AFI mit sieben Orientierungsmarken für eine innovative Wohnungspolitik in Südtirol

Immobilienpreise als Hauptproblem

Freitag, 19. Juni 2020 | 11:59 Uhr

Bozen – Am 1. Juli tritt das neue Landesgesetz ‚Raum und Landschaft‘ in Kraft, am Wohnbauförderungsgesetz wird eifrig gearbeitet. „Das Wohnbauförderungsgesetz der 1970-er Jahre ist mit dem Anspruch entstanden, die gesellschaftliche Entwicklung der nächsten 40 Jahre in Südtirol mitzubestimmen. Mit demselben Anspruch sollten wir uns nun am neuen Wohnbauförderungsgesetz beteiligen“, ruft AFI-Präsident Dieter Mayr Gewerkschaften und Sozialverbände auf den Plan. Orientierung bietet die jüngste AFI-Studie „Wohnungspolitik 2030: hin zu einem Paradigmenwechsel“.

„Ein Dach über den Kopf für alle, die in Südtirol leben und arbeiten“: Was im Prinzip einfach klingt, lässt sich in der Realität nicht so leicht umsetzen – der Blick auf die Südtiroler Wohnrealität zeige dies deutlich. 90 Prozent der im AFI-Barometer befragten Arbeitnehmer sehen die hohen Immobilienpreise als das Hauptproblem im Erwerb des Eigenheims. Das bringe viele Familien in finanzielle Bedrängnis, besonders jene, die nur über ein Einkommen verfügen.

Die gesellschaftliche Realität ist heute eine andere als jene der 1970-er Jahre. „Die Wohnungspolitik der Zukunft muss maßgeschneiderte Antworten auf die sich veränderten gesellschaftlichen Gegebenheiten liefern und zu einem guten Teil die Zukunft auch vorwegnehmen“, betont AFI-Direktor Stefan Perini. Der Umstand, dass das Land Südtirol in Sachen Wohnbauförderung primäre Zuständigkeit hat, biete aber auch Einiges an Gestaltungsspielraum, so der Direktor.

Wie eine zukunftsfähige Wohnungspolitik für Südtirol ausschauen könnte, legt das AFI nun in einer Studie dar. Dort finden sich auch die sieben Orientierungsmarken, die zu sozialgerechtem und leistbarem Wohnen in Südtirol führen.

 

Marke 1: Ein Dach über dem Kopf für all jene, die in Südtirol leben und arbeiten

Die Gesellschaft ist heute digital und mobil, berufliche und familiäre Biografien sind brüchiger als früher, in vielen Branchen wird nach ‚Corona‘ wieder Fachkräftemangel herrschen. Der zentrale Anspruch der Wohnungspolitik muss sein, den Grundwohnbedarf der Personen zu decken, die in Südtirol leben und arbeiten, unabhängig von der Anzahl an Aufenthaltsjahren in Südtirol. Deckung des Grundwohnbedarfs vor Ansässigkeit!

 

Marke 2: Trennscharfe Wohnungsmärkte

Die öffentlich geförderten Erstwohnungen müssen klar von den Wohnungen am freien Markt getrennt gehalten werden. Eine lange Sozialbindung gewährleistet die Abgrenzung des Marktes zur Deckung des Grundwohnbedarfs von jenem für andere Zwecke. Das AFI erachtet es als wichtig, für die Sozialbindung einen genügend langen Zeitraum anzusetzen (20 Jahre bzw. unbegrenzt), gemäß dem Prinzip „was öffentlich gefördert wurde muss dem öffentlichen Interesse zugutekommen“.

 

Marke 3: Beobachtungsstelle Wohnen

Um den Wohnbedarf korrekt einordnen und die zukünftige Wohnpolitik gestalten zu können, bedarf es einer fundierten Marktkenntnis. Dies gelingt durch eine Beobachtungsstelle, welche die Wohnsituation in allen Gemeinden überwacht und mit den Gemeinden kooperiert, um Nachfrage und Angebot zusammenzuführen. Die Stelle ist auch für die Erhebung der Kauf- und Mietpreise zuständig: zur Ermittlung der territorial differenzierten gedeckelten Preise und des territorial differenzierten ‚sozialen Mietzinses‘. Das AFI schlägt vor, letzteren auf 75 Prozent des Marktpreises anzusetzen, im Unterschied zum heutigen einheitlichen ‚Landesmietzins‘.

 

Marke 4: Das Phänomen der sharing econonomy managen

Die Plattform-Ökonomie ist auch in Südtirol angekommen. Online-Portale wie booking oder airbnb sind mitverantwortlich, dass Wohnungseigentümer es heute vorziehen, ihre Wohnungen kurzfristig Urlaubern zur Verfügung zu stellen, anstatt sie ansässigen Arbeiter/Innen, Student/Innen und Familien langfristig zu vermieten. Mit ‚Zuckerbrot und Peitsche‘ muss dafür gesorgt werden, dass dieses Phänomen nicht außer Kontrolle gerät.

 

Marke 5: Zusätzliches Angebot durch intelligente Lösungen

In Südtirol treffen große Wohnungen auf kleine Haushaltsgrößen. Durch eine intelligentere Nutzung der bestehenden Bausubstanz würde zusätzliches Angebot entstehen, ohne Bauland erschließen zu müssen. Deshalb schlägt das AFI einen ‚Teilungsbonus‘ vor –  einen wirtschaftlichen Anreiz für jene, die aus einer größeren Wohnung zwei kleinere machen. Im sozialen Wohnbau (WOBI) muss die ‚gebäudeinterne Rotation von Wohnungen‘ zur Normalität werden. Dieser Fall tritt dann ein, wenn relativ große Sozialwohnungen z.B. nur mehr von einer Person bewohnt werden, weil die Kinder in der Zwischenzeit ausgezogen sind oder der/die Lebenspartner/in gestorben ist.

 

Marke 6: Bausparen belohnen

Der Zugang zum Eigenheim soll auch in der Südtiroler Wohnungspolitik der Zukunft eine Rolle spielen, allerdings nicht aus Mangel an Alternativen und nicht unbedingt über Verlustbeiträge. Für die sogenannte Mittelschicht – Haushalten mit Einkommen, die für den Zugang zum geförderten Wohnbau zu hoch, aber für den freien Markt zu gering sind – sollten Alternativen geschaffen werden, die das Sparen belohnen. Man denke an Bauspardarlehen oder die Gewährung von geförderten Darlehen für jene, die bereits einen wesentlichen Teil der Kaufsumme angespart haben.

 

Marke 7: Anreize setzen, damit Mietangebot und -nachfrage zusammenfinden

Mit dem Ziel, leerstehende Wohnungen wieder auf den Mietmarkt zu bringen, sollte die öffentliche Hand wirtschaftliche und steuerliche Lenkungsmechanismen einsetzen, zum Beispiel über die GIS (Gemeindeimmobiliensteuer). Es können positive Anreize geschaffen werden, wie eine geringere Besteuerung von Wohnungen die an Ansässige vermietet werden, oder negative Anreize, wie die Erhöhung des Steuersatzes für Wohnungen, die lange Zeit leer stehen oder als Unterkunft für Touristen fungieren. Zu fördern ist eine Agentur, die als Non-Profit-Vermittler agiert, ähnlich ‚Fondazione Welfare Ambrosiano‘, um potentielle Vermieter und interessierte Mieter zu einem gedeckelten Mietzins zusammenzuführen.

Von: luk

Bezirk: Bozen