Wer erbt Matteo Messina Denaros Vermögen? – VIDEO

Jagd nach dem “Schatz” des “letzten Paten”

Mittwoch, 27. September 2023 | 07:06 Uhr

Palermo/Castelvetrano – Der „letzte Pate“, der in der Nacht auf Montag im Alter von 62 Jahren im Krankenhaus von L’Aquila seinem Krebsleiden erlag, starb wie fast alle Corleonesi als eingefleischter, tief in seinem kriminellen Milieu verwurzelter Mafioso, der nie Reue gezeigt hatte.

Als solcher nimmt er viele dunkle Geheimnisse der Cosa Nostra mit in sein Grab. Da er nach seiner Verhaftung vor acht Monaten über sein „Wirken“ als „letzter Pate“ schwieg, haben die Ermittler nur eine vage Vorstellung davon, ob überhaupt jemand und falls ja, wer in seine Fußstapfen treten könnte. Die vielleicht interessanteste Frage aber ist – und da unterscheidet sich auch ein Mafiaboss kaum von den Normalsterblichen – wer sein gewaltiges Vermögen erben wird. Die Jagd nach dem „Schatz“ des „letzten Paten“ ist eröffnet.

Facebook/Carabinieri

Der „letzte Pate“ ist tot. Matteo Messina Denaro, besser bekannt als ‘U Siccu („der Dünne“) wird entweder am Mittwoch oder spätestens am Donnerstag in seinem Heimatort Castelvetrano im engsten Familienkreis beigesetzt werden. Matteo wird im Familiengrab neben seinem Vater Francesco Messina Denaro, „Don Ciccio“, ruhen. ‘U Siccu ist noch nicht begraben und schon fragen sich nicht nur die Mafiaermittler, die ihn jahrzehntelang gejagt hatten, sondern auch die Experten der Cosa Nostra, wer das mafiöse Erbe des unangefochtenen Capo antreten könnte.

Facebook/Carabinieri

Nach dem Tod des Capo geht es grob unterteilt um die beiden Fragen, wer die „mafiöse Macht“ von ‘U Siccu und wer sein gewaltiges Vermögen, das auf mehrere Milliarden Euro geschätzt wird, erben wird. Tatsache ist, dass nach den Ermittlungen gegen seine Familie, die im Laufe der letzten drei Jahrzehnte seinen familiären Unterstützerkreis stark ausdünnten, die Hälfte seiner Verwandten entweder im Gefängnis sitzt oder unter strenger Beobachtung der Justizbehörden steht.

Einer dieser Verwandten, die laut Aussagen reuiger Mafiosi Matteo Messina Denaro besonders nahestehen sollen, heißt Francesco Guttadauro. Er ist der Sohn seiner Schwester Rosalia Messina Denaro und ihres Mannes Filippo Guttadauro, der zum Mafiaclan des Brancaccio-Viertels von Palermo gehört, mit dem der „letzte Pate“ schon immer eine sehr enge Verbindung pflegte. Francesco gilt als „Lieblingsneffe“ von Matteo.

Zugleich ist er der Bruder von Lorenza Guttadauro, die als Anwältin ihren Onkel ‘U Siccu bis zu seinem Tod rechtlich vertrat. Schade nur, dass Francesco im Gefängnis sitzt, wo er wegen der Unterstützung der Flucht von Matteo Messina Denaro eine Haftstrafe von 16 Jahren verbüßen muss. Um seine Verwandten zu schützen, sprach ‘U Siccu zuletzt nur mehr mit seiner Anwältin.

Als mögliche „Erbin“ kommt aber auch seine Tochter Lorenza Alagna infrage. Die heute 26-jährige Frau, die der damals bereits flüchtige Matteo Messina Denaro mit seiner damaligen Liebhaberin Francesca Alagna gezeugt hatte, hatte ihren Vater nie kennengelernt. Nach der Verhaftung wollte sie von ihrem Vater zunächst nichts wissen, näherte sich ihm aber im Laufe der folgenden Monate an. Diese Annäherung gipfelte in ihrer Bitte, seinen Namen annehmen zu dürfen. Da ‘U Siccu dieser Bitte nachkam, heißt Lorenza Alagna nun Lorenza Messina Denaro. Die junge Frau soll bis zum Tod ihres Vaters an seinem Krankenbett im Spital von L’Aquila ausgeharrt haben.

Das Vermögen des „letzten Paten“ hingegen besteht zunächst aus allen Investitionen von Messina Denaro, die er im Laufe der letzten Jahrzehnte in der Provinz Trapani und auf Sizilien tätigte, wobei er sich als Capo auf ein enges Netz von Strohmännern stützen konnte. Dies birgt aus Sicht der Cosa Nostra aber auch Gefahren. Es passierte unter anderem, dass die Tochter eines Strohmannes ein Stück Land von ihrem Vater erbte und es verkaufte, was den Paten sehr ärgerte. Bei diesen Investitionen handelt es sich vorwiegend um Ländereien, Immobilien, Unternehmen und Unternehmensbeteiligungen, aber auch um Konten sowie um Wertpapier- und Edelmetalldepots, die natürlich allesamt nicht im Besitz justizbekannter Mitglieder der Cosa Nostra aufschienen.

Es wird aber vermutet, dass es möglicherweise auch im Ausland – wahrscheinlich in Mittel- und Südamerika, wo der Capo über ein Netzwerk verfügte – Vermögenswerte gibt, die Messina Denaro zugeordnet werden können.

