Impfgegnerkind alleine im Klassenraum – transplantierter Bub ohne Schulbesuch

Haarsträubendes Impfchaos an Italiens Schulen

Mittwoch, 12. September 2018 | 08:03 Uhr

Settimo Torinese/Castelfranco Veneto – Die die Impfpflicht betreffenden Beschlüsse der Regierungskoalition aus Lega und Fünf-Sterne-Bewegung, die einmal die Selbsterklärung der Eltern ermöglichen und ein andermal eine Bestätigung der Gesundheitsbehörde über die erfolgten Impfungen für den Schulbesuch unbedingt notwendig machen, führen in einigen Fällen zu den absurdesten und unglaublichsten Situationen. Die Hauptleidtragenden dabei sind die Kinder, die für den Fanatismus mancher Eltern und für den Zickzackkurs der Politiker büßen. SüdtirolNews pickt zwei der haarsträubendsten und traurigsten Fälle heraus.

ANSA

Beim ersten Fall geht es um einen Buben, der abgesondert vom Rest der Klasse den Unterricht in einem eigenen Raum „genießen“ muss. Schauplatz dieser unglaublichen Posse ist die Grundschule Arcimboldo in Settimo Torinese bei Turin.

Am Dienstagmorgen, dem Schulanfang an dieser Grundschule, wurde der kleine Bub von seinen Eltern – beide Elternteile sind überzeugte Impfgegner – zur Schule begleitet. Zwischen den Eltern, die ihren kleinen Buben nie geimpft hatten, und der Direktorin der Schule kam es zu einer lautstarken Diskussion, bis die Direktorin, Patrizia Chiesa Abbiati, beschloss, die Carabinieri zu verständigen. Die Carabinieri wiederum schalteten die Staatsanwaltschaft ein, um den verzwickten Fall rechtlich abklären und die von den Eltern vertretene Meinung dokumentieren zu können.

Der Bub selbst wurde nicht von der Schule verwiesen. Den Bestimmungen folgend, durfte der junge Schüler zwar die Grundschule betreten, musste aber getrennt von seinen „Klassenkameraden“, die die Bestätigung der Gesundheitsbehörde über die erfolgten Impfungen für den Schulbesuch besitzen, in einem gesonderten Raum Platz nehmen. Wie die Eltern berichteten, hatten sie ihren Buben für den 21. September für die Impfung vorgemerkt. Sie fügten aber auch hinzu, dass falls ihr Sohn „vor der Impfung keine ausreichenden ärztlichen Visiten“ erhalten sollte, sie sich gezwungen sehen, den vereinbarten Impftermin zu verschieben. Letztere Präzisierung der Eltern führte am Dienstag zuerst zum „Nein“ der Schuldirektorin, dann zum Einsatz der Carabinieri und am Ende zur Hängepartie, nach der der Bub den Unterricht alleine „genießen“ muss.

APA/APA (dpa/Archiv)/Patrick Seeger

Der Fall ist vertrackt. Laut einem Rundschreiben der Region Piemont dürfen Kinder, die zwar nicht geimpft sind, aber eine Selbsterklärung für eine Vormerkung für eine Impfung vorweisen können, die Schule besuchen. Die Regelung scheint aber viele Hintertürchen zu haben, zumal „dank“ Selbsterklärungen, Vormerkungen, ärztlichen Visiten und Aufschüben es Impfgegnern ermöglicht wird, die Impfung selbst auf den Sankt-Nimmerleinstag zu verschieben.

In Piemont führen die Carabinieri der Sonderabteilung Nas weiterhin Kontrollen durch, um herauszufinden, wie häufig bei den Selbsterklärungen von den Eltern bezüglich des Impfstatus ihrer Kinder falsche Angaben gemacht werden. Laut ersten Erkenntnissen soll es sich bisher nur um vereinzelte Fälle handeln.

ANSA/ALESSANDRO DI MEO

Der zweite haarsträubende Fall dreht sich um einen Buben in einem kleinen Ort in Venetien. Der achtjährige Bub, der infolge einer Akuten myeloischen Leukämie einer Knochenmarktransplantation – er hatte, wie eine Kinderärztin auf Facebook berichtet, das Knochenmark seiner zehnjährigen Schwester erhalten – unterzogen werden musste, riskiert, die Schule nicht besuchen zu können. In der Klasse, in der der Achtjährige unterrichtet werden soll, gibt es fünf Kinder von Impfgegnern, die nicht geimpft sind. Diese stellen für das infolge der Transplantation immungeschwächte Kind, das eine Schutzmaske tragen muss, eine große Gefahr dar. Da seine Eltern in einem kleinen Dorf leben, ist auch der Nachbarzug der Klasse keine Lösung, weil sich auch dort drei nicht geimpfte Kinder befinden. Vermutlich werden die Eltern ihren Buben in die Schule einer Nachbargemeinde, wo keine Kinder von Impfgegnern die Schule besuchen, einschreiben müssen.

https://www.facebook.com/oriana.maschio/posts/1403287626470359

Der Fall des Achtjährigen, der die Leukämie zwar besiegt, aber die Schule in seinem Heimatdorf nicht besuchen kann, ähnelt dem Fall eines ebenfalls knochenmarktransplantierten Mädchens, das wegen zweier nicht geimpfter Kinder, die die Windpocken bekommen hatten, nicht den Kindergarten besuchen konnte. Die Mutter des Mädchens erstattete bei der Staatsanwaltschaft Anzeige.

https://www.facebook.com/robertoburioniMD/posts/2740503799508119

Das Ergebnis des Verfahrens ist noch ausständig. Sicher ist aber, dass nach dem Zickzackkurs zwischen absoluter Impfpflicht, Selbsterklärungen, Rundschreiben, Sonderregelungen und regionalen Alleingängen das Impfchaos perfekt ist.

Von: ka