Von: mk
Bozen – Vibrationen von Werkzeugen und Maschinen, starker Lärm, hohe und tiefe Temperaturen, Einatmen von Staub, Rauch und Abgasen: Bei körperlich belastenden Einflüssen in der Arbeitsumgebung steht Südtirol nicht gut da. „In fünf von sieben Kategorien ist Südtirol schlechter dran als die Vergleichsländer Italien, Österreich, Deutschland und die Schweiz, zweimal sogar schlechter als der EU-Durchschnitt, nämlich bei Vibrationen und hohen Temperaturen“, berichtet AFI-Forschungsmitarbeiter Tobias Hölbling von der Erhebung der Arbeitsbedingungen (EWCS) in Südtirol. Das detaillierte Forschungsbild zu den körperlichen Stressfaktoren bei der Arbeit zeichnet der AFI-Zoom „Körperliche Belastungen in der Südtiroler Arbeitswelt“.
Beim Tragen von Lasten und bei ständig sich wiederholenden Arm- oder Handbewegungen weist Südtirol die schlechtesten Werte der Vergleichsgruppe auf und liegt auch über dem EU-Durchschnitt. „Fast jeder dritte Südtiroler Beschäftigte (32,9 Prozent) gibt an, mindestens ein Viertel der Arbeitszeit Lasten zu tragen oder zu bewegen. Das ist der höchste Wert der Vergleichsgruppe und gleichauf mit dem EU-Durchschnitt“, stellt der Arbeitspsychologe Tobias Hölbling fest. Auch im hochintensiven Bereich (mindestens drei Viertel der Arbeitszeit) liegt Südtirol mit 9,3 Prozent hinter Österreich (12,4 Prozent) deutlich vor der übrigen Vergleichsgruppe, aber unter dem EU-Durchschnitt von 13,3 Prozent. Am meisten betroffen sind wie zu erwarten das Transportwesen und die Logistik, die Landwirtschaft, das verarbeitende Gewerbe und besonders stark das Baugewerbe.
Die Landesrätin für Arbeit, Dr. Martha Stocker, weist auf den Rahmen hin: „Die European Working Conditions Survey ermöglicht es, Südtirol auch in Bezug auf die körperlichen Arbeitsbedingungen mit anderen europäischen Ländern zu vergleichen. Dabei gilt es zu betonen, dass die körperlichen Belastungen eng mit der wirtschaftlichen Grundstruktur unseres Landes zusammenhängen, insbesondere mit der Kleinstrukturiertheit der Betriebe und vor allem auch mit den bei uns vorrangigen Branchen mit stark körperlich belastenden Arbeitsbedingungen wie zum Beispiel der Landwirtschaft, dem Tourismus und der Gastronomie oder dem Bau- und verarbeitenden Gewerbe.“
Das Arbeitsunfallversicherungsinstitut INAIL kennt die Folgen von der praktischen Seite. INAIL-Direktorin Mira Vivarelli: „In Südtirol werden dem INAIL jährlich etwa 250 bis 300 Berufskrankheiten gemeldet, die Großteils auf körperliche Risikofaktoren zurückgehen. In den letzten Jahren hatten wir einen deutlichen Anstieg von Krankheiten, die von ungünstigen Körperhaltungen, stets gleichen Bewegungen oder dem Tragen von Lasten verursacht werden.“
Bei anderen Indikatoren hingegen stehe Südtirol besser da, so Hölbling. Ermüdende oder schmerzhafte Körperhaltungen müssten die Südtiroler Beschäftigten weniger oft einnehmen als die Vergleichsgruppe und der EU-Durchschnitt. Auch das langandauernde Sitzen sei nicht so stark verbreitet wie in der Vergleichsgruppe. „Die Ergebnisse der der EWCS-Erhebung zu den körperlichen Belastungen in der Arbeit liefern in erster Linie Bestätigungen. Branchen wie Bau, Industrie oder Landwirtschaft sind nun einmal körperlich sehr belastend. Deshalb kann es nur darum gehen, den Umgang mit den Arbeitsbedingungen zu ändern, Stichwort Verhaltensprävention und betriebliche Gesundheitsförderung. Das lohnt sich auf Euro und Cent“, weiß Tobias Hölbling.
