Ein Kommentar

Blick nach vorne anstatt zurück

Donnerstag, 19. September 2019 | 09:25 Uhr

Bozen – Das hundertjährige „Jubiläum“ des Vertrags von Saint-Germain – das mit der Zerreißung des Historischen Tirols das vielleicht einschneidendste Ereignis der Landesgeschichte – ging abgesehen von ein paar Pressemitteilungen lautlos über die Bühne. Während die mahnenden Wehklagen der einen und das befürchtete Siegesgeheul der anderen Seite fast ganz ausblieben, stand – wenn überhaupt – stilles Gedenken im Mittelpunkt.

Das eigentlich Unerklärliche ist vielleicht ganz einfach zu erklären. Die heutigen Südtiroler können im Gegensatz zu früheren Generationen mit der Trauer um das Ende der Landeseinheit nicht mehr viel anfangen und sehen deren Folgen – die Mehrsprachigkeit und eine schöne Landschaft, in der sich drei Kulturen treffen – auch als Gewinn und Glücksfall des Schicksals. In diesem Sinne haben viele Landsleute einfach keine Lust mehr, nur in den Rückspiegel zu blicken und das Trennende in den Mittelpunkt zu stellen.

LPA/EVTZ

Bitte nicht falsch verstehen: Geschichte und Gedenken sind wichtig. Aber ihr Missbrauch ist auch gefährlich. Viele Südtiroler haben das erkannt und nehmen immer öfter Abstand davon, sich vor diesem oder jenem Karren spannen zu lassen. Vielmehr wollen sie endlich nach vorne blicken und die wahren Herausforderungen der Zukunft – Klimawandel, Einwanderung, friedliches Zusammenleben und Wohlstand für alle – in Angriff nehmen.

Wer nur in der Vergangenheit lebt, verpasst die Gegenwart und verliert in der Folge die Zukunft. Südtirol, das wie kaum eine andere Region in Europa für mustergültige Verwaltung, aber auch für einen Mangel an Visionen steht, will die Zukunft gestalten, ohne die Vergangenheit vergessen. Aber vor allem will es nicht mehr Sklave einer schmerzhaften Geschichte sein.

Von: ka

Bezirk: Bozen