Von: mk
Bozen – Die öffentlichen Aufträge betrugen 2019 in Südtirol insgesamt 1,6 Milliarden Euro, das entspricht in etwa einem Drittel des Landeshaushalts. Drei Viertel der Aufträge wurden nach dem Kriterium des niedrigsten Preises zugeschlagen. Am 26. Februar wurde in einem Webinar des AFI | Arbeitsförderungsinstitut mit lokalen Experten und weiteren 70 Teilnehmenden darüber diskutiert, wie das Phänomen des Zuschlags nach dem höchsten Abschlag und des „vertraglichen Dumpings“ unterbunden werden kann, um den Beschäftigten der auftragnehmenden Unternehmen angemessene Arbeitsbedingungen zu sichern. „Dabei entstand ein Maßnahmenkatalog mit sechs Vorschlägen, mit dem sich die Entscheidungsträger auseinandersetzen sollten, um in Südtirol gute Arbeitsbedingungen zu garantieren“, sagt Präsident Dieter Mayr.
Das Webinar „Öffentliche Aufträge & Arbeitsbedingungen“ fand am 26. Februar statt und wurde von AFI-Vizedirektorin Silvia Vogliotti moderiert. Zum Abschluss des Webinars war ein Austausch zwischen den Referenten und den Teilnehmenden in verschiedenen „virtuellen Räumen“ vorgesehen. Dabei wurden auch Vorschläge für die Zukunft ausgearbeitet, die in sechs Maßnahmen zusammengefasst werden können:
Maßnahme Nummer eins: Protokoll der Sozialpartner
Die Sozialpartner sollten ein Protokoll ausarbeiten, um die anzuwendenden Kollektivverträge exakt zu ermitteln (in Italien herrscht in diesem Zusammenhang mit rund 800 verschiedenen nationalen Kollektivverträgen das reinste Chaos). Damit soll Gewissheit geschaffen werden, welcher NKV bei einem Auftrag (Arbeiten, Dienstleistungen oder Lieferungen) spezifisch anzuwenden ist. Ziel ist es, das Phänomen des „vertraglichen Dumpings“ zu unterbinden, bei dem die auftragnehmenden Unternehmen meist den Vertrag mit den schlechtesten Bedingungen für ihre Belegschaften anwenden.
Maßnahme Nummer zwei: Errichtung eines Kompetenzzentrums bei der AOV
Bei der AOV – Agentur für die Verfahren und die Aufsicht im Bereich öffentliche Bau-, Dienstleistungs- und Lieferaufträge sollte ein Kompetenzzentrum errichtet werden, um die auftraggebenden Körperschaften z.B. bei der Ausarbeitung der Ausschreibungsbedingungen zu unterstützen, und somit von Anfang an klare Verhältnisse zu schaffen. Meist verfügen die öffentlichen Körperschaften zwar über technische Ämter, welche den Auftrag unter dem technischen Aspekt betreuen können, aber nicht über angemessen und fortgehend ausgebildetes Verwaltungspersonal: Dieses sollte in der Lage sein, alle Bestimmungen zu berücksichtigen, Verwaltungsverfahren abzuwickeln und korrekte Aufträge abzufassen.
Maßnahme Nummer drei: Spezifische Dienste für Genossenschaften
Genossenschaften sind meist kleine, aber auch sozial sehr kostbare Wirtschaftsteilnehmer (man denke zum Beispiel an die Sozialgenossenschaften, die sich um Arbeitseingliederungen kümmern). Sie brauchen jedoch konkreten Beistand seitens ihrer Dachverbände, da sie meist nicht über das erforderliche Personal und die nötige Struktur verfügen, um an den Ausschreibungen und Marktumfragen teilzunehmen.
Maßnahme Nummer vier: Zusätzliche Regeln für Aufträge unter dem Schwellenwert
Was nun die Arbeiten, Dienstleistungen und Lieferungen betrifft, sind vor allem zusätzliche Regeln für Aufträge unter dem Schwellenwert (das heißt zu relativ niedrigen Beträgen) gefragt, um den Gesamtrahmen genauer zu umreißen und transparenter zu gestalten. Dienstleistungen und Lieferungen unter 40.000 Euro werden in acht von zehn Fällen lokalen Unternehmen erteilt. 2019 wurden mehr als 50.000 Zuschläge durchgeführt; daher ist es auch so wichtig, dass alle die „Spielregeln“ genau kennen.
Maßnahme Nummer fünf: Trendumkehr im Outsourcing
Von mehreren Seiten wird die Wiedereingliederung oder Insourcing verschiedener öffentlicher Dienste gefordert, die in den letzten Jahren ausgelagert worden sind. Outsourcing hat nicht immer eine höhere Dienstqualität zur Folge und verursacht mittel- bis langfristig unter Umständen sogar höhere Kosten. Die Einsparungen, welche die öffentliche Körperschaft durch die Vergabe erzielt, können mittel- bis langfristig auch nach hinten losgehen, da viele Arbeitnehmer/innen mit geringem Arbeitseinkommen (die sog. „Working poors“) irgendwann auf lohnergänzende Sozialleistungen angewiesen sind.
Maßnahme Nummer sechs: Rechtssicherheit
In allen virtuellen Webinar-Räumen wurde allgemein der Bedarf nach Rechtssicherheit deutlich – eine unabdingbare Bedingung, um in einem so komplexen Themenbereich besser arbeiten zu können. Aufgrund der Überschneidung von gemeinschaftlichen, nationalen und lokalen Bestimmungen ist es sehr schwer, sich einen klaren Überblick und somit Gewissheit zu verschaffen. „Das ist auch der Grund, warum einige Vorschläge in die Richtung spezifischer Kompetenzzentren gehen: Es gilt, die Qualität der öffentlichen Aufträge zu steigern und dadurch die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten in den auftragnehmenden Unternehmen zu schützen“, erklärt abschließend Vogliotti.
Die Aufzeichnung des Webinars sowie die Präsentationen sind auf der Website des AFI unter folgendem Link zu finden: http://afi-ipl.org/it/veranstaltungen/lipl-in-dialogo-appalti-pubblici-condizioni-di-lavoro-webinar