Von: apa
Der Nobelpreis für Medizin geht dieses Jahr an drei Forschende auf dem Gebiet der Immuntoleranz. Die Preisträgerin und zwei Preisträger sind Mary E. Brunkow und Fred Ramsdell (64) aus den USA sowie Shimon Sakaguchi aus Japan. Sie hätten gezeigt, “wie das Immunsystem in der Balance gehalten wird”, heißt es in der Begründung des Nobelkomitees in Stockholm am Montag zum Nobelpreiswochen-Auftakt. Die Auszeichnung ist mit elf Mio. Schwedischen Kronen (eine Mio. Euro) dotiert.
Die Arbeiten der Preisträgerin und der beiden Preisträger hätten maßgeblich dazu beigetragen, herauszufinden, wie das Immunsystem so eingestellt wird, dass es Krankheitserreger möglichst punktgenau erkennt und angreift, ohne dabei zum Überschießen zu neigen. Ist letzteres der Fall, wendet sich das Immunsystem sozusagen gegen den Körper – eine Autoimmunerkrankung, wie Multiple Sklerose oder Rheuma, kann entstehen.
Sakaguchi “überrascht und geehrt”
Als einzigen der drei Ausgezeichneten habe der Sekretär der Nobelversammlung des Karolinska-Instituts, Thomas Perlmann, vor der Verlautbarung Sakaguchi in seinem Labor erreicht. Dieser sei “unglaublich dankbar” und “von der Neuigkeit recht mitgenommen gewesen”. Die beiden US-Forschenden habe er gebeten, ihn doch bei Gelegenheit zurückzurufen, sagte Perlmann. Sakaguchi trat dann an der Universität Osaka vor die Presse. Er habe sich zwar vorstellen können, dass es eine Auszeichnung geben könne, wenn sich die Forschung in der klinischen Praxis als nützlich erweise, sagte er: “Aber dennoch bin ich überrascht und geehrt, nun eine solche Ehre zu erhalten.”
Brunkow wurde 1961 geboren. Sie promovierte an der Princeton-Universität in den USA und arbeitet am Institute for Systems Biology in der US-Westküstenmetropole Seattle. Ramsdell stammt aus dem US-Bundesstaat Illinois und promovierte an der Universität von Kalifornien in Los Angeles. Er ist wissenschaftlicher Berater bei Sonoma Biotherapeutics in San Francisco. Der 74 Jahre alte Japaner Shimon Sakaguchi promovierte 1983 in Kyoto. Er ist Professor an der Universität von Osaka.
Für den Leiter des Instituts für Immunologie der Medizinischen Universität Wien, Wilfried Ellmeier, ist die dreigeteilte Auszeichnung “sehr verdient”. Es sei “höchste Zeit dafür” gewesen, betonte er gegenüber der APA. Auch hierzulande sei Forschung auf Basis der nun prämierten Erkenntnisse ein großes Thema. Erst im August fand der 19. Internationale Kongress für Immunologie (IUIS2025) in Wien statt. Die Abhaltung in Österreich – mit dem nunmehrigen Nobelpreisträger Sakaguchi als einem der Keynote-Speaker – sei “eine große Auszeichnung” für den Forschungsstandort gewesen.
Gegen den wissenschaftlichen Strom
Damit die körpereigene Abwehr nicht die eigenen Organe angreift, braucht es auch die “periphere Immuntoleranz”. Den Ausgangspunkt zu ihrem Verständnis bildete Sakaguchis Arbeit, erklärte Marie Wahren-Herlenius vom Nobel-Komitee. Er hatte beobachtet, dass das Herausnehmen der Thymusdrüse im Rahmen von Untersuchungen an Mäusen dazu führte, dass diese ein überaktives Immunsystem entwickelten. Umgekehrt half es, diese Reaktionen abzufedern, wenn den Tieren bestimmte Immunzellen – später als “regulatorische T-Zellen” bezeichnet – injiziert wurden.
