Von: ka
Meran – Der Frauenmord von Meran riss das sich am Spätsommer erfreuende und am Anfang des Wahlkampfs stehende Südtirol brutal aus seinem gemütlichen Alltag. Nachdem die Öffentlichkeit den ersten Schock überwunden und die schrecklichen Details der Bluttat – eine Frau und Mutter war von ihrem inzwischen geständigen Ehemann erstochen worden – erfahren hatte, erkannten die Südtiroler, dass dies bereits der vierte Frauenmord im Land in diesem Jahr war.
Am Tag nach dem Mord fragt sich ganz Südtirol nach dem Warum. Zu Recht wird darauf hingewiesen, dass manche Männer unfähig sind, den Trennungswunsch ihrer Partnerin zu akzeptieren und mit der neuen Situation umzugehen. Mord ist in diesem Sinne die Folge der Angst vor Verlust der Macht und des bisher gewohnten Lebens. Zu Recht werden auch die im neuen Sicherheitsdekret verankerten Maßnahmen wie elektronische Armbänder und Fußfesseln für Stalker und gewalttätige Männer gelobt, die in Zukunft Übergriffe auf trennungswillige Frauen verhindern sollen.
Aber das greift viel zu kurz. Ein Blick auf den Tatort offenbart, dass der Meraner Frauenmord im perfekten Paradies stattgefunden hat. Lachende Kindergesichter und Herzchen weisen zu einem Bilderbuchhof, der sich mitten unter Weinbergen am Hang schmiegt und von dessen Holzbalkonen kräftige Geranien hängen.
Nichts versinnbildlicht mehr den ewigen Südtiroler Drang, der Außenwelt das perfekte Bild von sich selbst zu vermitteln, wie dieser Hof. Hinter der Fassade, die für Außenstehende – sprich Freunde, Verwandte und natürlich „das Dorf“ – ohne einen Makel sein soll, nehmen aber oft Konflikte ihren Lauf, die nicht selten in Gewalt und manchmal sogar in Mord münden können. Das reiche und gegenüber anderen Regionen des Globus an Problemen arme Südtirol hält italienweit traurige Rekorde, wie die höchste Selbstmordrate und den höchsten Pro-Kopf-Konsum von Psychopharmaka. Haben diese Phänomene vielleicht alle die gleiche Wurzel?
Die Südtiroler müssen lernen, über Konflikte zu sprechen, sie „zu leben“, auch wenn der Preis ein Riss in der geliebten und so gepflegten Fassade ist. Nur so können Konflikte rechtzeitig entschärft werden. Mit diesem Wandel, dass gesellschaftlich auch ein „nicht perfektes Leben“ akzeptiert wird, helfen wir jenen Landsleuten, die eine Trennung überwinden müssen, dabei, ein neues Leben zu beginnen.
Ein Paradies muss nicht perfekt sein, um ein Paradies zu sein.