Von: luk
Bozen – Gerade in Krisenzeiten braucht es eine klare und gut koordinierte Hilfskette für Menschen in psychischen Notlagen. Das Netzwerk Suizidprävention arbeitet an konkreten Lösungen für Südtirol. Praxisbeispiele aus dem In- und Ausland lieferten dafür bei der Tagung des Netzwerkes Suizidprävention wichtige Impulse. Diese fand heute anlässlich des Welttages für Suizidprävention im Bozner Pastoralzentrum statt.
Die Ergebnisse einer vor Kurzem durchgeführten Umfrage haben bestätigt, was bereits seit einiger Zeit im Netzwerk Suizidprävention intensiv diskutiert wird: In psychischen Krisensituationen herrscht in Südtirol häufig Unsicherheit und Unklarheit darüber, welche geeigneten Dienste es gibt und wie sie am besten kontaktiert werden können. „Viele – zum Teil auch in den Fachdiensten selbst – beklagen, dass es in Südtirol zwar eine Reihe von Hilfsangeboten gibt, nach außen hin aber nicht immer klar ist, wer welche Zuständigkeiten und Aufgaben hat. Das macht es Menschen in einer akuten Krise schwer, rasch das richtige Hilfsangebot in Anspruch zu nehmen“, erklärt Guido Osthoff, Vertreter der Caritas im Netzwerk Suizidprävention und Moderator der Tagung. „Über diese Tagung wollten wir uns wichtige Impulse von anderen holen, wie wir das System hier in Südtirol – auch vor dem Hintergrund der Pandemie – verbessern können“.
So bietet beispielsweise der „Krisendienst Psychiatrie Oberbayern“ qualifizierte Soforthilfe bei psychischen Krisen und psychiatrischen Notfällen jeder Art, im Auftrag und finanziert von der öffentlichen Hand. „Die hauptamtlichen Mitarbeitenden der Leitstelle sind jeden Tag rund um die Uhr unter einer eigenen Telefonnummer kostenlos erreichbar, hören zu, fragen nach und versuchen, gemeinsam mit den Betroffenen einen Weg aus der Krise zu finden. Bei Bedarf stehen sogar mobile Einsatzteams zur Verfügung, die auch in ländlichen Regionen eingesetzt werden können“, berichtet beispielsweise Dr. Petra Brandmaier, die ärztliche Leiterin des Dienstes mit Sitz in München.
Ähnlich agiert die „Krisenhilfe Oberösterreich“, zu der sich im Auftrag des Landes verschiedene Organisationen als Trägerverbund zusammengeschlossen haben. „Auch bei uns erhalten Menschen zu jeder Tages- und Nachtzeit telefonisch professionelle und kostenlose Hilfe, zudem unterstützen wir in persönlichen Gesprächen oder online. Durch unsere mobilen Angebote sind wir in der Lage, unter bestimmten Voraussetzungen auch direkt zu den Betroffenen zu kommen – beispielsweise nach plötzlichen Todesfällen, Unfällen, Suizid oder in psychiatrischen Notfällen. Im Zuge der momentanen Pandemie haben sich viele Menschen erstmalig an uns gewandt. Wir unterstützen Privatpersonen, Bildungseinrichtungen oder auch Firmen in herausfordernden psychischen Belastungssituationen“, erklärt Mag. Sonja Hörmanseder, die Leiterin der Krisenhilfe Oberösterreich.
