Solidarität für M.

Frau auf offener Straße niedergestochen: Kundgebung vor Gericht

Mittwoch, 13. Januar 2021 | 11:04 Uhr

Bozen – Am Dienstag hat der Verein „GEA Kontaktstelle gegen Gewalt an Frauen“ zur solidarischen Zusammenkunft vor dem Bozner Gericht aufgerufen, um Mitgefühl, Unterstützung, aber auch Betroffenheit für M. auszudrücken. M. ist eine Frau, die am 1. März 2019 in Bozen auf offener Straße vor den Augen ihrer Tochter vom Ehemann mit einem Messer niedergestochen wurde.

M. hatte ihn zuvor angezeigt, M. hatte um Hilfe gebeten, M. hatte Angst- und das mit jedem gutem Grund. M. musste nach einer Risikoeinschätzung der Kontaktstelle gegen Gewalt ihr Wohnhaus verlassen und mit ihren Kindern an einem geheimen Ort Zuflucht finden. „Warum wurde der Gewalttäter nicht schon an einem früheren Zeitpunkt von der Frau ferngehalten? Warum wurde den verschiedenen und sehr deutlichen Risikosignalen keine Beachtung gegeben? Warum wurde die Angst dieser Frau nicht ernst genommen?“, fragt der Verein,

Genau dies sei die Wurzel der Ungerechtigkeit, nicht nur gegen M., sondern gegen all die Frauen, denen nicht geglaubt wird, die nicht ernst genommen werden, deren gelebte Gewaltsituation banalisiert wird – „selbst vom Justizsystem, welches eigentlich die Aufgabe hätte, die Sicherheit aller Personen zu gewährleisten“.

Heute ist M. gezwungen, immer noch geschützt zu leben, weit weg von ihrem Zuhause und ihrer Familie, während der Täter nach nur sechs Monaten Gefängnis ein freier Bürger ist. „Wir sind nach wie vor empört angesichts von Entscheidungen, Verhaltensweisen und der Nichtanwendung von Gesetzen, die die Ausübung von Gewalt legitimieren und den Begriff der Gerechtigkeit, welche das Recht eines jeden in einer Zivilgesellschaft sein sollte, noch weiter entfernen“, erklären die Frauen von GEA.

Der Verein informiert darüber, dass der Rechtsanwalt des Angeklagten die Anfrage eines Richterwechsels für das Verfahren wegen versuchten Mordes gestellt hat. Dieser Antrag stützt sich auf die Gefahr oder den Verdacht, dass der beauftragte Richter in seiner Entscheidung durch äußere Umstände beeinflusst werden könnte. In diesem Fall handelt es sich um die Demonstration, die bei der letzten Anhörung stattfand.

„Wir möchten an das Grundrecht der Information und der Meinungsfreiheit erinnern und sprechen unsere Entrüstung darüber aus, dass genau diese Grundrechte welche in der Solidaritätskundgebung für M. angewandt wurden, nun zu Gunsten des Angeklagten instrumentalisiert werden. Wir erkennen dies als deutlichen Versuch der Einschüchterung von M. und all jenen Menschen welche sich hinter Sie und zu ihrem Schutz gestellt haben.

M. ist stark in der Tatsache, dass sie im Recht ist. Wie M., plädieren auch wir weiterhin für Gerechtigkeit und Schutz. In einer zivilen Gesellschaft sollte diese Gerechtigkeit das Recht aller Bürger und Bürgerinnen sein“, erklärt der Verein.

Man werde sich nicht einschüchtern lassen. „Bei der nächsten Anhörung werden wir wieder dabei sein. Wir werden zahlreich sein und unsere Stimme für all jene erheben, die keine Stimme mehr haben oder die darum kämpfen, sie wieder zu finden.“

Der Verein fügt einen Ausschnitt aus einem Urteil des Kassationsgerichts hinzu: laut der Orientierung der Rechtsprechung zur Legitimität, „Pressekampagnen und Straßendemonstrationen stellen an sich keine ausreichende Störung des Prozessablaufs dar, um eine Überweisung an einen anderen Richter zu begründen“ (Sez. 3, Nr. 45310 vom 07/10/2009, Picardi, Rv. 245215).

Von: mk

Bezirk: Bozen