„Es braucht Wohnungen, aber…“

Debatte um Wohnzone im Bozner Gewerbegebiet

Freitag, 29. September 2023 | 15:47 Uhr

Bozen – In Bozen herrscht seit Jahren ein Mangel an Wohnraum; zuletzt hat sich das Problem akut zugespitzt: Laut Studien der Gemeinde Bozen liegt der Bedarf bei 4.000 Wohnungen bis zum Jahr 2030. Nun hat eine Gruppe Südtiroler Unternehmer ein Projekt vorgelegt, das kurzfristig für eine spürbare Entspannung der Lage sorgen kann. Das „Quartier Rombrücke“ wurde heute bei einer Pressekonferenz vorgestellt und sorgt jetzt schon für Diskussionen.

Egal ob junge Familien oder Menschen, die nach Studienabschluss wieder zurückkehren möchten, oder aber Menschen, die sich aus Arbeitsgründen in Bozen ansiedeln wollen – sie alle stehen vor dem Problem, wo und wie wohnen. Das Angebot ist knapp und vor allem teuer. Gerade im aktuellen Landtagswahlkampf wird das Thema praktisch von allen Parteien als Problem bezeichnet, welches gelöst werden müsse. Nur wie?

Laut den beteiligten Unternehmern lautet die Antwort „Quartier Rombrücke“. Es sei ein konkreter Projektvorschlag einer Gruppe Südtiroler Unternehmer rund um Heinz Peter Hager, Paolo Tosolini und Robert Pichler. „Mit diesem Projekt ist es möglich, kurzfristig 1.000 neue, leistbare Wohnungen zu bauen und dazu noch 500 Unterkünfte für Studierende, die ebenfalls dringend benötigt werden“, erklärt Hager. Inmitten des Quartiers entstehe als grünes Herz ein großer Park, erhaltungswürdige Industriehallen würden zu neuen Gemeinschaftszentren mit vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten. Dazu kämen einige weitere Einrichtungen wie Büroflächen, Pendlerparkplätze sowie Grün- und Freizeitanlagen.

Masterplan der Gemeinde Bozen als Grundlage

Das „Quartier Rombrücke“ liege direkt angrenzend an die Stadtviertel Haslach-Oberau und Don-Bosco im Bereich zwischen Romstraße, Achille-Grandi- und Lanciastraße im Norden der Bozner Gewerbezone. Genau dieser Bereich sei von der Gemeinde bereits im Jahr 2010 mit dem Masterplan als so genanntes „Umwandlungsareal“ definiert worden, so die Initiatoren des Projekts. Dazu heiße es im Masterplan u.a.: „Diese Areale, die dringend aufgewertet und urbanistisch saniert werden müssen, können auch die Antwort auf die Wachstumsnachfrage (…) hinsichtlich Wohnungen oder Gewerbe sein (…).“

Hager: „Dies steht in einem Dokument, das die Gemeinde vor 13 Jahren beschlossen hat – schon damals hat man erkannt, dass es sinnvoll ist, bereits bebaute Flächen wiederzugewinnen und auch neuen Nutzungen zuzuführen, anstatt immer weiter ins Grüne zu bauen. Dieser Maxime kommen wir mit unserem Projekt nach und es ist eine sehr innovative und nachhaltige Maßnahme.“ Das „Quartier Rombrücke“ sei seit Jahren weitgehend ungenutzt, es liege in geographisch zentralster Lage Bozens und verbinde die Stadtteile Haslach-Oberau und Don Bosco. „Das Quartier Rombrücke erhöht die urbanistische Qualität für mehrere Stadtviertel erheblich, weil es dem Stadtgebiet hochqualitativen, multifunktionellen Lebensraum zwischen bereits bewohnten Stadtteilen hinzufügt.“

Der Gewerbezone selbst erwachse daraus kein Nachteil. „Gut ein Drittel des bebauten Bozner Stadtgebiets ist heute so genannte Industriezone. Doch ein Blick auf dieses große Gebiet zeigt, dass hier schon lange nicht mehr nur produziert wird – es gibt Handel, Dienstleistung, Gastronomie … und vor allem sehr viele brachliegende Flächen“, so Hager. Eine zukunftsorientierte und nachhaltige Stadtentwicklung – wie sie auch gesetzlich vorgesehen ist – müsse also auf Verdichtung und Wiedergewinnung setzen anstatt auf weitere Ausdehnung ins Grüne.

Das Projekt im „Quartier Rombrücke“ sei ein Bebauungsvorschlag, für dessen Entwicklung und Gestaltung die Südtiroler Unternehmer internationales Know-how mit einbezogen hätten – allen voran SIGNA als Development Partner, das renommierte Planungsbüro Henning Larsen aus Dänemark sowie Christoph Kohl, international tätiger Stadtplaner mit Büro in Berlin und Wurzeln in Bozen. Louis Becker, Global Design Director von Henning Larsen, nannte das Projekt bei der Pressekonferenz ein „hochmodernes, zukunftsorientiertes Stadtentwicklungskonzept, das die Qualitäten und Geschichte Bozens respektiert und neu interpretiert und auf diese Weise ein wegweisendes Vorzeigeprojekt für Quartiersentwicklung in Europa werden kann“. Details zum Projekt erläuterten Planerin Nicole Vettore und SIGNA Projektentwickler Thibault Chavanat.

