Erneuter Prozesstag am Landesgericht Krems

Zivilprozess um Hundebox-Fall gegen Land NÖ fortgesetzt

Dienstag, 17. Juni 2025 | 20:22 Uhr

Von: apa

Im Fall um einen 15-Jährigen, der von seiner Mutter im Waldviertel in eine Hundebox gesperrt und gequält worden sein soll, ist am Dienstag in Krems der Zivilprozess um Schmerzengeld für den Buben fortgesetzt worden. Mehrere Zeugen waren am Wort, unter ihnen die mit dem Fall befassten Sozialarbeiter. Die Opferanwälte fordern 150.000 Euro und die Haftung für künftige Schäden vom Land Niederösterreich, das die Vorwürfe zurückweist. Am Abend wurde auf unbestimmte Zeit vertagt.

Die zivilrechtliche Klage hatte Opferanwalt Timo Ruisinger im November des Vorjahres beim Landesgericht Krems eingebracht. Der Gesamtstreitwert beträgt 180.000 Euro, zu 150.000 Euro Schmerzengeld kommen 30.000 Euro an Feststellungsinteresse für die zukünftigen Schäden. Rechtlich gestützt ist die Klage auf das NÖ Kinder- und Jugendhilfegesetz, das Land ist demnach der Träger der Kinder- und Jugendhilfe.

Kernpunkt der Klage ist das Vorgehen zweier Mitarbeiter der Bezirkshauptmannschaft Waidhofen a. d. Thaya, die mit dem Fall befasst waren. Es handelt sich um einen 37-Jährigen und eine 25-Jährige. Deren Handeln und Unterlassen sei dem Land als Träger der Kinder- und Jugendhilfe zuzurechnen, argumentieren die Opfervertreter Ruisinger und Heinrich Nagl. Das Sozialarbeiter-Duo habe nicht adäquat reagiert. “Es gab eine Vielzahl an Hinweisen, dass die Kindesmutter dem Wohl des Klägers schadet und diesem dadurch körperliche und psychische Schäden zugefügt wurden”, heißt es in der Klage.

Zwei Hausbesuche durchgeführt

Verbunden mit zwei Gefährdungsmeldungen – verfasst von der Schule und einem Landesklinikum – hatte es seitens der Kinder- und Jugendhilfe am 28. Oktober und am 18. November 2022 (vier Tage, bevor der Bub ins Koma fiel) jeweils unangekündigte Hausbesuche bei Mutter und Sohn gegeben. Beim ersten Termin waren beide Sozialarbeiter an Ort und Stelle gewesen. Die 25-Jährige sagte am Dienstag aus, dass aufgrund der Gefährdungsmeldung der Schule u.a. darauf geachtet worden sei, ob der Bub sehr schlank oder abgemagert sei. Jedoch: “Das war für uns nicht besorgniserregend.”

Generell habe das Kind beim Hausbesuch “sehr wenig” geredet. Die Frage nach einem abgesonderten Gespräch habe der Bub nicht bejaht. Die äußerst karg eingerichtete Wohnung wurde eingehend besichtigt, der Kühlschrank aber nicht geöffnet: “Weil wir nicht daran gedacht haben.” Insgesamt habe keine Gefährdung durch die Mutter festgestellt werden können. Die Notwendigkeit eines weiteren Termins sei jedoch klar gewesen, weil auch Befunde durch die Kindsmutter nachgereicht werden sollten.

Beim zweiten Hausbesuch infolge der Gefährdungsmeldung des Spitals erschien der federführende Mitarbeiter der Bezirkshauptmannschaft Waidhofen a. d. Thaya alleine. Zahlreiche Telefonate des 37-Jährigen mit der Mutter waren in der Zwischenzeit erfolgt. Beim Besuch traf der Sozialarbeiter eigenen Angaben zufolge erneut ein wortkarges Kind an. Festgestellt wurden Auffälligkeiten wie eine leichte Blaufärbung an den Händen des Buben und Kälte in der Wohnung. Bezüglich der Verfärbung habe er sich darauf verlassen, “dass das medizinisch beobachtet und abgeklärt wird”. Veranlassung für eine sogenannte Gefahr-im-Verzug-Maßnahme sah der 37-Jährige keine. An die Möglichkeit einer Kindesabnahme habe er nicht gedacht: “Weil es eine ärztliche Abklärung gegeben hat, die lief.” Mehrere Mediziner hätten den Buben begutachtet, Hinweise auf Gewalteinwirkung durch die Mutter seien von ärztlicher Seite nicht vorgelegen.

Niederschrift wurde aufgesetzt

Eine mehrere Themen umfassende Niederschrift sei aufgesetzt worden. Aufgetragen wurden darin beispielsweise eine weitere medizinische Abklärung sowie eine Begutachtung von Sohn und Mutter durch eine Psychologin des Landes mit Termin am 30. November, zu der es aber nicht mehr kam. “Die Mutter war sehr ruhig und hat alle Vereinbarungen bestätigt.” Er sei dann auf den Gedanken einer “Scheinkooperation” gekommen, habe gefunden, dass irgendetwas nicht stimme, blickte der Sozialarbeiter zurück. Die Frau “war nicht fassbar für mich”. Dieser Eindruck habe ihn darin bestätigt, dass eine Vorstellung beim psychologischen Dienst notwendig sei. Grund für eine Kindesabnahme seien die gezogenen Schlüsse für ihn aber nicht gewesen, unterstrich der 37-Jährige.