Der Dienst „Urgenza Psicologica“ indes wurde 2013 von Giuseppe Cersosimo und Marinella Sciumè ins Leben gerufen, um Menschen in psychischen Krisen eine einfach zugängliche Anlaufstelle anzubieten. „Wir sind in insgesamt 5 Provinzen der Lombardei, darunter Mailand und Bergamo, aktiv. Es sind keine Anmeldung oder Termin notwendig, es reicht ein Anruf während der Erreichbarkeit des Dienstes, momentan von Mittwoch bis Sonntag. Darüber hinaus sind wir am Wochenende direkt für hilfesuchende Menschen im Einsatz. Dieser beginnt mit dem telefonischen Kontakt, währenddessen die ehrenamtlichen Psychologen die Situation der Personen beurteilen. Das Besondere des Dienstes ist, dass wir, wenn nötig, die Betroffenen gemeinsam mit Freiwilligen aufsuchen und vor Ort Hilfe leisten, um in akuten Situationen, in denen es dringend externe Hilfe braucht, Schlimmeres zu verhindern“, berichtet Dr. Cersosimo.
Das zweite italienische Praxisbeispiel stammt aus dem Trentino, wo der Verein A.M.A. das Projekt „Invito alla vita“ (übersetzt: „Einladung zum Leben“) koordiniert, das vom dortigen Sanitätsbetrieb
finanziert wird. „Kernstück unserer Krisenintervention ist die täglich, fast durchgängig von 7 Uhr früh bis 1 Uhr nachts erreichbare, kostenfreie Telefonnummer, unter der geschulte Freiwillige Menschen in Krisensituationen Beistand leisten. Außerdem sind wir eine Anlaufstelle für Menschen nach einem Suizidversuch sowie für Angehörige von Suizidopfern, für die mehrere Selbsthilfegruppen bereitstehen“, berichtet Lisa dal Mas von A.M.A. „Ein wichtiges Element des Trentiner Projekts ist die enge Zusammenarbeit und Synergie zwischen medizinischen Fachdiensten sowie sozialen Organisationen. So kann eine flexible, direkte und lückenlose Intervention bei Menschen in Krise sowie ihren Familien garantiert werden. Weiters ermöglicht dies eine effiziente Netzwerk- und Sensibilisierungsarbeit zum Thema Suizidprävention“, ergänzt Dr. Wilma Di Napoli, Psychiaterin, Leiterin des Zentrums für Psychische Gesundheit in Trient sowie wissenschaftliche Referentin des Projekts.
„Sicherlich ist nicht alles aus den externen Praxisbeispielen auf unsere lokale Situation übertragbar, allerdings gibt es mehrere Hebel, bei denen wir auch in Südtirol definitiv ansetzen müssen“, erklärt Guido Osthoff mit Blick auf die nachfolgende Diskussion zwischen verschiedenen Südtiroler Einrichtungen. „Eines ist sicherlich die einheitliche telefonische Erreichbarkeit von Fachdiensten, wo wir momentan noch eine ziemliche Fragmentierung haben. Wir als Netzwerk sowie viele unserer Mitglieder betreiben viel Sensibilisierungsarbeit, daher müssen wir einen Weg finden, damit wir der Bevölkerung klare Informationen darüber geben können, wo sie Hilfe bekommen.“ Genauso wichtig sei es, dass Betroffene oder ihre Angehörigen schnell und unkompliziert von den Fachpersonen aufgefangen werden, ohne in einer Serie von Warteschleifen und unklaren Zuständigkeiten festzustecken.
Landesrätin Waltraud Deeg bedankte sich im Namen der Landesregierung bei allen an der Tagung Beteiligten: „Suizid ist ein Problem, auch und besonders hier bei uns in Südtirol. Dieser Umstand muss uns alle wach rütteln und uns bewusst machen, dass es unser aller Einsatz braucht, um Auswege und Hilfe anbieten zu können.“ Südtirols soziales Netz sei ein breit gefächertes, dennoch gebe es auch darin Lücken, die es zu schließen gelte: „Über Best-Practice-Modelle kann es uns gelingen, gute Beispiele auch für Südtirol auszumachen und umzusetzen. Denn schließlich ist es auch im Sinne unserer Nachhaltigkeitsstrategie, wenn wir uns für soziale Belange und vor allem für die Stärkung des sozialen Netzes einsetzen.“