"Prävention bei Gewalt an Frauen ausbauen"

Gewaltspiralen brechen

Freitag, 22. November 2019 | 16:20 Uhr

Bozen – Die jüngste ASTAT-Erhebung zu den Kontaktstellen gegen Gewalt und Frauenhäusern untermauert ein Phänomen, das in der öffentlichen Wahrnehmung oft erst im Extremfall gesehen wird: 604 Frauen haben im Vorjahr 2018 die Beratung durch eine Kontaktstelle oder ein Frauenhaus gesucht, 86 von ihnen fanden in einer Struktur Zuflucht. Mit ihnen wurden 82 Kinder aufgenommen. Bemerkenswert ist, dass sich 408 Frauen das erste Mal an eine Einrichtung oder Beratungsstelle gewendet haben. Die Dunkelziffer über Gewaltverbrechen ist weitaus höher.

Anlässlich des Tages gegen Gewalt an Frauen am 25. November erinnert Soziallandesrätin Waltraud Deeg an die fünf geschützten Einrichtungen und vier Kontaktstellen, an die sich Frauen wenden können: “Wir sind alle gefragt, nicht wegzuschauen, wenn eine Frau Opfer von Gewalt wird. Die Frauenhausdienste sind bereits seit vielen Jahren unerlässliche Einrichtungen, die Schutz bieten und die Gesellschaft für dieses leider immer noch aktuelle Thema sensibilisieren.” Informationen zu den Einrichtungen gebe es in der Broschüre “Du kannst es ändern”, die in Kürze online abgerufen werden kann oder in den Landesämtern aufliegt.

Besetzter Platz und weiße Schleife schaffen Bewusstsein

Um an jene Frauen zu erinnern, die Opfer von Gewalt wurden, gibt es in Italien seit 2013 die Aktion “Besetzter Platz”. Seit einigen Jahren ruft auch der Beirat für Chancengleichheit in Südtirol dazu auf, sich an der Initiative zu beteiligen. Als sichtbares Zeichen gegen Gewalt werden Stühle mit roten Gegenständen bestückt: Sie weisen darauf hin, dass an dieser Stelle eigentlich eine durch Gewalt verstorbene Frau sitzen könnte. Die Aktion läuft vom 23. November bis zum Tag der Menschenrechte am 10. Dezember.

Ein weiteres sichtbares Zeichen, mit dem das “Nein” zur Gewalt bekräftigt wird, ist die weiße Schleife. Landeshauptmann Arno Kompatscher sagt in seiner Funktion als Landesrat für Chancengleichheit: “Wir wollen aktiv viele Zeichen setzen, dass Gewalt allgemein, besonders jene gegen Frauen, von unserer Gesellschaft nicht toleriert wird. Obwohl wir uns eine moderne Gesellschaft nennen, ist Gewalt immer noch aktuell.” Viel zu viele Frauen würden täglich Opfer häuslicher Gewalt. “Wir müssen entschieden dagegen vorgehen und dabei unterstützen Gewaltspiralen zu brechen”, sagte der Landeshauptmann.

Präventionsarbeit stärken, Vorbildfunktion ernst nehmen

Auch Landesrätin Deeg pflichtet diesem Ansinnen bei und ergänzt: “Die Verrohung unserer Gesellschaft und die zunehmende Gewaltbereitschaft macht Präventionsarbeit immer wichtiger.” Diese werde beispielsweise von der Caritas Männerberatung in Form eines Anti-Gewalttrainings angeboten. Weitere Maßnahmen dieser Art sollen in Zukunft stärker ausgebaut werden. Parallel dazu gelte es an einer Kultur des gegenseitigen Respekts und des Ausgleichs zu arbeiten, um Gewalt frühzeitig entgegenzutreten.

