Tod einer Arbeiterin aufgeklärt – sechs Personen verhaftet – VIDEO

„Caporalato“: Staat sagt moderner Sklaverei den Kampf an

Sonntag, 26. Februar 2017 | 10:43 Uhr

Trani/Andria/Apulien – Der Tod von Paola Clemente, einer 49-jährigen landwirtschaftlichen Arbeiterin, die vor eineinhalb Jahren – am 13. Juli 2015 – beim Aussuchen der Trauben mitten im Weinberg zusammengebrochen und an einem Herzinfarkt gestorben war, war nicht umsonst. Die Ermittlungen, die aufgrund einer Anzeige des Ehemannes und der Gewerkschaft CGIL in die Wege geleitet worden waren, führten nun zu mehreren Verhaftungen.

Twitter/caporalato
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Im Zuge der von der Polizei und der Finanzwache gemeinsam durchgeführten Aktion wurden sechs Personen festgenommen. Ihnen werden Betrug zum Schaden des Staates, rechtswidrige Arbeitsvermittlung und Ausbeutung zur Last gelegt. Im Gefängnis landeten der Inhaber des Transportunternehmens, Ciro Grassi, der damals die landwirtschaftlichen Arbeiterinnen mit einem Kleinbus zu den Weinbergen transportiert hatte, der Direktor der Arbeitsvermittlungsagentur, Pietro Bello, der der Arbeitgeber der verstorbenen Frau gewesen war, zwei Buchhalter und die Frau von Ciro Grassi, Maria Lucia Marinaro sowie deren Schwester Giovanna. Maria Lucia Marinaro soll laut Anklage die Anzahl der Arbeitstage der Arbeiterinnen gefälscht haben, um deren Sozialbeiträge selbst einzustreichen, während ihre Schwester auf den Gütern als „Aufseherin“ tätig gewesen sein soll.

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Im Lauf der Ermittlungen wurde festgestellt, dass zwischen den offiziell auf den Lohnauszügen ausgewiesenen Beträgen und den effektiv von den Arbeiterinnen erhaltenen Löhnen erhebliche Differenzen bestanden, wobei der Unterschied bis zu 30 Prozent ausmachte. Laut der Staatsanwaltschaft von Trani, die die Ermittlungen geleitet hatte, bekamen die Frauen für eine 12-stündige Arbeit – sie wurden um 3.30 Uhr in der Früh vom Busunternehmer abgeholt und wurden erst gegen 15.30 Uhr nach der Arbeit in den Weinbergen wieder nach Hause gebracht – nur 30 Euro in die Hand gedrückt. Unterm Strich hatten die Frauen für einen Stundenlohn von weniger als drei Euro gearbeitet.

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Die Untersuchung selbst betrifft nicht den Tod von Paola Clemente, der derzeitig Gegenstand eines Gutachtens eines Arbeitsmediziners ist, der feststellen soll, ob es einen Zusammenhang zwischen dem Tod der Frau und dem hohen Arbeitspensum gegeben hatte, sondern die Ausbeutung von 600 Arbeiterinnen. Bei den Opfern der Ausbeutung, so die Staatsanwaltschaft, handelt es sich um sehr arme Frauen, die daheim Kinder zu versorgen hätten und deren Ehemänner ihre Arbeit verloren hätten. Besonders erschütternd sind die Aussagen einiger Frauen, die von der Vermittlungsagentur sehr geringe Gehälter erhalten hatten. Eine Frau erzählte, dass sich bei der Verteilung der Lohnauszüge einige Frauen über die fehlenden Tage beklagt hätten. Der Inhaber  aber hätte erwidert, dass sie das gewusst hätten und sich deshalb nicht zu beklagen hätten.

Viele Frauen erzählen, dass in der Gegend Arbeit Mangelware sei und es eine Tragödie darstelle, auch nur eine schlecht bezahlte Arbeitsstelle zu verlieren. Ausbeuterische Agenturen nutzen die Not der Frauen aus und vermitteln sie als billige Arbeitskräfte an große landwirtschaftliche Güter. Aus Angst, die einzige Arbeit zu verlieren, ziehen es die meisten Frauen vor, zu schweigen.

Erst der Tod von Paola Clemente hatte den Stein ins Rollen gebracht und in diesem Fall das im Süden „Caporalato“ genannte und aus Vermittlung, Ausbeutung und Beaufsichtigung von mittellosen Arbeiterinnen bestehende System zum Einsturz gebracht. Nach dem Tod der Frau wurden die Bestimmungen wesentlich verschärft und in ein neues Gesetz gegossen, das diese Form moderner Sklaverei mit bis zu sechs Jahren Gefängnis und im Falle von Bedrohung und Gewalt mit bis zu acht Jahren Haft bestraft. Paola Clemente ist nicht umsonst gestorben.

Von: ka