Der schlechte medizinische Zustand des Buben sei auch für einen Laien erkennbar gewesen, befand Ruisinger. Das Land Niederösterreich, rechtlich vertreten durch Martin Führer von der Rechtsanwaltskanzlei Urbanek, Lind, Schmied, Reisch, ortete hingegen “keinerlei Sorgfaltswidrigkeit”. “Sämtliche gesetzlichen Pflichten” seien “vollumfänglich eingehalten” worden, wurde in der Klagebeantwortung festgehalten. Ein Eingriff in die Elternrechte dürfe “nur unter besonders strengen Voraussetzungen erfolgen”, eine “Fremdunterbringung des Minderjährigen” sei sozusagen letztes Mittel und wäre unter den gegebenen Umständen “nicht zulässig gewesen”.

Rückendeckung erhielt diese Ansicht von einer übergeordnet agierenden Mitarbeiterin der Kinder- und Jugendhilfe. Der Fall sei intern besprochen und aufgerollt worden. “Nach dem Wissensstand, den wir damals hatten, hätten wir es wieder so gemacht”, gab die Zeugin zu Protokoll. Die Mutter des Buben habe sich stets von sich aus sehr kooperativ gegenüber der Kinder- und Jugendhilfe verhalten, wurde ins Treffen geführt.

Ermittlungen gegen Sozialarbeiter eingestellt

“Was die Mutter gemacht hat, war bei dem Hausbesuch wahrscheinlich nicht zu erkennen”, konstatierte auch eine weitere leitende Landesbeamtin. Gegen die beiden direkt in den Fall involvierten Sozialarbeiter war wegen des Verdachts des Amtsmissbrauchs auch strafrechtlich ermittelt worden. Im März erfolgte aber die rechtskräftige Einstellung dieses Verfahrens.

Der seit Jahren getrennt von der Kindesmutter lebende Vater gab am Dienstag im Zeugenstand an, den Buben vor dem lebensbedrohlichen Vorfall letztmals im Mai 2022 gesehen zu haben. Da sei sein Sohn “noch wohlgenährt” gewesen, er habe keine Verletzungen wahrgenommen. “Gesagt hat er damals meistens gar nichts”, der Bub sei “richtig verschlossen” gewesen. Keinen Informationsfluss habe es seitens der Kinder- und Jugendhilfe in Richtung des 39-Jährigen gegeben, obwohl dieser ebenso wie die Mutter berechtigt zur Obsorge war. Vielmehr habe er sich selbst bei der Behörde gemeldet – kurz vor der Einlieferung des Buben ins Spital, so der Waldviertler. Grund war eine davor ergangene Information der Schule. Nunmehr lebt der 15-Jährige bei seinem Vater.

Die ursprüngliche Causa selbst sorgte über die Landesgrenzen hinweg für Aufsehen. Die nun 35-jährige Mutter soll ihren Sohn geschlagen, gefesselt, geknebelt und ihn wiederholt über Stunden in eine Hundebox eingesperrt haben. Am 22. November 2022 hatte sich das unterernährte Kind in akut lebensbedrohlichem Zustand befunden. Der damals Zwölfjährige überlebte wegen des Einschreitens einer Sozialarbeiterin, die der Familie aufgrund einer Beratung bekannt war. Als Komplizin der Kindsmutter soll eine damalige Freundin der Waldviertlerin fungiert haben.

Kind hatte im Klinikum 26,8 Grad Körpertemperatur

Letztlich wurde der Bub in die Klinik Donaustadt nach Wien transportiert. Ein behandelnder Kinderarzt schilderte als Zeuge, dass der Bursche Verletzungen und diverse Blutergüsse gehabt habe. Bei der Aufnahme im Klinikum betrug die Körpertemperatur lediglich 26,8 Grad.

Für die Mutter und deren Freundin gab es bereits rechtliche Konsequenzen. Die 35-Jährige hatte in einem Geschworenenprozess Ende Februar 2024 wegen versuchten Mordes, Quälens oder Vernachlässigens unmündiger, jüngerer oder wehrloser Personen sowie wegen Freiheitsentziehung 20 Jahre Haft erhalten. Ihre ehemalige Freundin fasste wegen fortgesetzter Gewaltausübung als Beitrags- oder Bestimmungstäterin 14 Jahre aus. In beiden Fällen wurde zudem die Unterbringung in einem forensisch-therapeutischen Zentrum ausgesprochen. Die Urteile sind rechtskräftig.

Wann das Zivilverfahren fortgesetzt wird, ist noch nicht gewiss. Die Vertagung erfolgte am Dienstag zur Einholung weiterer Gutachten. Erstattet wird eine medizinische Expertise hinsichtlich der Erkennbarkeit des Gesundheitszustands des Buben. Darauf aufbauend kommt dann ein psychologisches Gutachten hinzu, für das noch ein Sachverständiger beauftragt werden muss.

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