Münchner Museum verlangt „von Hitler gekaufte“ Marmorstatue zurück

Deutschland und Italien streiten um den Diskobolos

Sonntag, 03. Dezember 2023 | 08:10 Uhr

Rom/München – Zwischen Deutschland und Italien herrscht ein bizarrer Streit. Bei der Kontroverse geht es um nichts weniger als um eine der berühmtesten und bekanntesten Marmorstatuen der Welt, den Diskobolos Lancellotti.

Die im 18. Jahrhundert in Rom ausgegrabene antike Marmorkopie der Bronzestatue eines Diskuswerfers des altgriechischen Erzgießers Myron war im Jahr 1938 auf Befehl des Duce an Hitler verkauft worden. Da die Statue aber auf die Liste jener Werke stand, die illegal ins Dritte Reich gebracht worden waren, wurde sie nach dem Krieg wieder an Italien zurückerstattet. Das Münchner Museum, das die Ansicht vertritt, dass die Statue vom deutschen Staat regulär erworben worden sei, verlangt den Diskobolos Lancellotti nun aber zurück. Seither gehen zwischen Italien und Deutschland die Wogen hoch.

Museo Nazionale Romano/Discobolo Lancellotti

„Bevor der Lancellotti-Diskuswerfer nach Deutschland zurückkehrt, müssen sie über meine Leiche gehen“, donnert der italienische Kulturminister Gennaro Sangiuliano. Der Streit zwischen Rom und Berlin entbrannte, nachdem die Leitung der Staatlichen Antikensammlungen und Glyptothek in München Rom schriftlich mitgeteilt hatte, dass das Werk aus dem zweiten Jahrhundert nach Christus an Deutschland zurückzugeben sei. Gennaro Sangiuliano weist dieses Ansinnen entschieden zurück und verlangt, dass auch der aus dem 18. Jahrhundert stammende Marmorsockel, der immer noch in Deutschland ist, an Italien ausgehändigt werden müsse. Zur Erörterung dieser Frage möchte sich der italienische Kulturminister mit der deutschen Staatsministerin für Kultur und Medien, Claudia Roth in Verbindung setzen.

Im Bild: Mussolini und Hitler. Foto: unibz.

Die Geschichte beginnt mit einem Brief des Direktors des Nationalmuseums von Rom, Stephan Verger, an seinen Kollegen Florio S. Knaus, Leiter der Glyptothek in München, wo sich die 1815 von Ludwig I. von Bayern begründete Marmorsammlung befindet. Im Schreiben fordert Verger Knaus dazu auf, den Marmorsockel des Diskobolos an sein Museum in Rom zurückzuerstatten.

In der Tat hat die altrömische Marmorstatue auch eine „deutsche“ Geschichte. Die 1,55 Meter hohe Marmorstatue, die 1781 auf dem Esquilin-Hügel in Rom gefunden worden war und sich im Besitz des römischen Prinzen Lancellotti befunden hatte, erregte anlässlich seines Besuchs in Rom im Mai 1938 die Aufmerksamkeit Adolf Hitlers.

Instagram/Museo Nazionale Romano

Der Führer war aber nicht der Erste, der an der antiken Marmorstatue eines Diskuswerfers Gefallen fand. Indem sie ihn in ihrem Dokumentarfilm „Olympia“ über die Olympischen Sommerspiele in Berlin als Idealbild eines arischen Menschen dargestellt hatte, hatte die Filmregisseurin Leni Riefenstahl bereits zwei Jahre zuvor dem Diskobolos als Symbol der nationalsozialistischen Ästhetik im Dritten Reich Bekanntheit verschafft.

Facebook/All you need is Rome – Serena Michelangeli

Trotz des Widerstandes des Obersten Rates der Wissenschaften und schönen Künste wurde die Marmorstatue auf Anweisung von Benito Mussolini und des Ministers für nationale Erziehung, Giuseppe Bottai, noch im Jahr 1938 für fünf Millionen Lire an das Dritte Reich verkauft.

Hitler vertraute die wertvolle Marmorskulptur dem Münchner Museum an, wo sie den Zweiten Weltkrieg überdauerte. Da die Statue vom Minister und „Raubkunstjäger“ Rodolfo Siviero auf die Liste jener Werke gesetzt wurde, die illegal ins Dritte Reich gebracht worden waren, wurde sie im Jahr 1948 von der Bundesrepublik Deutschland an Italien zurückerstattet.

Facebook/Daniel Tonelli

In seinem Antwortschreiben bestreitet Knaus die Rechtmäßigkeit dieser Rückgabe. „Ich bin nicht in der Lage, auf den Rechtsanspruch auf Rückgabe des Diskobolos an unser Museum zu verzichten. Nachdem sie dem Metropolitan Museum in New York angeboten worden war, wurde die Skulptur rechtmäßig vom deutschen Staat erworben“, so der Leiter der Glyptothek in München. Knaus zufolge hatten die damaligen italienischen Behörden dem Transport nach Deutschland zugestimmt. „Es handelte sich um kein ‚Geschenk‘ an Adolf Hitler. Nach der Rechtsauffassung des bayerischen Staates und unseres Museums verstieß die Rückführung nach Italien gegen das Gesetz“, so Knaus in seinem an das römische Museum gerichteten Brief.

Seither gehen zwischen Italien und Deutschland die Wogen hoch. Allerdings dürften sich die erhitzten Gemüter bald wieder beruhigen. 75 Jahre nach der vertraglich vereinbarten Rückgabe dürfte die Marmorstatue in Italien bleiben. Im Gegenzug sind die Chancen gering, dass der aus dem 18. Jahrhundert stammende Marmorsockel das Münchner Museum verlässt.

 

Von: ka