Gerade mal 25 Prozent der Probanden haben Antikörper

Covid-Studie in Gröden: Herdenimmunität in weiter Ferne

Mittwoch, 17. Juni 2020 | 12:35 Uhr

Gröden – Das Ergebnis einer groß angelegten Studie zur Verbreitung des Coronavirus in Gröden bringt Ernüchterung, bei jenen, die dachten es hätte sich bereits eine Herdenimmunität entwickelt.

Zwischen 26. Mai und 8. Juni 2020 wurde in Gröden eine breit angelegte Studie zur Verbreitung des neuartigen Coronavirus durchgeführt. Rund 3.000 repräsentativ ausgewählte Personen waren eingeladen, sich testen zu lassen. Die ersten Ergebnisse liegen nun vor und bieten einige Überraschungen.

Insgesamt waren vom Statistikinstitut des Landes Südtirol (Astat) 2.958 Personen repräsentativ ausgewählt worden. Diese wurden dann eingeladenen, an der Studie teilzunehmen. Schlussendlich haben 2.194 Personen der Einladung Folge geleistet, was einer Teilnehmerquote von rund 74 Prozent entspricht. Den Probanden wurde ein Nasen-Rachen-Abstrich für den PCR-Test sowie Blut für den Antikörper-Test entnommen.

Ein erstes überraschendes Ergebnis zeigt, dass nur rund ein Viertel der Probanden in der Vergangenheit mit dem neuartigen Coronavirus in Kontakt gekommen war und nun Antikörper aufweist. Die nach Sensibilität und Spezifität korrigierte Seroprävalenz – also der Nachweis – für SARS-CoV-2 IgG-Antikörper liegt bei 26,86 Prozent.

„Wir sind also von einer Herdenimmunität auch im Grödnertal noch weit entfernt“, so Studienleiter Michael Mian und Verantwortlicher der Onkohämatologischen Tagesklinik am Landeskrankenhaus Bozen „Mit dem Virus in Kontakt gekommen sind weit weniger Personen als vermutet. Wenn das schon in einem so genannten „Hot Spot“ in Südtirol wie Gröden der Fall ist, lässt dies den Schluss zu, dass sich im Rest des Landes noch viel weniger mit dem neuartigen Virus infiziert haben.“

Dabei gibt es signifikante Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Die Seroprävalenz beträgt bei den Frauen 24 Prozent, bei den Männern hingegen 28,7 Prozent. Auch zwischen den Gemeinden treten signifikante Unterschiede hervor: In St. Ulrich betrug die Seroprävalenz 23,2 Prozent, in St. Cristina 27,7 Prozent und in Wolkenstein 31,1 Prozent.

Auch das berufliche Umfeld hatte Einfluss auf das Vorhandensein von Antikörpern. Bei Personen, die im Gesundheitsbereich tätig sind, verfügten 27,26 Prozent über Antikörper. Bei im Tourismus Beschäftigte betrug der Anteil 31,59 Prozent und bei „inaktiven Personen“ 23,01 Prozent.

„Die Durchseuchungsrate ist demnach im Talschluss höher als am Talbeginn. Auch bei den Beschäftigten im Tourismussektor ist eine höhere Durchseuchung festzustellen. Das könnte ein Hinweis darauf sein, dass die Infektionswelle über diesen Kanal und vom Talschluss aus ihren Ausgang genommen hat“, so Mian weiter.