An deren Wichtigkeit habe es in Fachkreisen in den später 1990er-Jahren zunächst noch “viel Zweifel” gegeben, so Wahren-Herlenius. Sakaguchi habe den Mut gehabt, am Aichi Cancer Center Research Institute in Nagoya (Japan) gegen den wissenschaftlichen Mainstream seine Ideen zu verfolgen.
Von Mäusen zum Menschen
Damals waren einige Forschende davon überzeugt, dass sich Immuntoleranz nur entwickelt, wenn potenziell schädliche – quasi zu scharf eingestellte – Immunzellen im Thymus durch einen “zentrale Toleranz” genannten Prozess eliminiert werden. Sakaguchi offenbarte jedoch, dass dieser Ablauf deutlich komplexer ist.
Die Bedenken räumten in der Folge Brunkow und Ramsdell aus. Sie befassten sich um die Jahrtausendwende mit den genetischen Grundlagen des “Scurfy mouse”-Syndroms – einer schwerwiegenden Autoimmunerkrankung. Die ersten Tiere mit dieser Einschränkung erblickten im Rahmen des “Manhattan Projects”, mit dem Ziel der Entwicklung der ersten Atombombe, in den 1940er-Jahren das Licht der Welt. Damals studierten US-Forschende die Auswirkungen von radioaktiver Strahlung auf Lebewesen – und schufen die Mäuse mit der charakteristischen schuppigen und abblätternden Haut. Nach langwierigen Tests fanden Brunkow und Ramsdell heraus, dass die Mäuse eine Mutation in einem Gen aufwiesen, das sie “Foxp3” nannten. In weiteren Studien konnten Brunkow und Ramsdell den entsprechenden genetischen Defekt auch beim Menschen finden. Hier löst die Mutation die schwere Autoimmunerkrankung “IPEX” aus.
Kontrollinstanz für andere Immunzellen
Um das Jahr 2003 war es dann wieder Sakaguchi, der die Bedeutung der Erkenntnisse miteinander verknüpfen konnte: Er demonstrierte, dass das Foxp3-Gen zentral für die Entwicklung der von ihm 1995 identifizierten regulatorischen T-Zellen ist. Im Verbund hätten die drei Neo-Nobelpreisträger “ein komplett neues Feld innerhalb der Immunologie” auf den Weg gebracht, so Wahren-Herlenius. Die Entdeckungen der Preisträger hätten tatsächlich “eine ganze Generation von Forscherinnen und Forschern stimuliert, an diesen Zellen und Themen zu arbeiten”, so Ellmeier.
Weltweit beschäftigt sich seither eine Vielzahl an Wissenschafterinnen und Wissenschaftern mit Ansätzen zum Heben der Aktivität dieser Immunzellen im Zusammenhang mit dem Bekämpfen der vielfältigen negativen Auswirkungen eines zu aktiven Immunsystems. Den anderen Weg geht man bei Krebs-Erkrankungen, wo es oft darum geht, das Immunsystem sozusagen schärfer zu stellen – indem man die Tätigkeit der regulatorischen T-Zellen herunterfährt – damit es Tumore besser bekämpfen kann. Derzeit würden mehrere klinische Studien mit Anwendungen – u.a. auch in der Transplantationsmedizin – laufen, die auf den Erkenntnissen der heurigen Medizin-Nobelpreisträger basieren, heißt es. Insgesamt hätten “regulatorische T-Zellen ein hohes therapeutisches Potenzial”, konstatierte auch Ellmeier.
Auftakt zur Nobelpreiswoche
In Stockholm werden am morgigen Dienstag die Preisträger für Physik mitgeteilt, Chemie kommt am Mittwoch dran, Literatur am Donnerstag, der in Oslo verlautbarte Friedens-Nobelpreis folgt am Freitag und am Montag darauf die Wirtschaftswissenschaften. Die Auszeichnungen werden traditionell am 10. Dezember, dem Todestag des Stifters Alfred Nobel, verliehen.
(S E R V I C E – https://www.nobelprize.org/)
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