In Südtirol, ebenso wie im restlichen Staatsgebiet, ist die Mehrzahl der Gewalttäter der aktuelle oder ehemalige Ehemann oder Partner. Gewalt sei somit leider auch ein Familienthema: “Eltern haben eine wichtige Vorbildfunktion, vor allem darin, wie sie miteinander umgehen. Um die Gewaltspiralen zu brechen, müssen wir früh, nämlich bei den Kindern ansetzen und ihnen vorleben, dass Gewalt niemals die Lösung, sondern vielmehr die Zuspitzung eines Problems darstellt”, betont Deeg.

Informationen und Kontaktadressen:

Frauenhaus und Beratungsstelle gegen Gewalt an Frauen Bozen 800 276 433
Geschützte Wohnungen Bozen 800 892 828
Frauenhaus und Beratungsstelle gegen Gewalt an Frauen Meran 800 014 008
Frauenhaus und Beratungsstelle gegen Gewalt an Frauen Brixen 800 601 330
Geschützte Wohnungen und Beratungsstelle gegen Gewalt an Frauen 800 310 303

Die Gleichstellungsrätin zum Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen am 25. November

1981 haben die Vereinten Nationen mit der Resolution 54/134 den internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen ins Leben gerufen. Hintergrund der Einführung des Aktionstages war der Fall der Schwestern Mirabal, Mitglieder des „Movimento Revolucionario 14 de Junio“, die 1960 durch Militärangehörige ermordet wurden. Seitdem mahnt dieser Tag jedes Jahr, das fundamentale Recht von Frauen auf Gewaltlosigkeit einzuhalten. „Seit 38 Jahren erinnert dieser Tag daran, das Recht der Frauen auf ein Leben ohne Gewalt zu gewährleisten“, unterstreicht Gleichstellungsrätin Michela Morandini.

Die Daten zeigen klar auf: Gewalt an Frauen tritt in allen Lebensbereichen und Gesellschaftsschichten auf. So gab es z. B. in den Jahren zwischen 2000 und 2018 in Italien laut Eures 3.100 Feminizide, durchschnittlich 3 in der Woche, dabei wurden 72 Prozent durch den Partner, den Ex-Partner oder einen Angehörigen getötet. Diese Ereignisse sind oftmals das tragische Ende jahrelanger gewaltsamer, ungelöster Auseinandersetzungen und nur die Spitze eines Eisbergs.

Gewalt gegenüber Frauen äußert sich psychisch und physisch. Psychische Gewalt wird oftmals verkannt oder nicht ernst genommen. Mit fatalen Folgen für die Gesellschaft und den direkten und indirekten Opfern, wie z. B. den Kindern. „Die steigende Anzahl von Gewaltsituationen gegenüber Frauen sind ein klarer Ausdruck für die Unfähigkeit, sich auf individueller und kollektiver Basis dem Thema Gewalt an Frauen zu stellen“, erklärt Morandini, „es braucht eine kritische Auseinandersetzung mit dem Thema, präventive Maßnahmen und konkrete Aktionen bei Auftreten von Gewalt.“

„Gewalt hat viele Gesichter“, erklärt die Gleichstellungsrätin. „Das geht von ökonomischer, sexueller, psychischer, physischer bis hin zu multiplen Formen von Gewalt am Arbeitsplatz gegenüber Frauen“, so Morandini. Diese Gewalt hat einen hohen Preis für die Opfer und das Unternehmen“.

„Ein erster Schritt zur Bekämpfung der Gewalt ist, auf die vielfältigen Formen von Gewalt und die bestehenden Hilfsangebote aufmerksam zu machen“, erklärt Morandini schließlich. „Aus diesem Grund und zum Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen am 25. November 2019 veröffentlicht die Gleichstellungsrätin in der Woche vom 25. – 29. November in den sozialen Medien unter dem Hashtag #wirsehenschwarz #gegengewaltanfrauen aktuelle Daten und vor allem Adressen, wo Frauen in Gewaltsituationen Hilfe erhalten.“

Von: luk

Bezirk: Bozen

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