AFI-Präsidentin Christine Pichler unterstreicht das: „In Arbeitssicherheit und Ergonomie investieren kann sich als doppelter Gewinn erweisen: Ein Vorteil für die Gesundheit der Beschäftigten und ein Vorteil für die Betriebe. Diese Einstellung wünsche ich mir in der Zusammenarbeit der Südtiroler Sozialpartner beim Abbau von körperlich belastenden Arbeitsbedingungen. Anregen möchte ich gemeinsame Maßnahmen der verschiedenen Arbeitsgruppen und Komitees für Arbeitssicherheit. Die vom AFI erarbeiteten Daten sind hierfür eine gute Grundlage“.
lvh: „Gesundheit der Mitarbeiter hat Priorität“
Arbeits- und Gesundheitsschutz werden in Südtirols Handwerksbetrieben groß geschrieben. Dies sehen zum einen die Arbeitssicherheitsbestimmungen vor, zum anderen ist es der Anspruch eines jeden Arbeitgebers, der sein Unternehmen durch seine Mitarbeiter wettbewerbs- und innovationsfähig macht. „Die Arbeitswelt noch stärker zu reglementieren wäre widersinnig“, kommentiert lvh-Präsident Gert Lanz die Erhebung der Arbeitsbedingungen EWCS in Südtirol.
Weitere Gesetze könnten ein geeignetes Instrument sein, um die Rahmenbedingungen in der Arbeitswelt zu verbessern bzw. die körperlichen Belastungen für die Mitarbeiter zu minimieren – eine Aussage der AFI-Erhebung, die unter den Handwerkern auf negatives Feedback stößt. „Der Großteil von Südtirols Handwerksbetrieben sind Familienbetriebe mit durchschnittlich 3,3 Mitarbeitern, die täglich selbstverständlich und natürlich Gesundheitsmanagement betreiben. Sie wissen, dass nur gesunde, motivierte und leistungsfähige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die entscheidenden Erfolgsfaktoren für Unternehmen sind. Weitere Reglementierungen sind in diesem Bereich eher kontraproduktiv“, erklärt lvh-Präsident Gert Lanz. Vielmehr sollten Gesetze dazu dienen, den Arbeitsalltag zu erleichtern, für Arbeitgeber und Arbeitnehmer.
„In bestimmten Handwerkssektoren wie zum Beispiel im Bau, ist der Mensch mit größeren körperlichen Anstrengungen konfrontiert, das stimmt. Es sind zahlreiche Arbeiten, die die Baubeschäftigten mit Hand und nicht mit Maschinen ausüben. Nichtsdestotrotz sind auch die Unternehmen in diesen Sektoren bemüht, durch entsprechende Gesundheits- und Präventionsförderung die Mitarbeiter zu entlasten“, kommentiert Lanz. Besonders im Bereich der Arbeitssicherheit wurde in den letzten zwanzig Jahren ein starkes Umdenken angestoßen, um gesundheitliche Spätfolgen zu reduzieren. „Was die Sicherheit und die Gesundheit in Unternehmen angeht, sollten wir alle am selben Strang ziehen, weitere unnötige bürokratische Entlastungen vermeiden und stattdessen nachhaltig wirksame Maßnahmen andenken“, so Lanz.
Blaas: „AFI präsentiert alarmierende Zahlen – Politik muss handeln“
Der freiheitliche Landtagsabgeordnete Walter Blaas sieht in Zusammenhang mit den Daten des AFI hinsichtlich der körperlich belastenden Arbeitsbedingungen in Südtirol dringenden politischen Handlungsbedarf, um der Problematik zu begegnen.
„Angesicht der vorliegenden Daten ist die Politik gefordert zu handeln, um den Arbeitsbelastungen entgegenzuwirken“, erörtert der freiheitliche Landtagsabgeordnete.
„Zu denken sei an eine steuerliche Entlastung für Betriebe und Unternehmen, welche beim Lastentransport auf unterstützende Maßnahmen für Beschäftigte, Umrüstung oder den Ankauf von Gerätschaften und Maschinen setzen. Diese Investitionen würden nicht nur den Bediensteten und Unternehmen zugutekommen, sondern würden auch Fürsorgemittel schonen, da Berufskrankheiten oder Unfälle vermieden werden könnten“, gibt Walter Blaas zu bedenken.
„Es herrscht dringender Handlungsbedarf und nun ist die Politik am Zug“, hält der freiheitliche Landtagsabgeordnete Walter Blaas abschließend fest und kündigt eine entsprechende Intervention an.