Neue Perspektiven durch Weiterbildung

Zivilinvalidität und beruflicher Wiedereinstieg

Freitag, 21. November 2025 | 09:34 Uhr

Von: Ivd

Bozen – Die Arbeitslosenquote der Südtiroler Zivilinvaliden ist mehr als fünf Mal so hoch wie bei Menschen ohne Behinderung. Neben falschen Vorurteilen von Seiten der Unternehmen liegt der häufigste Grund in der Beeinträchtigung selbst: Viele Betroffene müssen aufgrund ihrer Erkrankung eine längere berufliche Pause einlegen oder sind gezwungen, ihren erlernten Beruf ganz aufzugeben. Aus diesem Grund veranstaltete die Vereinigung der Zivilinvaliden (ANMIC Südtirol) einen etwa einjährigen Buchhaltungskurs für arbeitssuchende Zivilinvaliden, dank welchem fast alle Teilnehmer bereits erfolgreich in die Arbeitswelt reintegriert wurden.

„Als größte Interessensvertretung der Südtiroler Zivilinvaliden und Menschen mit Behinderung kennen wir die Problematiken, mit welchen unsere Mitbürger mit Beeinträchtigung tagtäglich konfrontiert sind. Eine davon betrifft nach wie vor das Thema Arbeit“, erklärt Thomas Aichner, Präsident der ANMIC Südtirol. „Bei den mehr als 46.600 anerkannten Zivilinvaliden in Südtirol lässt sich erahnen, wie wichtig Maßnahmen zu diesem weitreichenden Themenfeld sind. Deshalb haben wir zum dritten Mal in Folge einen kostenlosen Buchhaltungskurs organisiert, welcher umfassende Kenntnisse vermittelt und Betroffenen eine neue berufliche Perspektive eröffnet.“

In einer solchen Situation befand sich auch Christian, Zivilinvalide und Teilnehmer des heurigen Buchhaltungskurses. Der 49-jährige Traminer und Familienvater erlitt einen plötzlichen Schlaganfall. Vieles, was zuvor selbstverständlich war, war auf einmal nicht mehr möglich und musste schrittweise und durch Rehabilitation wieder erlernt werden. Obwohl Christian viele seiner motorischen Fähigkeiten dank großem Einsatz und Willenskraft zurückerobern konnte, stand angesichts seiner beruflichen Tätigkeit fest: Seinen Beruf als Malermeister, welchen er erlernt und sein Leben lang ausgeübt hatte musste er aufgeben.

Solche Schicksalsschläge sind keine Seltenheit und betreffen zahlreiche Südtiroler, die mit einer angeborenen oder erworbenen körperlichen, psychischen oder geistigen Beeinträchtigung leben. Dabei sind die Herausforderungen für Betroffene und deren Familienangehörigen erheblich: Nicht nur der gesundheitliche Zustand bereitet Ängste und Sorgen, sondern auch die Frage, wie es beruflich weitergehen soll. „Wie Christian befinden sich viele in einer ähnlichen Situation: Sie haben ein Handwerk in jungen Jahren erlernt und dieses jahrzehntelang ausgeübt, oder waren in anderen Berufen tätig, die sie nicht weiter ausüben können,“ erklärt Thomas Aichner. „Bei vielen führt ihre Krankheit außerdem zu einer längeren beruflichen Pause und der Schritt zurück ins Arbeitsleben gestaltet sich auch deshalb schwierig, da der Arbeitsmarkt einem ständigen Wandel unterliegt und neue Kompetenzen und Arbeitstechniken vorausgesetzt werden.“

Aus diesem Grund wurde der Weiterbildungskurs „Grundlagen der Buchhaltung und Bilanzierung für Zivilinvaliden“ zum dritten Mal von der ANMIC Südtirol veranstaltet, an dem 8 arbeitssuchende Zivilinvaliden zwischen 37 und 67 Jahren teilnahmen. Über mehrere Monate lang kamen sie aus verschiedenen Teilen Südtirols nach Bozen und nahmen an insgesamt 13 Modulen wie „Grundlagen der Bilanzierung“, „Digitalisierung im Rechnungswesen“ oder „Personen- und Vertragsrecht“ teil. Vermittelt wurden die Themen in insgesamt 342 Unterrichtsstunden von zehn Dozenten und Experten, darunter auch diverse Südtiroler Wirtschaftsberater und Rechtsanwälte. Im Laufe des Kurses erlernten die Teilnehmer vielfältige und umfangreiche Kompetenzen aus den Bereichen Buchhaltung, Bilanzierung, Computerwesen, Jahresabschlussanalyse oder dem Rechnungswesen, um so ihre Chancen auf einen erfolgreichen Berufseinstieg gezielt zu erhöhen.

Nach Ende der Schulung durfte das Erlernte in die Praxis angewandt werden: Hierfür organisierte die ANMIC Südtirol für jeden Teilnehmer ein mehrmonatiges Praktikum, wodurch die teilnehmenden Zivilinvalide noch besser auf eine Festanstellung vorbereitet wurden. „Wir haben die Praktika möglichst in Wohnortnähe der Teilnehmer organisiert“, erklärt Giulia Ferrarese, ESF-Ansprechpartnerin und Zuständige für den Buchhaltungskurs. „Es war uns wichtig, die Fahrtzeiten so kurz wie möglich zu halten und die Teilnehmer so gut es geht zu entlasten.“ Die Praktika wurden von Südtiroler Unternehmen angeboten, darunter auch zwei führende Büros von Wirtschaftsprüfern und Steuerberatern.

Der Weiterbildungskurs, welcher im September 2025 abgeschlossen wurde, konnte dank Finanzierung durch den Europäischen Sozialfonds (ESF) und der Autonomen Provinz Bozen realisiert werden. Wie wichtig derartige Unterstützungsmaßnahmen sind, unterstreicht auch Thomas Aichner. „Schulungen sind heutzutage mit hohen Kosten verbunden, die je nach Dauer auch mehrere Tausend Euro betragen können. Umso wichtiger sind daher kostenlose Kursangebote, besonders für jene unter uns, die gerade keiner Arbeit nachgehen und es aufgrund ihrer körperlichen, seelischen oder geistigen Beeinträchtigung ohnehin schon schwer genug haben.“

Nach Abschluss des Kurses hat die Mehrheit der Kursteilnehmer bereits eine Anstellung gefunden. Dies gibt allen Mitwirkenden Grund zur Freude und deutet darauf hin, dass auch dieser Weiterbildungskurs erfolgreich war. Aber kein noch so lehrreicher und gut organisierter Kurs kann Erfolge tragen, wenn die wichtigste Komponente nicht mitmacht: Seine Schüler. Die Teilnehmer haben den Unterricht und das Praktikum von Beginn an mit großem Interesse, Motivation und Durchhaltevermögen besucht – und dies trotz ihrer Zivilinvalidität und den damit verbundenen gesundheitlichen Einschränkungen. Die ANMIC Südtirol spricht allen Teilnehmern ein großes Lob aus und ermutigt auch jene, die noch auf der Suche nach einem passenden Jobangebot sind, weiterzumachen, sich nicht entmutigen zu lassen und an den erlernten Kompetenzen festzuhalten. Die richtige Stelle kommt bestimmt!

Bezirk: Bozen

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