Von: luk
Bozen – „2019 wurden in Südtirol öffentliche Aufträge im Gesamtwert von 1,6 Milliarden Euro vergeben. Das entspricht etwa einem Drittel des gesamten Landeshaushalts. Diese Zahlen sollten uns zu verstehen geben, wie wichtig dieses Thema ist“, erklärt AFI-Präsident Dieter Mayr. Vorigen Freitag, 26. Februar, hat das AFI einige lokale Experten zu einem Webinar geladen, um im Dialog zu erörtern, wie den Beschäftigten öffentlicher Auftragnehmer faire Arbeitsbedingungen garantiert werden können, wenn 75 Prozent der Aufträge nach dem Prinzip des niedrigsten Preises zugeschlagen werden.
Nach knapp vier Jahren greift das AFI | Arbeitsförderungsinstitut im Rahmen eines Webinars wieder das Thema der öffentlichen Aufträge in Südtirol auf. Die Online-Veranstaltung, an der verschiedene lokale Experten und Expertinnen teilnahmen, wurde von der Vizedirektorin des AFI Silvia Vogliotti moderiert. Das Thema ist aktueller denn je: Es stehen große öffentliche Pläne und Investitionen an (wobei der Recovery-Plan nur die Spitze des Eisberges ist), bei denen immense Geldsummen in das Südtiroler Produktionssystem „gepumpt“ werden sollen. Besondere Aufmerksamkeit gilt dabei den Vertrags- und Arbeitsbedingungen der Beschäftigten der auftragnehmenden Firmen.
„In den Büros der Gewerkschaften häufen sich die Streitfälle über die Verletzung tarifvertraglicher Bestimmungen und die Beschwerden über schlechtere Arbeitsbedingungen“, berichtet AFI-Präsident Dieter Mayr. „Die öffentlichen Aufträge sind ein wichtiger Bestandteil der Sozialpolitik. 2019 wurden in Südtirol öffentliche Aufträge im Wert von insgesamt 1,6 Milliarden Euro vergeben: Das zeigt uns, wie wichtig es ist, hier einen angemessenen sozialen Schutz und gute Arbeitsbedingungen zu gewährleisten“, so Mayr. Die Vergabe nach dem Prinzip des niedrigsten Preises darf auf keinen Fall die Arbeitsbedingungen beeinträchtigen. Die Ersparnis, die der öffentliche Auftraggeber durch eine solche Vergabe erzielt, ist nämlich nicht von Dauer und kann langfristig sogar zu weitaus höheren Ausgaben führen, da viele Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen mit geringem Arbeitseinkommen (die sog. „Working poor“) irgendwann auf lohnergänzende Sozialleistungen angewiesen sein werden. „Die Politik und die öffentliche Verwaltung tragen bei der Vergabe von Dienstleistungen eine soziale Verantwortung und müssen daher auch faire Löhne und gute Arbeitsbedingungen garantieren. Das Vergabegesetz muss in diesem Sinne abgeändert werden, um faire Vertragsbedingungen zu gewährleisten. Es ist Aufgabe der lokalen Politik und unserer Abgeordneten im italienischen Parlament, sich auch dafür einzusetzen“, betont Mayr.
Alberto Violin von der Agentur für die Verfahren und die Aufsicht im Bereich öffentliche Bau-, Dienstleistungs- und Lieferaufträge (AOV) hat anhand des Jahresberichts „Die öffentlichen Aufträge in Südtirol – 2019“ die wirtschaftliche Bedeutung der lokalen öffentlichen Ausgaben aufgezeigt. Aufträge bis zu einer Million Euro werden hauptsächlich an lokale Wirtschaftsteilnehmer vergeben, jene zu höheren Beträgen hingegen verstärkt an Auftragnehmer aus anderen Provinzen. Aus den Daten geht zudem hervor, dass rund 75 Prozent der Aufträge nach dem Prinzip des niedrigsten Preis zugeschlagen werden.
Der Rechtsanwalt für Arbeitsrecht Carlo Lanzinger hat die kritischen Aspekte der wirtschaftlichen Behandlung der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen der beauftragten Unternehmen näher beleuchtet. Die Entlohnung ist vor allem vom Bereich und von den lokalen Kollektivverträgen abhängig. Fehlt ein solcher Kollektivvertrag, findet die nationale Regelung Anwendung, was aber angesichts der hohen Lebenshaltungskosten in Südtirol kritisch sein kann. Lanzinger sprach auch das Problem der nicht ausgezahlten Löhne an, das viele Familien in Notlagen bringt, und rief die Gewerkschaften und das Arbeitsinspektorat dazu auf, sich für eine fristgerechte Auszahlung der Löhne einzusetzen.
Der Direktor des Arbeitsinspektorates der Landesverwaltung Sieghart Flader betonte, wie wichtig eine sorgfältige Planung seitens der Vergabekörperschaften sei, um die Arbeitskosten und die erforderliche Anzahl an Arbeitsstunden genau bestimmen zu können. Eine genaue Planung ist unabdingbar, wenn man zum Beispiel bedenkt, dass im Reinigungsbereich die Personalkosten bis zu 90% der Gesamtkosten eines Auftrages ausmachen. Auch Flader ging auf das offensichtlich sehr aktuelle Problem der nicht ausgezahlten Löhne und der entsprechenden Ersatzmaßnahmen ein, welche die öffentliche Verwaltung in solchen Fällen ergreifen kann.
Die Generalsekretärin der Fachgewerkschaft des CGIL/AGB für den Dienstleistungsbereich Antonella Costanzo betonte, dass es in einem so komplexen Umfeld nicht leicht sei, Wege für eine gemeinsame Definition der Regional- und Landesgesetze, Richtlinien und Rahmenabkommen zu finden und bereits vor den Ausschreibungen der Aufträge konkrete Verhandlungen über soziale Klauseln, die Anwendung des richtigen Kollektivvertrages und den Schutz der Arbeitnehmer/innen und des Einkommens zu führen. Gleichzeitig sei es aber auch wichtig, eine übermäßige Auslagerung der Dienste der öffentlichen Verwaltung zu vermeiden. „In diesem Sinne bedarf es einer Zusammenarbeit aller Sozialpartner auf allen Ebenen“, so die Gewerkschafterin.
Giulia Failli, Direktorin der Bozner Sozialgenossenschaft OASIS, berichtete über die Aufträge, die kraft Landesgesetz den Sozialgenossenschaften zur Aufwertung sozialer und technischer Projekte vorbehalten sind. Diese ermöglichen den Genossenschaften einerseits, den Arbeitnehmern eine berufliche Rehabilitation zu sichern, bei der verschiedene Elemente berücksichtigt werden: angemessene Löhne genauso wie eine pädagogische und psychologische Unterstützung. „Andererseits stehen aber die pure Marktlogik und der Wettkampf um den höchsten Preisabschlag in sehr arbeitsaufwändigen Bereichen wie dem Dienstleistungsbereich in starkem Widerspruch zum Schutz der Gesundheit und des Wohlbefindens der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen“, betonte Failli abschließend.