„Wir planen sehr viele Grünflächen, darunter auch weitreichend tiefes Grün, wo hohe Bäume wachsen können. Auf diese Weise werden heute versiegelte Flächen entsiegelt und erhalten eine wichtige Funktion gegen eine Hitzeinsel und für ein angenehmes Stadtklima, was auch im Hinblick auf die Klimaveränderung essentiell ist“, so Chavanat. „Wir wollen ein Modellquartier bauen mit klarem Fokus auf eine CO2-einsparende Stadtentwicklung.“ Eigens angefertigte Studien zu Luftqualität und Lärm an allen neuralgischen Punkten des Geländes hätten ergeben, dass die Situation hier schon heute besser ist als in vielen anderen Stadtvierteln. „Das sind sehr gute Voraussetzungen“, so Chavanat.

1.000 Wohnungen würden Wohnraum für Familien und Mitarbeiter der Wirtschaftsunternehmen in Bozen bieten, das „Student Hotel“ für 500 Studierende liege nur wenige Fahrrad-Minuten entfernt von der Freien Universität Bozen im Stadtzentrum und der neuen technischen Fakultät im NOI Tech Park. Büros, Flächen für Kleinhandwerk, Gastronomie, Geschäfte, eine KITA, Sport und Unterhaltung würden das „Quartier Rombrücke“ zum lebendigen Stadtteil machen.

Die neuen Wohnflächen seien leistbar, weil man laut Hager hier viele Grundvoraussetzungen finde, welche das Bauen relativ kostengünstig ermöglichen. Nun sei die Politik am Zug. „Wir können 2025 mit dem Bau beginnen“, so Hager.

Bozner Unternehmerverband skeptisch

Der Bezirk Bozen Stadt im Unternehmerverband nimmt zum Projekt für den Bau von Wohnungen in der Industriezone Stellung. Ohne auf die Details des Projekts einzugehen, heben Bezirksvertreter Mauro Chiarel und sein Vize Martin Atzwanger einige zentrale Aspekte hervor, die dagegen sprechen, in einem Gewerbegebiet eine Wohnzone zu errichten.

„Wir stimmen alle überein, dass Bozen dringend leistbare Wohnungen braucht. Dies gilt für Familien, Studentinnen und Studenten sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unserer Unternehmen. Aber Bozen braucht auch attraktive Arbeitsplätze, die den jungen Menschen Wachstumsperspektiven bieten. Es sind gerade die Produktionsbetriebe und die industriell organsierten Dienstleistungen, die diese Art der Beschäftigung garantieren, und zwar dank ihrer hohen Produktivität, ihrer Innovationsbereitschaft und ihrem Bestreben, neue Märkte zu erobern. Sie können dadurch unbefristete Arbeitsplätze mit höheren Durchschnittslöhnen garantieren“, so Chiarel und Atzwanger.

In einem Gewerbegebiet eine Wohnzone zu errichten, führe aufgrund der entstehenden Konfliktsituation dazu, dass die dort ansässigen Unternehmen nicht mehr effizient arbeiten könnten. „Die Produktionszonen weiter einzuschränken bedeutet, die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen zu beschränken und sie so zu zwingen, alternative Lösungen zu finden. Zugleich kann eine Wohnung in einem Gewerbegebiet nicht die gleiche Wohnqualität aufweisen wie eine in einem Wohnviertel, wo sich alle notwendigen Dienstleistungen befinden sowie Verkehr und Lärm wesentlich geringer sind.“

Hinsichtlich der Aussage, dass es in der Industriezone seit langem ungenutzte Flächen gebe, sei zu sagen, dass gerade die ständige Diskussion über die Möglichkeit, Wohnungen zu errichten, wesentlich dazu beitrage. „Eine klare Aussage vonseiten der Gemeinde wäre notwendig, um diese Diskussion ein für alle Mal zu beenden. Damit würde den Unternehmen Rechtssicherheit und Planungssicherheit für Investitionen gegeben. Die derzeitige Gesetzgebung erlaubt es bereits, in Gewerbezonen Dienstwohnungen, Studentenheime und Wohnungen für die zeitweilige Unterbringung von Personal zu errichten. Diese Gesetzgebung mit ad hoc-Lösungen zusätzlich auszureizen, würde nur zu weiteren Unsicherheiten führen, die Investitionen zu bremsen oder gar zu verlagern drohen“, so Chiarel und Atzwanger.

Hinsichtlich der Wohnbaupolitik unterstreicht der Unternehmerverband die Notwendigkeit, rasch Antworten zu geben, in dem man sich auf verschiedenen Ebenen bewegt und bestehende Zonen bestmöglich nutzt. Vorschläge dazu wurden bereits mit verschiedenen Sozialpartnern vereinbart. Es gelte, den neuen Entwicklungsplan für das Bahnhofsareal zu beschleunigen sowie die Wiedergewinnung der Gründe der Huberkaserne. In Zukunft müsse die Stadt nach oben wachsen – insbesondere bei den Neubauten. Zudem müsse auf eine engere Zusammenarbeit mit den umliegenden Gemeinden, insbesondere Leifers, gesetzt werden, so der Unternehmerverband.

Von: mk

Bezirk: Bozen