Rechnungshof ermittelt, Südtiroler „Murmeltier-Urteil“ als Präzedenzfall

„Abschuss der Bären könnte einen finanziellen Schaden darstellen“

Freitag, 28. April 2023 | 07:51 Uhr

Trient/Bozen – Neben dem Verwaltungsgericht, vor dem am kommenden 11. Mai eine mündliche Anhörung stattfinden wird, soll der Fall der Trentiner Bären nun auch den Rechnungshof von Trient beschäftigen. Die Richter des Rechnungshofs sollen Ermittlungen aufgenommen haben, die sowohl das Bärenmanagement als auch die vom Trentino geleisteten Entschädigungszahlungen betreffen.

Da es sich bei den Bären um eine in ganz Europa geschützte Tierspezies handelt und sie öffentliches Eigentum sind, könnte interessanterweise auch deren Abschuss einen finanziellen Schaden darstellen. Diese Möglichkeit ist nicht an den Haaren herbeigezogen. Da sie geschützte Tiere zum Abschuss freigegeben hatten, waren im Rahmen des „Murmeltier-Urteils“ der ehemalige Landeshauptmann Luis Durnwalder und der damalige Amtsdirektor für Jagd und Fischerei, Heinrich Erhard, gemeinsam zu einer Schadenersatzzahlung von fast einer Million Euro verurteilt worden.

Facebook/Parco Nazionale d’Abruzzo, Lazio e Molise

Unmittelbar nach der Tragödie von Caldes, bei der am vergangenen 5. April ein junger Bergläufer, der 26-jährige Andrea Papi, von der Bärin JJ4 angegriffen und getötet worden war, wurde beim Trentiner Rechnungshof eine Eingabe hinterlegt. Auf diese Anzeige hin und nach weiteren Hinweisen, die beim Rechnungshof eingegangen waren, leiteten die zuständigen Richter ein Ermittlungsverfahren ein.

Der Rechnungshof gibt sich sehr zugeknöpft, aber durchgesickerten Informationen zufolge soll das Verfahren das gesamte Bärenmanagement – das heißt alle von den zuständigen Behörden der Autonomen Provinz Trient getroffenen Maßnahmen zur Überwachung der Bärenpopulation – betreffen. Da dies in die Zuständigkeit des Rechnungshofs fällt, sollen dabei den Entschädigungen, die von der öffentlichen Hand an Bauern, aber auch an Opfer von Bärenangriffen gezahlt wurden, besondere Aufmerksamkeit gelten.

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Laut dem letzten von der Trentiner Landesverwaltungen veröffentlichten Bericht griffen Bären und Wölfe im Jahr 2021 insgesamt 1.259 Nutztiere an, wobei sie 937 von ihnen töteten. Den Zahlen zufolge teilten sich Bären und Wölfe ihre Beute untereinander zu fast gleichen Teilen auf. Bei den Entschädigungszahlungen zeigt sich das gleiche Bild. Insgesamt wurden in diesem Jahr Entschädigungszahlungen von 337.587 Euro beglichen, wovon 172.373 Euro auf von Bären angerichtete Schäden und 165.231 Euro auf von Wölfen erbeutete Nutztiere entfielen.

APA/APA (dpa/Symbolbild)/Klaus-Dietmar Gabbert

Für die Verantwortlichen des Trentino sind diese Ermittlungen überaus heikel. Sollten die Richter des Rechnungshofs zur Einsicht gelangen, dass das Projekt Life Ursus vernachlässigt wurde und dadurch dem Steuerzahler ein finanzieller Schaden entstand, könnte das Ermittlungsverfahren in eine Verhandlung vor Gericht münden.

Paradoxerweise könnten aber auch die vom Trentiner Landeshauptmann Maurizio Fugatti angeordneten Abschüsse einen finanziellen Verlust verursachen. Der Bär gehört nämlich zu den sowohl auf italienischer als auch auf europäischer Ebene geschützten Tierarten. Er ist öffentliches Eigentum und daher könnte seine Tötung rein hypothetisch zu einem finanziellen Schaden führen. Dieser Verlust könnte auch ein gerichtliches Verfahren nach sich ziehen.

stnews/luk

Wenige wissen das besser als Altlandeshauptmann Luis Durnwalder und sein damaliger zuständiger Amtsdirektor. Weil sie in den Jahren 2010 bis 2014 per Dekret neben anderen Wildtieren auch Murmeltiere zum Abschuss freigegeben hatten, waren im Rahmen des „Murmeltier-Urteils“ der ehemalige Landeshauptmann Durnwalder und der damalige Amtsdirektor für Jagd und Fischerei, Heinrich Erhard, zu einer Schadenersatzzahlung von jeweils 468.000 Euro verurteilt worden.

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Es ist schwer zu sagen, ob der Fall der Südtiroler Murmeltiere auch auf die Trentiner Bären übertragbar ist. Der zentrale Aspekt, auf den sich die von Fugatti unterzeichneten und nun vom Verwaltungsgericht von Trient geprüften Abschussverfügungen stützen, ist nämlich, dass es sich bei JJ4 und MJ5 um sogenannte „Problembären“ handelt, die eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellen. Selbst der Präsident des Trentiner Verwaltungsgerichts, Fulvio Rocco, hob hervor, dass die unkontrollierte Zunahme der Zahl der Bären im Trentino die Sicherheit der Bevölkerung gefährde und in den betreffenden Gebieten das Wirtschaftsleben behindere.

Der Trentiner Rechnungshof ist dabei, eine Gesamtbewertung aller Kosten und Risiken vorzunehmen.

Von: ka