Bozen wie gehabt – ein Kommentar

Methusalems ruhige, starke Hand

Freitag, 25. September 2020 | 15:52 Uhr

Bozen – Viele glaubten, dass die Bozner Renzo Caramaschi den Bruch seines früheren Versprechens, sich keiner Wiederwahl mehr zu stellen, übel nehmen würden. Die gleichen Leute meinten auch, dass der härteste Lockdown Südtirols – zeitweise durften sich die Bozner nur 200 Meter vom eigenen Haus entfernen – die winterliche Aussperrung der Euro-3-Dieselfahrzeuge und nicht zuletzt sein patriarchalischer Führungsstil dem inzwischen 74-jährigen Methusalem unter Südtirols Bürgermeistern bei der Wiederwahl schaden würden.

Aus diesem Grund schöpfte das italienische Bozner Mitte-rechts-Bündnis unter ihrem Kandidaten Roberto Zanin nicht ganz zu Unrecht die Hoffnung, Caramaschi bereits im ersten Wahlgang zu schlagen und möglicherweise sogar ein ganzes Stück weit hinter sich zu lassen. Nationale Politgrößen wie Salvini und Meloni unterstützten Zanin im Wahlkampf tatkräftig und gaben in großen Worten ihrem Anspruch Ausdruck, „Bozen zu erobern“.

gmbz/Facebook – Fotomontage

Aber weit gefehlt. Das geschlossene Mitte-rechts-Lager konnte zwar zulegen, blieb aber entgegen der Erwartung vieler hauchdünn hinter der bunten Mitte-Links-Mann- und Frauschaft, die sich um den Amtsinhaber geschart hatte. Die geerdeten Bozner schätzen anscheinend einen mitunter polternden, aber sachlich ruhigen alten Mann, der mit dem Bus zur Arbeit fährt und dort zehn bis zwölf Stunden lang verbleibt. Zudem kann er auch auf viele umgesetzte Vorhaben verweisen.

Angesichts der Stimmen der SVP-Wähler, die Teile von Zanins Koalition nicht goutieren, und den Stimmen von Gennaccaro, der bereits heute Teil der Koalition ist, dürfte die Stichwahl für Caramaschi eine „gmahnte Wiesn“ werden.

Die etwas gerupfte SVP und das gute Ergebnis seiner persönlichen Liste dürften ihm in Zukunft sogar das Regieren erleichtern. Damit steht seiner zweiten Amtszeit, in der auf ihn viele Herausforderungen – vor allem das Bahnhofsareal – warten, fast nichts mehr im Wege. Erst in vielen Jahren – dann, wenn der alte Steuermann auf die 80 zugehen wird – dürfen seine Gegner neue Hoffnung schöpfen. Aber bis dahin bleibt er Bozens ungekrönter Patriarch.

Von: ka

Bezirk: Bozen