Von: mk
Bozen – Sowohl die psychiatrischen Gutachter der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger als auch die Sachverständigen des Gerichts sind davon überzeugt, dass Benno Neumair unter einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung leidet. Dass sich daraus eine Unzurechnungsfähigkeit zum Tatzeitpunkt herleiten lässt, darüber scheiden sich allerdings die Geister.
Bekanntlich hat der 30-Jährige ein Geständnis abgelegt. Am 4. Jänner hat er seine Eltern Peter Neumair und Laura Perselli getötet und deren Leichen in die Etsch geworfen. Die folgenden Monate waren von einer großangelegten Suchaktion gekennzeichnet. Letztendlich konnten die leblosen Körper der Eltern aus dem Fluss geborgen und beerdigt werden.
Laut den vom Gericht beauftragten Psychologen und Psychiatern sei der junge Bozner von einer schweren narzisstischen und dissozialen Persönlichkeitsstörung gekennzeichnet, die dazu geführt habe, dass er auf eine von ihm als belastend empfundene Situation, nämlich die Streiterei mit dem Vater, aggressiv reagierte. Geistige Unzurechnungsfähigkeit könne aber allerdings nur auf den ersten Mord bezogen werden, zumal Benno bei der darauffolgenden Ermordung seiner Mutter auf deren Heimkehr gewartet und die Tat somit geplant habe.
Wie die Tageszeitung Alto Adige berichtet, zweifeln die Sachverständigen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger das Ergebnis allerdings an und glauben dass der 30-Jährige bei beiden Morden wusste, was er tat. Ihnen zufolge basieren die Schlussfolgerungen der Gutachter des Gerichts auf einer These, die im Verlauf der Ermittlungen so nicht bestätigt worden sei, außer von Benno Neumair selbst – allerdings erst in einem zweiten Moment. Gleichzeitig würden dieselben Gerichtsgutachter dem 30-Jährigen „eine bedeutende psychopathische Komponente – begleitet von krankhafter Lüge“ attestieren.
Mit anderen Worten: Es gelte überhaupt nicht als gesichert, dass der Streit mit seinem Vater den Wutausbruch bei Benno Neumair ausgelöst und letztendlich zur ersten Tötung geführt habe.
Den drei Sachverständigen der Staatsanwaltschaft zufolge seien im Fall von Benno Neumair keine klinischen Vorfälle bekannt, die in Zusammenhang mit Identitätsstörungen, Vorstadien einer Psychose oder mit verzerrter Bewertung der Realität stehen würden. Vielmehr habe die die extreme Geste gegen den Vater offenbar ihren Ursprung in einem steigenden Gefühl der Ohnmacht, der Verzweiflung und Frustration, heißt es in dem Bericht. Der Täter habe dies als „Niederlage“ empfunden – allerdings ohne Anzeichen einer geistigen Erkrankung, die die Zurechnungsfähigkeit einschränken würde.
Ähnlich kritisch beurteilen die beiden Gutachter der Nebenkläger die Expertise des Gerichts. Die Persönlichkeitsstörung des Verdächtigten zeige ihnen zufolge keine Charakteristiken die per se als Krankheit eingestuft werden könnten – mit Auswirkungen auf die Schuldfähigkeit. Benno Neumair habe in sämtlichen Phasen des Doppelmordes und des Verbergens der Leichen seine Zurechnungsfähigkeit bewahrt. Er habe die Mutter auf dieselbe Weise wie den Vater getötet.
Jemand, der unter dieser Form von Narzissmus leide, könne zum Mörder werden, da er die Tötung als legitimes Mittel der Vergeltung, als verzweifelten Versuch, die Kontrolle und die Selbstachtung wieder zu erlangen, ansehe.