Von: mk
Brixen – Tonnenweise neuwertige Kleidung landet in den Industrienationen jedes Jahr im Müll – Kleidung, die mit viel Mühe hergestellt wurde und dennoch als Billigware in den Läden großer Modeketten landete. Diese und andere denkwürdige Entwicklungen standen heute im Mittelpunkt der Aktion „Reparieren statt Aussortieren“ unter den Brixner Lauben. Anlässlich des internationalen Fashion Revolution Day informierten die oew-Organisation für Eine solidarische Welt und das Netzwerk der Südtiroler Weltläden mit mobilen Kleider-Reparierstationen, einer fairen Modenschau und einer Ausstellung über weltweite Zusammenhänge in der Textilproduktion. Gemeinsam mit professionellen Näher*innen zeigten sie Alternativen auf.
Unter den Brixner Lauben surrten heute die Nähmaschinen: Fünf professionelle Schneiderinnen und Schneider nähten, flickten, kürzten, stopften und änderten Kleidungsstücke, die die Brixnerinnen und Brixner zur Reparatur vorbeigebracht hatten. Sie regten so zum Nachdenken darüber an, was uns Kleidung heute noch wert ist, wie viel Mühe hinter der Herstellung von Hose, Pulli und Rock steckt und machten vor, mit welchen Handgriffen kleine Schäden und Makel rasch behoben werden können.
Hans Heufler ist gelernter Schneider in Pension und führte 20 Jahre lang ein Bekleidungsgeschäft. Mit großer Sorge verfolgte er die Entwicklungen in der Textilbranche. Er sagte: „Früher war den Kundinnen und Kunden die Qualität und die Langlebigkeit der Textilien das allerwichtigste – Kleider hatten einen großen Wert! Dann wurde der Markt mit billigen und ständig neuen Modellen überschwemmt, und die Qualität rückte in den Hintergrund.“ Es sei aber mittlerweile wieder eine leichte Trendwende zu verzeichnen, und besonders junge Menschen würden wieder vermehrt Interesse an der Herstellung und der Reparatur von hochwertigen Textilien zeigen, fügte der Schneider hinzu.
Dabei müsste ein Großteil unserer jährlich aussortierten Kleidungsstücke gar nicht repariert werden: Beachtlich ist der Teil, der sogar neu in den Container wandert. Europäer*innen kaufen durchschnittlich 60 Kleidungsstücke im Jahr, und jedes fünfte davon bleibt ungetragen im Schrank liegen. Fünf Kilogramm Kleidung gibt jeder Südtiroler jährlich in die Altkleidersammlung. „Das ist zu viel!“, befand Verena Gschnell, oew-Mitarbeiterin im Bereich Bewusster Konsum. „Das Credo schneller- billiger-mehr ist längst auch in der Textilbranche angekommen und Kleidung ist zu wertloser Wegwerfware geworden – mit katastrophalen Folgen für Umwelt und Produzierende.“ Große Modeketten produzieren Kollektionen im Wochen-Rhythmus und locken die Konsument*innen mit billigen Angeboten und ständig wechselndem Sortiment in ihre Läden. Den wahren Preis für die vermeintlichen Schnäppchen zahlen ausgebeutete Arbeiterinnen und Arbeitern im globalen Süden.
Brigitte Gritsch, die Koordinatorin der Südtiroler Weltläden unterstrich: „Der modernen Sklaverei können wir entgegenwirken und dazu stehen uns heute viele Möglichkeiten zur Verfügung!“ Der Kauf von Second-Hand-Waren, der aktuelle Trend des Selbermachens oder die Entscheidung für ökologische und sozial verantwortliche Mode böten praktikable Alternativen zum Kauf von Massenware, so Gritsch. Auch der direkte Kontakt zu den Produzentinnen und Produzenten, wie ihn das Netzwerk der Südtiroler Weltläden pflegt, schaffe Transparenz. Die Frage „Wer hat meine Kleidung gemacht?“ kann bei Kleidungsstücken aus den Weltläden einfach beantwortet werden. Sie werden nach den Kriterien des Fairen Handels produziert.
Die Fair-Trade-Bewegung wurde vor mehr als einem halben Jahrhundert von Menschen mit starker sozialer Verantwortung gegenüber den Schwächeren in der Lieferkette des internationalen Handels gestartet. Zu jener Zeit gab es noch ein geringes öffentliches Bewusstsein über die extreme Ausbeutung von Produzent*innen in wirtschaftlich benachteiligten Ländern. Heute sei das anders, betonte Rudi Dalvai, der Präsident der World Fair Trade Organization und erklärte: „Fair Trade hat sich in der Zwischenzeit zu einer Erfolgsgeschichte entwickelt, doch die Ausbeutung der Textilarbeiterinnen und -arbeiter in vielen Teilen der Welt geht weiter, mit einem Unterschied: Verbraucherinnen und Verbraucher haben heute eine Entscheidungsmöglichkeit.“
Auch Matthäus Kircher, der Geschäftsführer der oew-Organisation für Eine solidarische Welt, pflichtet dem bei. Er gibt zu bedenken: „Die Verhältnisse in der Textilbranche sind nach wie vor prekär und alles andere als zukunftsfähig. Jeder Konsument kann durch das Einkaufsverhalten und den Umgang mit Kleidung umfassende Veränderung im Welthandel bewirken.“ Kircher erinnerte außerdem daran, dass der Fashion Revolution Day im Zeichen des Gedenkens an alle ausgebeuteten Arbeitskräfte im Globalen Süden steht und insbesondere den Opfern der Katastrophe von Rana Plaza gewidmet ist.
Vor vier Jahren, am 24. April 2013, stürzte in Bangladesch die Kleiderfabrik Rana Plaza ein. Dabei wurden mehr als 1.100 Fabrikarbeiterinnen und -arbeiter getötet und über 2.400 verletzt. Zur Erinnerung an den bisher schwersten Fabrikunfall in der Geschichte der weltweiten Kleiderproduktion wurde der Fashion Revolution Day ins Leben gerufen. Aus diesem Anlass begehen die oew-Organisation für Eine solidarische Welt und das Netzwerk der Südtiroler Weltläden diesen Gedenktag und machen in den kommenden Tagen mit zusätzlichen Veranstaltungen auf das Thema Kleiderkonsum aufmerksam: Am Montag, dem 24. April um 20 Uhr wird im Forum in Brixen in Kooperation mit dem Filmclub der Film „The True Cost – der wahre Preis der Kleidung“ gezeigt. Am Abend des 22. April um 20.30 Uhr kommt im Teatro Cristallo in Bozen das Stück „Tutto quello che sto per dirvi è falso“ zur Aufführung, am 26. April um 20.30 Uhr läuft dort der Film „2 Girls“.