Von: mk
Bozen – Das AFI warnt: Südtirols Arbeitswelt ist klar nach Geschlechtern getrennt – und im öffentlichen Sektor droht der Generationenwechsel zu spät zu kommen. „Dass Verwaltung, Schulen, Krankenhäuser und Seniorenheime vor großen Rekrutierungsproblemen stehen, ist inzwischen kaum mehr zu übersehen“, betont AFI-Präsident Stefano Mellarini.
Mit dem Ziel, die Struktur der lohnabhängigen Erwerbstätigkeit besser zu verstehen und grafisch zu veranschaulichen, hat das AFI | Arbeitsförderungsinstitut die „Beschäftigungspyramiden“ für die einzelnen Sektoren der Südtiroler Wirtschaft näher in den Blick genommen. Pyramiden dieser Art geben Aufschluss über gleich mehrere Aspekte: die mehr oder weniger starke Präsenz der Geschlechter, der Vollzeit- bzw. Teilzeitarbeit und junger sowie älterer Jahrgänge. Zudem zeigen sie auf, wo die Pensionierungswelle mit besonderer Wucht zuschlagen wird.
Erkenntnisse
230.120 Personen waren im Jahresschnitt 2024 in Südtirol lohnabhängig beschäftigt und zwar 76 Prozent in der Privatwirtschaft und 24 Prozent im öffentlichen Sektor. Im Allgemeinen gilt: Die produzierenden Sektoren sind stark männlich geprägt, die Dienstleistungssektoren stark weiblich. Den „Männerdomänen“ Baugewerbe (zu 89 Prozent arbeiten dort Männer), Verarbeitendes Gewerbe (79 Prozent) und Landwirtschaft (63 Prozent) stehen als „Frauendomänen“ das Gesundheitswesen (zu 79 Prozent Frauen), die Bildung (78 Prozent) und die öffentliche Verwaltung (66 Prozent) gegenüber.
Von allen Männern arbeitet rund einer von zehn (elf Prozent) in Teilzeit, bei den Frauen nahezu jede zweite (48 Prozent). Ganz allgemein ist Teilzeit vorwiegend weiblich: 80 Prozent aller Teilzeitstellen entfallen auf Frauen, 20 Prozent auf Männer.
Die männerdominierten Sektoren sind auch jene, die man als „Vollzeitsektoren“ definieren kann. Der Anteil an Vollzeitarbeitenden ist im Baugewerbe am höchsten (91 Prozent), fällt aber in der Landwirtschaft (mit 90 Prozent) und im Verarbeitenden Gewerbe (88 Prozent) ebenfalls sehr hoch aus. Demgegenüber ist in den, wie schon erwähnt, stark weiblich geprägten Branchen des öffentlichen Sektors die Teilzeitquote auf einem besonders hohen Niveau: 48 Prozent beträgt der Teilzeitanteil im Gesundheitswesen, 42 Prozent in der Bildung und 40 Prozent in der öffentlichen Verwaltung.
Zur Altersverteilung der Erwerbstätigen: Betrachtet man die Gesamtwirtschaft, so sind 21 Prozent der lohnabhängig Beschäftigten unter 30 Jahre alt, 45 Prozent zwischen 30 und 49 und 34 Prozent älter als 50. Acht Prozent sind sogar älter als 60 – stehen also dem Pensionseintritt relativ nahe. Dies ergibt ein Durchschnittsalter der Arbeitskräfte in der Gesamtwirtschaft von 42,15 Jahren. Der „jüngste“ Sektor ist das Gastgewerbe; hier liegt das Durchschnittsalter der Belegschaft bei 38,90 Jahren. Mitgrund dafür ist der Umstand, dass dort 30 Prozent der Beschäftigten unter 30 ist. Demgegenüber ist der mit Abstand „älteste“ Sektor die öffentliche Verwaltung (mit einem Durchschnittsalter von 49,05 Jahren bzw. 57 Prozent der Belegschaft über 50), gefolgt vom Gesundheitswesen (45,13 Jahre; 42 Prozent der Belegschaft über 50) und der Bildung (45,0 Jahre; 40 Prozent der Belegschaft über 50).
Implikationen
#1: Die Zahlen machen zunächst die immer noch starke geschlechtsspezifische Segregation zwischen den Wirtschaftssektoren deutlich: Männer arbeiten in der Privatwirtschaft, Frauen im öffentlichen Sektor. Zum einen ist dies bedingt durch die Berufsbilder selbst, zum anderen spielen Überlegungen hinsichtlich Mutterschaftsschutz, Wartestände und Elternzeiten bzw. der Vereinbarkeit von Familie und Beruf eine Rolle, was auch durch die starke Verbreitung von Teilzeitarbeit in von Frauen dominierten Sektoren deutlich wird.
#2: Die Privatwirtschaft stellt 76 Prozent der Arbeitsstellen in Südtirol, aber nur 62 Prozent der Teilzeitstellen. Der öffentliche Sektor stellt bekanntlich die restlichen 24 Prozent der Jobs, aber 38 Prozent der Teilzeitstellen. Hier ist die Frage berechtigt, warum der öffentliche Sektor in überproportionalem Maß für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf einsteht, bzw. „einstehen muss“, die Privatwirtschaft in dieser Hinsicht allerdings noch stark hinterherhinkt.
#3: Das hohe durchschnittliche Alter der Belegschaften in den Branchen des öffentlichen Sektors (öffentliche Verwaltung, Gesundheitswesen, Bildung) ist mit der Frage verknüpft, was hier in der Rekrutierungspolitik in den letzten Jahren (bzw. Jahrzehnten) falsch gelaufen oder versäumt worden ist. Wichtig: Auch gesetzliche Vorgaben, wie der (aus heutiger Sicht unvernünftige) rund fünf Jahre anhaltende Aufnahmestopp im öffentlichen Dienst ab 2012 als Spätfolge der internationalen Finanzkrise 2008 spielen in dieser Entwicklung mit ein.
#4: Direkte Konsequenz von #3 ist, dass die Pensionierungswelle gerade in den Branchen des öffentlichen Sektors mit besonderer Wucht zuschlägt. Der Anteil der über 60-Jährigen beträgt in der öffentlichen Verwaltung 14 Prozent, im Gesundheitswesen sowie im Bildungswesen jeweils neun Prozent und liegt damit, mit Ausnahme der Landwirtschaft (zehn Prozent), überall über dem Referenzwert der Privatwirtschaft (acht Prozent). „Hier rächt sich der jahrelange Aufnahmestopp“, so AFI-Direktor Stefan Perini. „Wird die Rekrutierung im öffentlichen Sektor nicht deutlich beschleunigt, geraten der Wohlfahrtsstaat und die Verwaltung gewaltig unter Druck.“
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