auf die befristeten Verträge, welche stark zugenommen haben, während die Festanstellungen nahezu stagnieren. AFI-Präsident Andreas Dorigoni bringt diesbezüglich seine Sorgen zum Ausdruck: „Damit bilden sich – häufig unfreiwillig – immer mehr verschiedene Arten von prekären Arbeitsverhältnissen heraus, welche gegenüber Festanstellungen auf vielerlei Weise benachteiligt sind.“

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Der Sonderteil der Winterausgabe des AFI-Barometers 2022/2023 ist diesmal dem Thema der befristeten Arbeitsverträge und deren wirtschaftlichen und sozialen Implikationen gewidmet. Wenn einerseits die „vertragliche Flexibilität“ häufig als Grund für die Vollbeschäftigung in Südtirol angeführt wird, sind andererseits die vertraglichen Bedingungen, die viele Arbeitnehmer auf Zeit entgegennehmen müssen, keineswegs so günstig: Die vertraglichen Unterschiede zu den Festanstellungen betreffen verschiedene Aspekte, die mitunter auch so einschneidend sind, sodass sie den Lebensstil und die Deckung der Grundbedürfnisse beeinflussen.

Begrenzte Karrieremöglichkeiten, geringere Prämien und weniger Fortbildungsmöglichkeiten im Betrieb – Damoklesschwert Rente

Von Aspekten der Lohn(un)gleichheit zwischen den beiden Vertragsformen (Festanstellungen und befristete Arbeitsverträge) einmal abgesehen, wurden die Befragten mit der Frage konfrontiert, welche Vor- und Nachteile befristete Anstellungen auf verschiedene Aspekte des Arbeitslebens bzw. in der Gesellschaft haben. So stimmen 68 Prozent der Befragten ‚vollkommen‘ oder ‚eher‘ der Aussage zu, dass die Karrierechancen für Arbeitnehmer mit befristeten Verträgen geringer sind als für jenen mit Festanstellung. 65 Prozent sehen einen Nachteil in der Zuteilung von Prämien oder betrieblichen Zusatzleistungen, 61 Prozent beim Zugang zur betrieblichen Fortbildung. Nur 32 Prozent sind der Meinung, dass ein befristeter Vertrag eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben im Jahresverlauf ermöglicht.

Die Hürde beim Zugang zum Kredit

Der wichtigste Aspekt der vertraglichen Unterschiede betrifft den Zugang zu Konsumkrediten und zu Wohnungsbaudarlehen. 80 Prozent der Befragten stimmen der Aussage zu, dass befristete Arbeitsverträge den Zugang zu Verbraucherkrediten erschweren, während 74 Prozent der Befragten Probleme bei der Aufnahme eines Wohnbaudarlehens sehen. 70 Prozent der Befragten glauben, dass befristet Beschäftigte größere Probleme haben, einen Mietvertrag abzuschließen.

„Take it or leave it“

In zwei von drei Fällen ist es der Arbeitgeber, der die Art des Arbeitsvertrags vorgibt. Dies deutet darauf hin, dass die Mehrheit der Arbeitnehmer die Vertragsform akzeptiert, die den Bedürfnissen des Arbeitgebers am besten entspricht, auch wenn befristeten Verträgen gegenüber Festanstellungen eine Reihe von Benachteiligungen mit sich bringen.

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Die Befristeten-Falle

Bei den befragten Arbeitnehmern handelte es sich zum Zeitpunkt der Umfrage in 82 Prozent der Fälle nicht um ihre erste berufliche Tätigkeit. Von diesen hatten zwölf Prozent bereits vorher einen befristeten Vertrag und nun wieder. Dies bedeutet, dass zwar ein erheblicher Anteil von Arbeitnehmern von einem befristeten in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis übergeht, doch gleichzeitig auch, dass jeden achten befristeten Angestellten eine Stabilisierung durch eine Festanstellung selbst durch einen Arbeitswechsel nicht zustande kommt.

Was aus den Daten gelernt werden kann

Die Daten der Beobachtungsstelle für den Arbeitsmarkt zeigen, dass der Zuwachs der lohnabhängigen Beschäftigung im Jahr 2022 (+4,9 Prozent zu 2021) maßgeblich von befristeten Anstellungen getragen ist (+18,9 Prozent), während die Festanstellungen nahezu stagnieren (+0,4 Prozent). Wie im Rahmen des AFI-Barometers hervorgeht, sind befristete Arbeitsverhältnis im Vergleich zu Festanstellungen für lohnabhängig Beschäftigte mit einer Reihe von Problematiken verbunden, welche sich unabhängig vom Gehalt auf verschiedene des täglichen Lebens erstrecken. Dabei beschränken sich die Nachteile eines befristeten Vertrags nicht auf den einzelnen Arbeitnehmer oder die einzelne Arbeitnehmerin: Die zunehmende Verschiebung von den Festanstellungen auf befristete Arbeitsverträge wirkt sich negativ auf den gesamtwirtschaftlichen Konsum aus und erschwert den Zugang zu Krediten, während am Arbeitsplatz die Möglichkeiten der beruflichen Weiterentwicklung abnimmt.

Das AFI-Barometer erscheint viermal im Jahr (Winter, Frühjahr, Sommer, Herbst) und gibt das Stimmungsbild der Südtiroler Arbeitnehmerschaft wieder. Die telefonisch geführte Umfrage betrifft 500 Arbeitnehmerinnen und -nehmer und ist für Südtirol repräsentativ. Die Interviews für die Winterausgabe des AFI-Barometers wurden im Zeitraum vom 1. bis zum 20. Dezember 2022 geführt.

Von: mk

Bezirk: Bozen