Von: ka
Marsala – Die Serie grausamer Femizide, die seit Wochen Italien erschüttern, reißt nicht ab. Nachdem am Montag eine 52-jährige Krankenpflegerin, Rossella Nappini, von einem Mann im Hausflur ihres Kondominiums erstochen worden war, wurde auf Sizilien am späten Mittwochnachmittag eine junge Mutter, Marisa Leo, Opfer einer grausamen Beziehungstat. Nachdem er die 39-Jährige mit einem Gewehr erschossen hatte, richtete ihr ehemaliger Lebensgefährte, den das Opfer bereits vor drei Jahren wegen Stalkings angezeigt hatte, die Waffe gegen sich selbst.
Ein Autofahrer, der auf der sizilianischen Autobahn A29 in Richtung Mazara unterwegs war, bemerkte auf der Höhe von Calatafimi am Straßenrand einer Überführung einen Mann, der eine Waffe in der Hand hielt, die er offensichtlich gegen sich selbst richten wollte. Zutiefst erschrocken griff der Autolenker zum Handy und verständigte die Polizei.
Als die Beamten eintrafen, war es aber bereits zu spät. Es stellte sich schnell heraus, dass es sich beim Toten um den 42-jährigen Angelo Reina handelte. Bei der Durchsuchung des in der Nähe des Leichenfundorts geparkten Wagens des 42-Jährigen fanden die Polizisten mehrere Waffen, darunter ein Gewehr.
Da offensichtlich auch das Gewehr benutzt worden war, begannen die Beamten fieberhaft zu ermitteln, warum der Mann mit dieser Waffe geschossen hatte. Durch einen kurzen Informationsaustausch mit der Familie und den Freunden des Mannes erfuhren die Beamten, dass Angelo Reina mit seiner ehemaligen Lebensgefährtin Marisa Leo auf dem Landgut ihrer Familie ein Treffen für ein „klärendes Gespräch“ vereinbart hatte.
Da die 39-Jährige nicht auf Anrufe antwortete, schwante den Polizisten Schlimmes. Die Beamten suchten sofort den Ort des vereinbarten Treffens auf, wo sie nach einer kurzen Suche die Leiche der jungen Frau fanden. Für sie kam jede Hilfe zu spät. Nach einer ersten Untersuchung durch den Gerichtsmediziner, der feststellte, dass Marisa Leo mit einem Gewehr erschossen worden war, wurde ihre Leiche in die Totenkapelle des Friedhofs von Marsala gebracht.
Marisa Leo arbeitete für das Weingut Colomba Bianca zwischen Mazara und Marsala und war im Marketingbereich tätig. Zwischen der 39-Jährigen und Angelo Reina hatte eine Zeit lang eine Beziehung bestanden, aus der auch ein heute dreijähriges Mädchen hervorgegangen war, aber das Paar hatte sich bald zerstritten. Bereits während ihrer Schwangerschaft hatte sie sich in einem Video gegen Gewalt gegen Frauen eingesetzt. Nicht zuletzt, um ihre kleine Tochter zu schützen, hatte Marisa Leo beschlossen, sich vom 42-Jährigen zu trennen.
Allerdings fand sich Angelo Reina nie mit dem Beziehungsaus ab. Immer wieder stellte er ihr nach und belästigte sie selbst am Arbeitsplatz, woraufhin sie ihn im Jahr 2020 wegen Stalkings angezeigte. Auf dem Weingut, wo sie von ihren Arbeitskollegen und ihrem Arbeitgeber geschützt wurde, fühlte sie sich aber sicher. Durch die Tochter, die sie trotz aller Sorgen und Bedenken ab und an für Besuche, Urlaube und Wochenenden zu ihm bringen musste, blieb sie aber mit Angelo Reina in Kontakt. Vermutlich, um mit ihm letzte Beziehungs- und Erziehungsfragen zu erörtern, willigte die junge Mutter ein, sich mit ihrem ehemaligen Lebensgefährten auf dem Landgut ihrer Familie für ein letztes „klärendes Gespräch“ zu treffen.
In Salemi, woher die Frau stammt und wo sie gut bekannt war, aber auch in Marsala und Valderice, dem Geburtsort des Mannes, herrscht große Bestürzung. Die Weinkellerei Colomba Bianca widmete ihr einen berührenden Nachruf. „Marisa Leo, Marketing- und Kommunikationsmanagerin von Colomba Bianca, wurde aus dem Leben gerissen. Sie war eine fürsorgliche Mutter, eine Frau des Weins und für unser Weingut eine Quelle der Inspiration. Sie engagierte sie auch gegen geschlechtsspezifische Gewalt. Es ist für uns schwer, sich eine neue Weinlese ohne sie vorzustellen. Wir sind fassungslos. Wir drücken Marisas Familie, der auch wir uns zugehörig fühlen, unser tiefstes Beileid und Mitgefühl aus“, so die Weinkellerei Colomba Bianca.
Seit Jahresbeginn wurden in Italien bereits 80 Frauen Opfer von Femiziden. Da trotz erst kürzlich erfolgter Strafverschärfungen die Morde an Frauen kaum weniger werden, ist in Italien die Ratlosigkeit groß. Einige Stimmen schlagen vor, die Strafen für Stalking weiter zu erhöhen und für die Übeltäter die elektronische Fußfessel einzuführen.