Von: luk
Bozen – Südtirols Wirtschaft zeigt sich erstaunlich unbeeindruckt von der internationalen Konjunkturflaute. Neben den „harten“ Daten zeigt auch die Stimmung der Arbeitnehmer keinen signifikanten Einbruch.
AFI-Direktor Stefan Perini stellt allerdings drei Auffälligkeiten fest: „Erstens expandiert die Südtiroler Wirtschaft, während das Umfeld weitgehend stagniert. Zweitens sehen die Unternehmer in Südtirol kurzfristig keine konjunkturelle Abschwächung, die Arbeitnehmer aber schon. Drittens sind die Südtiroler Unternehmen mit der Ertragssituation zufrieden, die Arbeitnehmer mit ihrem Lohn weniger.“
Die internationale Konjunktur kühlt sich weiter ab. Laut ifo-Konjunktur-Uhr zeichnet sich eine Rezession ab. Die prognostizierten Wachstumsraten wurden ein weiteres Mal nach unten korrigiert. Dies gilt insbesondere für die wichtigen Partnerländer Südtirols. Der IWF (Internationaler Währungsfonds) weist in seiner Oktober-Prognose folgende Wachstumsraten für 2019 aus: Italien: 0,0 Prozent; Deutschland: +0,5 Prozent; Österreich: +1,6 Prozent; Euroraum: +1,2 Prozent. Die Rahmenbedingungen: verhaltene Rohstoffpreise und Inflation, positive Entwicklung der Arbeitsmärkte und internationalen Börsen sowie Konvergenz der Zinsdifferentiale bei Staatsanleihen (“spread”). Belastend auf die Konjunktur wirken sich schwelende Handelskonflikte, der Brexit, die Niedrigzinsen und eine steigende Investitionszurückhaltung aus.
Unerwartet positive Zwischenbilanz 2019
Südtirols Wirtschaft zeigt sich bislang erstaunlich unbeeindruckt von der internationalen Konjunkturflaute. Der Jobmotor läuft in Südtirol nach wie vor rund (Beschäftigungszuwachs: +2,3 Prozent; Arbeitslosenrate: 2,9 Prozent). Relativ neu ist, dass unbefristete Verträge seit einigen Monaten zunehmend befristete ersetzen (“Dekret-der-Würde“-Effekt). Die Südtiroler Exporte springen, dem internationalen Konjunkturtrend zum Trotz, im 2. Quartal 2019 überraschend an. Die Nächtigungen im Tourismus holen in den Sommermonaten wieder auf und bringen das Zwischenergebnis der ersten acht Jahresmonate 2019 annähernd auf das Vorjahresniveau. Die Kreditvergabe an Privatpersonen läuft auf hohen Touren („Flucht in die Immobilie“) – jene an Unternehmen mit weniger als 20 Beschäftigen hingegen schleppend.
Drei Auffälligkeiten im Stimmungsbild
Im aktuellen Stimmungsbild der Südtiroler Arbeitnehmer behält die Zuversicht noch die Oberhand: Die Indikatoren zu den wirtschaftlichen Aussichten für die nächsten zwölf Monate bleiben nach oben gerichtet, die Vorzeichen einer Abkühlung sind allerdings nicht von der Hand zu weisen. Angesprochen auf die eigene wirtschaftliche Situation beschreiben die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dieselbe als “unverändert”, was einmal mehr untermauert, dass das Gefühl vorherrscht, vom wirtschaftlichen Aufschwung nicht profitieren zu können. Die Suche nach einem gleichwertigen Arbeitsplatz gestaltet sich aktuell recht unproblematisch. AFI-Direktor Stefan Perini stellt allerdings drei Auffälligkeiten fest: „Erstens expandiert die Südtiroler Wirtschaft, während das Umfeld weitgehend stagniert. Zweitens sehen die Unternehmer in Südtirol kurzfristig keine konjunkturelle Abschwächung, die Arbeitnehmer aber schon. Drittens sind die Südtiroler Unternehmen mit der Ertragssituation zufrieden, die Arbeitnehmer mit ihrem Lohn weniger.“
BIP-Prognose für Südtirol 2020: Plus ein Prozent
Aus heutiger Sicht liegt die vor zwölf Monaten geschätzte AFI-Wachstumsprognose für die Südtiroler Wirtschaft für das laufende Jahr (+1,4 Prozent) eher am oberen Rand. 2020 dürfte die Verlangsamung der internationalen Wirtschaftsentwicklung auf Südtirol überschwappen, ohne die Lokalwirtschaft in eine Rezession zu stürzen. Für besonders exportorientierte Betriebe bahnen sich schwierigere Zeiten an – was im Laufe von 2020 auch negativ auf den Arbeitsmarkt abfärben dürfte (weniger Anstellungen, Kurzarbeit, Lohnausgleichskasse). Des Weiteren ist aufgrund des Überhangs an Produktionskapazitäten ein Investitionsrückgang bei den Gewerbebauten absehbar. Unter Berücksichtigung aller Faktoren prognostiziert das AFI für die Südtiroler Wirtschaft im Jahr 2020 ein Wachstum von plus ein Prozent.
Berufliche Weiterbildung für 77 von 100
Ob Weiterbildungskurs, Tagung, Einarbeitung am Arbeitsplatz oder aus eigenem Interesse: Laut AFI-Barometer Herbst haben 77 von 100 Arbeitnehmern in den letzten zwölf Monaten in Südtirol mindestens eine Weiterbildung gemacht – nach Eigenangabe der Befragten immerhin im Ausmaß von im Schnitt 61 Stunden pro Jahr. Verpflichtend war sie selten – hauptsächlich haben sich Arbeitnehmer aus dem Wunsch weitergebildet, besser im Beruf zu sein oder aus eigenem Interesse. Der Rest gibt an, keine Weiterbildung zu brauchen, der Arbeitgeber sie nicht genehmigt habe oder berufliche Zeitknappheit sie nicht zuließe. Inwieweit decken sich die beruflichen Kompetenzen mit der tatsächlich zu leistende Arbeit? Von 100 Arbeitnehmer sagen 13, dass sie mehr Weiterbildung bräuchten, um ihren Beruf gut auszuüben, 56 fühlen sich adäquat ausgebildet, 31 glauben hingegen, dass sie auch anspruchsvollere Tätigkeiten übernehmen könnten.
Stellungnahme von AFI-Präsident Dieter Mayr
„Die berufliche Weiterbildung entscheidet mit über die Wettbewerbsfähigkeit des Arbeitsstandortes Südtirol – aber wir sind nur EU-Durchschnitt. Um aufzuholen, müssen wir es schaffen, dass auch die geringer Gebildeten an der Weiterbildung teilnehmen und von ihr profitieren.“
Das AFI-Barometer erscheint viermal im Jahr (Winter, Frühjahr, Sommer, Herbst) und wiedergibt das Stimmungsbild der Südtiroler Arbeitnehmerschaft. Die telefonisch geführte Umfrage betrifft 500 Arbeitnehmer und ist für Südtirol repräsentativ.
Die nächsten Umfrage-Ergebnisse werden Ende Jänner 2020 vorgestellt.