Instagram/Flavia Mantovan/Matteo Messina Denaro

Im Rahmen der jahrzehntelangen Jagd nach ‘U Siccu – die Festnahme von Totò Riina hatte Denaro letztendlich dazu bewogen, selbst unterzutauchen und im Alter von nur 31 Jahren ein Leben im „Verborgenen“ zu beginnen – gelang es den Carabinieri der Sondereinheit Ros, Vermögenswerte im Wert von vier Milliarden Euro – die Hälfte des Jahreshaushalts des Landes Südtirol – zu beschlagnahmen. Auch wenn diese Vermögenswerte, von denen die Ermittler glauben, dass sie dem Paten persönlich gehörten, gewaltig erscheinen, wird dennoch vermutet, dass Teile des Vermögens von Messina Denaro noch immer nicht entdeckt wurden.

Ein Zeichen dafür ist, dass der Capo bis zum letzten Tag vor seiner Verhaftung am vergangenen 16. Januar augenscheinlich über umfangreiche Geldmittel verfügte, die es ihm ermöglichten, seine Fluchthelfer und Boten wie den „vertraulichen Ehrenmann“ Andrea Bonafede, dessen Identität er zur Tarnung angenommen hatte, nicht nur großzügig finanziell zu unterstützen, sondern sie auch als Strohmänner für Wohnungskäufe zu benutzen. Schätzungen zufolge soll die Flucht von Matteo Messina Denaro selbst ohne die verschiedenen Immobilienkäufe und die Aufwendungen für seine „Freunde“ und Frauen monatlich mehrere Tausend Euro gekostet haben, was darauf schließen lässt, dass der Flüchtige über Zugang zu großen Geldflüssen verfügte.

ANSA/CARABINIERI

Gegenüber dem Onlinemedium Fanpage.it schloss der Oberstleutnant der Ros, Antonello Parasiliti Molica, nicht aus, dass noch ein dem Capo zuordenbares Vermögen existiere, das von den zuständigen Justizbehörden noch nicht gefunden und beschlagnahmt wurde.

Es leuchtet ein, dass dieses womöglich noch recht große Vermögen den Appetit möglicher Erben erregt. Einen Mafiaboss zu beerben, hat aber den großen Haken, dass testamentarisch weitergegebene Vermögen wahrscheinlich beschlagnahmt und vom Staat eingezogen würden.

ANSA&nbsp

„Die Verfahren richten sich nach dem Gesetz, wonach Straftaten mit dem Tod des Täters erlöschen. Die Verurteilungen gegen ihn und die ihm vorgeworfenen Straftaten setzen seine Erben aber dem Risiko der Beschlagnahme und Einziehung von Vermögenswerten aus. Es handelt sich um ein interessantes Thema, das Gegenstand laufender Ermittlungen ist. Wir versuchen herauszufinden, ob es noch Vermögenswerte gibt, von denen wir bisher noch keine Kenntnis hatten“, erklärt Antonello Parasiliti Molica.

Um nicht entdeckt zu werden, war es für den flüchtigen Capo bereits schwierig und aufwendig, an sein Geld zu gelangen. Für seine Verwandten, die seit Jahren unter ständiger Beobachtung stehen, würde dies fortan noch schwieriger sein.

Nicht einfach zu beantworten ist auch die Frage, wie es nach dem Tod des „letzten Paten“ innerhalb der Cosa Nostra weitergeht.

Während Totò Riina bis zu seiner Festnahme unangefochtener Capo di tutti i capi der sizilianischen Cosa Nostra gewesen war, nahm Matteo Messina Denaro innerhalb der Mafia eher die Rolle eines Primus inter Pares und Vermittlers ein. Aufgrund des Prestiges seines Namens und da er reuigen Mafiosi zufolge der Hüter des „Schatzes“ von Totò Riina gewesen sei, soll sein Wort aber großes Gewicht besessen haben. Beim gesuchten „Schatz“ soll es sich um das schriftlich festgehaltene „Vermächtnis“ – um streng geheime Dokumente – des Capo di tutti i capi aus Corleone handeln, die vor seiner im Jahr 1993 erfolgten Verhaftung offenbar bei Denaro in Sicherheit gebracht worden waren. In seinem Versteck wurden viele Schlüssel gefunden. Die Schlösser, zu denen sie gehören, sind nach wie vor unbekannt.

Facebook/Quarto Grado

„Messina Denaro war nicht der Kopf der gesamten Cosa Nostra, sondern der Capo der Provinz von Trapani. Die Mafia könnte heute sehr flache Hierarchien besitzen, aber auch einen Capo benötigen, der die Rolle von Messina Denaro ausfüllt. Obwohl er nie offiziell als Capo di tutti i capi galt, wurde für bestimmte Angelegenheiten, die für die Clans von besonderer Bedeutung waren, sein Rat eingeholt“, meint der Oberstleutnant der Carabinieri der Sondereinheit Ros.

Antonello Parasiliti Molica fügt hinzu, dass für Außenstehende nicht klar ersichtlich sei, in welche Richtung sich die Cosa Nostra entwickeln werde. Es gilt aber als wahrscheinlich, dass die Mafia die erfolgreiche Strategie von Matteo Messina Denaro fortführen könnte, sich auf das „kriminelle Geschäft“ zu konzentrieren und aufsehenerregende Morde tunlichst zu vermeiden.

 

Von: ka