Vorstellung des Ethikkodex als historischer Schritt

Bozen: Europäisches Forum zum Schutz vulnerabler Menschen

Samstag, 04. Oktober 2025 | 17:19 Uhr

Von: lup

Bozen – Am gestrigen Freitag fand im EURAC Research das Europäische Forum zum Schutz vulnerabler Menschen statt, veranstaltet vom Verein für Sachwalterschaft. An der Tagung nahmen über hundert Personen teil – Familienangehörige, Fachkräfte, Richter, Institutionen und Vereine –, mit Referenten und Referentinnen aus Italien, Österreich und Deutschland.

Eröffnet wurde die Veranstaltung mit einer Videobotschaft der italienischen Ministerin für Menschen mit Behinderungen, Alessandra Locatelli, die daran erinnerte, „dass es entscheidend ist, die Rechte und die Selbstbestimmung der vulnerabelsten Menschen zu sichern – mit dem Beitrag der Institutionen und der gesamten Gesellschaft“.

Im Mittelpunkt des Forums stand die Vorstellung des ersten Ethikkodex für Sachwalter, Ergebnis eines breiten Beteiligungsprozesses. Die Direktorin des Vereins, Roberta Rigamonti, erklärte: „Der Kodex ist aus Zuhören und Austausch entstanden. Er ist keine starre Sammlung von Vorschriften, sondern ein Instrument, das diejenigen unterstützen soll, die dieses Amt übernehmen, und ihnen hilft, die betroffene Person stets ins Zentrum zu stellen.“
Am Ende der ersten Vormittagssitzung rief Rigamonti die Teilnehmenden dazu auf, sich im Foyer zu versammeln, um den Kodex feierlich zu unterzeichnen: „Die Unterzeichnung des Manifests bedeutet, einen Text in eine konkrete Verpflichtung zu verwandeln. Es ist eine einfache, aber bedeutungsvolle Geste, mit der wir gemeinsam bekräftigen, dass die Würde und die Rechte der vulnerablen Menschen im Mittelpunkt unseres Handelns stehen.“

Das Manifest des Ethikkodex wurde daraufhin von Behördenvertreter und Teilnehmenden unterzeichnet. Die ersten Unterzeichner waren der Landeshauptmann von Südtirol Arno Kompatscher und die Vizepräsidentin Rosmarie Pamer, gefolgt von Referenten, Bürgern, Angehörigen, Vereinen und Fachkräften. Für eine internationale Perspektive sorgte Jochen Exler-König, Präsident des International Guardianship Network. Er betonte, dass „dieser Kodex auch über die italienischen Grenzen hinaus Vorbild sein kann, weil er ein universelles Prinzip bekräftigt: Wer eine vulnerable Person begleitet, muss rechtliche Verantwortung mit menschlicher Nähe verbinden“.

Das Forum bot eine breite Palette an Beiträgen. Raffaele Sabato, Richter am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, sprach über internationale Entwicklungen und Rechtsprechung. Francesco Antonio Genovese, ehemaliger Präsident des Kassationsgerichtshofs, zeichnete die Entwicklung in Italien nach. Paolo Cendon, Vater des italienischen Gesetzes 6/2004, erinnerte daran, „dass die Sachwalterschaft ursprünglich als Instrument der Freiheit gedacht war – nicht als Einschränkung“.
Wichtige Impulse kamen auch aus dem internationalen Vergleich: Axel Bauer stellte die deutsche Reform von 2023 vor, Rita Rossi forderte erneut die Abschaffung der Entmündigung, Angelo Venchiarutti berichtete über die Anpassung des spanischen Rechts an die UN-Behindertenrechtskonvention. Martin Marlovits erläuterte die Rolle der Erwachsenenschutzvereine in Österreich, während Holger Marx die Vorsorgevollmacht als Alternative zur rechtlichen Betreuung in Deutschland präsentierte.
Pietro Franzina ging auf grenzüberschreitende Fälle ein und hob die Bedeutung des Haager Übereinkommens von 2000 sowie der geplanten EU-Verordnung hervor, die künftig die Zuständigkeit und Anerkennung von Schutzmaßnahmen vereinheitlichen soll.

Besonders erwartet war der Beitrag des Biostatistikers Markus Falk, der Daten und Prognosen zur demografischen Entwicklung vorstellte. „Die Alterung der Bevölkerung ist keine Prognose mehr – sie ist Realität“, erklärte er. „Die Lebenserwartung steigt, aber ebenso die Jahre, die in Gebrechlichkeit verbracht werden. Vor allem die Zahl der Demenzfälle wird massiv zunehmen. Die Frage ist: Sind wir vorbereitet – mit Ressourcen, Strukturen und einer gemeinsamen europäischen Strategie?“

Am Nachmittag brachte der Bürgermeister von Bozen, Claudio Corrarati, die Grüße der Stadt dar und bekräftigte das Engagement für inklusive Politik zugunsten vulnerabler Menschen. Den Abschluss bildete die Rechtsanwältin Laila Perciballi, Ombudsfrau für die Rechte älterer Menschen in Rom, die eindringlich vor den Gefahren des Ageismus warnte und daran erinnerte, dass „eine Gesellschaft, die ihre älteren Menschen ausschließt, nicht stärker, sondern verletzlicher wird“.
Das Forum endete mit einem Moment des Austauschs und der Vernetzung zwischen Referenten und Teilnehmenden. Die Vorstellung des Ethikkodex markierte einen historischen Schritt: nicht nur ein Dokument, sondern eine geteilte Verpflichtung, ein Symbol gemeinsamer Verantwortung und ein internationaler Bezugspunkt für alle, die tagtäglich vulnerable Menschen schützen und begleiten.

Die Veranstaltung wurde mit Unterstützung des Landes Südtirol und der Stiftung Südtiroler Sparkasse, unter der Schirmherrschaft der Stadt Bozen sowie dank der Sponsoren Despar und Raika Ritten organisiert.

Bezirk: Bozen

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