Ein weiteres besonders interessantes Ergebnis ist, dass bis auf einen Befund mit zweifelhaftem („dubbio“) Ergebnis alle Nasen-Rachen-Abstriche negativ waren. Keiner der rund 2.200 Teilnehmer und Teilnehmerin ist also akut an Covid-19 erkrankt. Demnach zirkuliert das Virus aktuell in den Grödner Gemeinden nicht oder kaum. Für Gesundheitslandesrat Thomas Widmann ein äußerst positiver Befund: „Wir können mit Fug und Recht behaupten, dass die Isolationsmaßnahmen bis hin zum Lock down Wirkung gezeigt haben. Das Virus zirkuliert aktuell kaum mehr im Tal. Trotzdem müssen wir weiterhin vorsichtig bleiben, weiterhin Abstand halten, regelmäßig Hände waschen und auch – wo vorgesehen – weiterhin den Nasen-Mundschutz tragen.“

Keine statistisch signifikanten Differenzen konnten zwischen den unterschiedlichen Altersgruppen, den verschiedenen Ausbildungsgraden sowie nach Anzahl der Familienmitglieder festgestellt werden.

Das am häufigsten aufgetretene Krankheitssymptom bei Personen mit positiven serologischen Test in den vergangenen Monaten waren Gliederschmerzen (41,45 Prozent), gleich danach folgten der Verlust von Geschmacks- und Geruchssinn (37,24 Prozent), Kopfschmerzen (34,54 Prozent), Husten (33,34 Prozent), Abgeschlagenheit (32,05 Prozent), Halsschmerzen und – oder – Schnupfensymptome (30,75 Prozent), eine erhöhte Körpertemperatur von über 37,5 Grad Celsius an mindestens drei aufeinanderfolgender Tage (29,1 Prozent), gastrointestinale Beschwerden (21,14 Prozent), Thoraxschmerzen (11,28 Prozent), Atembeschwerden (11,25 Prozent), Bindehautentzündung (7,91 Prozent) und erhöhter Puls (3,7 Prozent).

Im Vergleich zu Probanden mit negativem serologischem Test traten all diese Symptome signifikant häufiger auf. Die Dauer der genannten Symptome betrug im Median sieben Tage. Über die Hälfte der Probanden (54,3 Prozent) gaben an, die klinischen Symptome in der ersten Märzhälfte 2020 gehabt zu haben.

Von den positiv auf Antikörper getesteten Personen, die Symptome wahrgenommen hatten, hatten 62,1 Prozent den Sanitätsbetrieb nicht kontaktiert und also auch nicht informiert.– trotz der verschiedenen Möglichkeiten, die zur Verfügung gestanden hätten (Hausarzt, Landesnotrufzentrale, grüne Nummer und Notaufnahme der Krankenhäuser). Nur 17,29 Prozent der Personen mit einem positiven serologischen Test waren symptomfrei geblieben.

Eine detailliertere Auswertung der Daten – insbesondere hinsichtlich der immunisierenden Wirkung der festgestellten Antikörper – wird in den kommenden Wochen vorgenommen. Die Publikation der detaillierten Studie soll noch 2020 erfolgen und in die medizinischen Fachliteratur Eingang finden.

Vorgestellt wurden die Ergebnisse der Studie von Studienleiter Michael Mian, Landesrat Thomas Widmann, Generaldirektor Florian Zerzer, Pflegedirektorin Marianne Siller, Astat- Demoskopie-Koordinator Stefano Lombardo und den Bürgermeistern Moritz Demetz (St. Christina) und Rolando Demetz (Wolkenstein).

Partner in der Studie ist das Bozner Forschungszentrum Eurac Research: Die Forscher unterstützten die Mediziner des Sanitätsbetriebs bereits in der Planungsphase der Studie. Zudem wird die Biobank des Instituts für Biomedizin am Krankenhaus Bozen die Infrastruktur sein, in der die Blutproben aus den Grödner Tests für die kommenden zehn Jahre gelagert werden. Da es noch viele offene Fragen zu Covid-19 gibt, ist es äußerst wichtig, die Proben für zukünftige Forschungen aufzubewahren, etwa für immer zuverlässigere serologische Tests oder Studien, die genetische Merkmale mit der Entwicklung der Krankheit in Zusammenhang bringen. So werden die Proben zu einer Ressource für die medizinische Forschung zu Covid-19 auf internationaler Ebene und haben daher auch langfristig einen großen Wert.

Von: luk

Bezirk: Salten/Schlern