AFI-Erhebung

Pflegekräfte: Im Hintergrund lauert das Gespenst der Erschöpfung

Montag, 09. Juli 2018 | 10:27 Uhr

Bozen – Pflegekräfte in Seniorenwohnheimen sind mit Leib und Seele bei der Sache, aber im Hintergrund lauert das Gespenst der Erschöpfung und des Ausgelaugt-Seins in diesem anspruchsvollen Beruf, den unsere Gesellschaft immer notwendiger braucht. In Zusammenarbeit mit der Sozialabteilung des Landes und dem Verband der Seniorenwohnheime hat das AFI eine breit angelegte arbeitspsychologische Erhebung gemacht und herausgefunden, wie Südtirols Pflegekräfte ihre Arbeit in den stationären Einrichtungen der Altenpflege quer durch das ganze Land sehen und welche Verbesserungsvorschläge sie haben.

Die erste landesweite Erhebung dieser Art wurde von Dr. Wilhelm Kuntner im Auftrag des AFI durchgeführt. Untersucht wurden die Arbeitsbedingungen der Pflegekräfte in den Südtiroler Senioren- und Pflegeheimen mit dem Ziel, herauszufinden, welche Bedingungen eine gute, professionelle, nachhaltig empathische und stabile Pflege ermöglichen.

Was die Pflegekräfte sagen

60 Prozent der Pflegekräfte sind stolz auf die eigene Arbeit und haben das Gefühl, sich verwirklichen zu können und Hilfsbedürftige zu unterstützen. Hoch schätzen die Pflegekräfte ihre eigenen beruflichen Kompetenzen ein und beurteilen ihr Arbeitsklima als ein weitgehend gutes. Das größte Risiko für Pflegende allgemein ist die Erschöpfung bzw. das Ausgebrannt-Sein („Burn-out“) infolge ihrer hingebungsvollen Aufgabe. So etwa weisen 32 Prozent der Pflegekräfte erhöhte Erschöpfungswerte und 16 Prozent erhöhte körperliche Stress-Symptome auf und von den Unter-30-Jährigen geben 37 Prozent an, dass sie gerne Beruf wechseln würden. Bei älteren Pflegekräften ab 50 Jahren sind Erschöpfungszustände weniger häufig als bei jüngeren, ebenso bei Pflegekräften mit ausgeprägten beruflichen Kompetenzen. Wenn Belastungen aus dem Privatleben mitwirken, sind die Erschöpfungswerte groß. Eine zusätzliche Belastung bilden Arbeitsmenge und Zeitdruck: 40 Prozent der Pflegekräfte empfinden diese als hoch. Vergleichsdaten zeigen allerdings, dass Pflegekräfte in Deutschland und in Österreich unter einem noch höheren Arbeitsdruck stehen, wie aus der Erhebung hervorgeht.

Was die Fachleute sagen

Wenn es um Verbesserungsmöglichkeiten der Arbeitsbedingungen in Seniorenwohnheimen geht, führen Fachpersonen folgende Bereiche ins Feld: Handlungsspielraum, abwechselnde Arbeitsaufgaben, die Art der Weitergabe von Informationen im Betrieb und die Planbarkeit von Arbeits- und Freizeit. Wesentlich sei eine erholsame Freizeitgestaltung (Sport, Freunde, Ausgehen), um Erschöpfungszuständen vorzubeugen, sagen die Experten. In der Praxis würden organisatorische und verwaltungstechnische Gründe den korrekten Einsatz des vom Gesetz vorgesehenen psychophysischen Erholungsurlaubes erschweren. Insgesamt müssten die unterschiedlichen Formen von Urlaub und Warteständen so eingesetzt werden, dass sie zur Erholung beitragen.

Die Erkenntnisse aus der AFI-Studie: Wie gelingt professionelle und gute Pflege?

„Die Qualität der Pflege steht und fällt mit den Arbeitsbedingungen der Pflegekräfte“, geht AFI-Direktor Stefan Perini auf den Kern der Erhebung. Es brauche mehr Personal und weniger Bürokratie, ist Perini überzeugt, denn gute Pflege sei davon abhängig, wieviel Zeit eine Pflegekraft „am Mensch“ verbringen kann. In diesem Sinne sei der Personalschlüssel an neue Gegebenheiten wie z. B. ältere Menschen mit mehreren Krankheitsbildern anzupassen. Zudem müsse man die Gründe für den häufigen Wunsch nach einem Berufswechsel bei den jungen Fachkräften besser verstehen, um adäquat gegensteuern zu können. In Zeiten des allgemeinen Fachkräftemangels werde für die Heime auch die Fachkräftesicherung immer wichtiger. Dazu sollten die Arbeitsbedingungen der Pflegekräfte im Hinblick auf selbstbestimmtes Arbeiten, Ausbau der persönlichen Kompetenzen, Aufgabenvielseitigkeit und einer noch besseren Abstimmung von Arbeitszeit und Privatleben optimiert werden, kommen die Experten der AFI-Studie zu Schluss. Da die Digitalisierung und Technik auch im Pflegeberuf massiv Einzug halten wird, gelte es für die Sozialpartner, auch auf diesem Feld neue Modelle der Arbeitsorganisation auszuhandeln, welche die menschliche Dimension der Arbeit an Pflegebedürftigen in den Mittelpunkt stellt, betont AFI-Präsidentin Christine Pichler.

Stellungnahme von Landesrätin Martha Stocker

„Der wahre Goldschatz für den gesamten Pflegebereich sind die Menschen, die täglich so viel Wertvolles leisten. Gute, professionelle Pflegekräfte, die ihre Arbeit mit Hingabe und Kompetenz erfüllen, sind eine enorm wichtige Ressource für unsere alternde Gesellschaft. Wir müssen alles daran setzen, dass sie zugleich auch imstande sind, auf sich selbst zu schauen. Um ihre Arbeitsbedingungen optimal zu gestalten, müssen Abläufe und Prozesse genau beobachtet und immer wieder den sich rasch ändernden Anforderungen angepasst werden. Dazu müssen wir sowohl in ihre Aus- und Weiterbildung als auch in Organisationsentwicklung in den Strukturen investieren.“

Stellungnahme vom Präsidenten des Verbands für Seniorenwohnheime Moritz Schwienbacher

“Für den Verband der Seniorenwohnheime ist diese Studie von großer Bedeutung. Der VdS wird die Ergebnisse genau studieren und analysieren, um mit gezielten Maßnahmen auf die Bedürfnisse der MitarbeiterInnen einzugehen.”

Von: luk

Bezirk: Bozen